In diesem Buch geht es um die Frage, ob es echten Dialog in einem Zeitalter des Misstrauens geben kann.
Mag auch die damalige Zuspitzung der Konkurrenz zwischen privat- und staatkapitalistisch dominierten Systemen in Ost und West in einem „Kalten Krieg“ die politische Situation kennzeichnen, in der die Begegnungen zwischen Buber und Hammarskjöld stattfanden, so geht es doch nicht bloß um eine historisch überwundene Fragestellung.
Lou Marins Buch ist ein Beitrag zur Biographie von Dag Hammarskjöld, arbeitet die Elemente und Implikationen der Dialogphilosophie Bubers und der Interessen Hammarskjölds heraus und unternimmt den Versuch, das wechselseitige Interesse der beiden Persönlichkeiten aneinander abzutasten. Zudem betrachtet er die Konsequenzen der beiden politischen Konzepte.
Zunächst ist der Beitrag eine Darstellung der Kontakte zwischen dem UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, der 1961 im Kongo unter ungeklärten Umständen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, und dem Sozialphilosophen Martin Buber, der zu den freiheitlichen Sozialisten gezählt werden kann und sich in Israel schon früh für einen Verständigungsfrieden zwischen Juden und Arabern eingesetzt hat. Von Bedeutung ist Marins Neugier auf die Berührungspunkte zwischen einem von einem freiheitlichen Sozialismus herkommenden Philosophen, der zu den Freunden von Gustav Landauer gehörte und dessen Sozialismusbegriff als tätiges Schaffen von um das Ziel der menschlichen Freiheit vereinten Menschen begriff und in seinem Buch „Pfade in Utopia“ ausarbeitete und dem aus einem konservativen protestantischen Milieu herkommenden Politiker, der in der Sphäre der Kompromisse, der Diplomatie, der versteckten Botschaften, der Sklavensprache der internationalen Beziehungen in einer Atmosphäre der latenten und offenen Kriegsdrohungen und Stellvertreterkonflikte zu handeln hatte.
Für beide war das Interesse am offenen Gespräch ein gemeinsamer Schnittpunkt. Aber sie kamen von unvereinbaren Richtungen her. Bubers Ansatz war dabei, dass „die Menschheit zunehmend technische Erfindungen aufgehäuft (habe), aber der Kern menschlicher Entwicklung sei noch immer die Erschaffung einer sozialen Lebenswelt durch gegenseitige Hilfe (wie sie durch Kropotkin definiert worden ist) gewesen. Buber war der Meinung, dass die menschliche Entwicklung inzwischen weit hinter den technischen Fortschritt zurückgefallen war.“(S. 40)
Marin betont die herrschaftsablehnende Skepsis Bubers gegenüber der Sphäre der Politik, der Hammarskjöld verhaftet war.
Den Aufbau einer dem Menschen gerecht werdenden Gesellschaft traute Buber der Politik nicht zu. Er sah seinen Beruf nicht darin, die politische Sphäre zu reorganisieren oder zu rekonstruieren. Der geistige Mensch sei nicht zur Macht berufen. „Er hat keine Idee, er hat nur eine Botschaft. Er hat nichts zu gründen, er hat nur etwas auszurufen. Was er auszurufen hat, ist Kritik und Forderung.“ (S. 54)
Zwar begrüßte Buber die Versuche Hammarskjölds, gegen Gefahren der waffenstarrenden Konfrontation zwischen Ost und West zu agieren, aber von der politischen Sphäre versprach er sich nichts dauerhaft Konstruktives für die menschliche Gesellschaft. Die Diskussionen zwischen den beiden wären danach von einem grandiosen Missverständnis zwischen einem Spezialphilosophen und einem humanistischen Politiker geprägt: Beide meinten mit Dialog zwar eine Technik zwischenmenschlicher Kommunikation, sie siedelten sie aber in unterschiedlichen Sphären an und betrieben sie zu unterschiedlichen Zwecken, bei dem Hammarskjöld sie für eine effektive Politik, Buber zu ihrer Überwindung beitragen wollte.
Buber wollte viel mehr
Buber wollte mit dem Ich-Du-Dialog eine Antwort auf die Frage, wie man das „Problem des Menschen“ lösen konnte, wie man in einem Zeitalter der Auflösung „organischer menschlicher Gemeinschaften“ zu lebendigen Beziehungen kommen könnte, in denen Verantwortung sich auch auf das Gegenüber erstreckt. Darüber schreibt Marin eindringlich in dem Kapitel „Perspektiven des Dialogs“.
Hier entwickelt er die verschiedenen Anläufe und Zugänge Bubers und grenzt sie gegen die beschränkten Fragestellungen Hammarskjölds ab. Besonders die Passagen zu „Verantwortung und Gewissen in Bubers ‚Fragen an den Einzelnen'“ (S.97 ff.) und „Bubers Fragen in ‚Das Problem des Menschen'“ (S. 107) lesen sich mit Gewinn, da es Marin gelingt, die Grundzüge dieser humanen und friedvollen Philosophie darzustellen.
In seinem Ausblick stellt Marin die Konsequenzen aus den unterschiedlichen Ansätzen der Dialogpartner vor. Bei Hammarskjöld lief alles darauf hinaus, die Herstellung des Weltfriedens und der Konfliktlösungen durch eine Stärkung der politischen Autorität des UNO-Generalssekretariats, damit seiner persönlichen politischen Kompetenzen anzustreben. Das Mittel dazu sah er u.a. in der Schaffung von Friedenstruppen, ein Konzept, das bereits im Katanga-Konflikt 1960 eine Dynamik zu immer weiter gehenden Kompetenzerweiterungen und eng geführten militärstrategischen Diskussionen auslöste.
Demgegenüber sind die Alternativen, die Buber entwickelt, die friedensfördernden und demokratischeren. Dies beginnt mit seiner Forderung nach einer „Erziehung einer Generation mit wahrhaft sozialen Ansichten und wahrhaft sozialem Willen“ (S. 133), geht über den zivilen Ungehorsam, der keinen Widerspruch zwischen „Wort“ und gewaltfreiem Kampf aufkommen lässt und mündet in der Bildung von Internationalen Friedensbrigaden, die „lokale Aktivistinnen sozialer Bewegungen, Gewerkschafterinnen oder Menschenrechtsaktivistinnen in Weltregionen…begleiten, in denen es überdurchschnittlich starke Regierungsgewalt oder gar Bürgerkrieg gibt, um für sie internationalen Schutz zu gewährleisten und die Verletzung ihrer Rechte aufzuzeigen oder zu bezeugen.“ (S. 150)
So ist dieses Buch im Ergebnis eine interessante Einführung in das Werk und Denken Martin Bubers, die gerade in der Konfrontation mit den Ansätzen und Handlungen eines philosophisch und theoretisch hochgebildeten humanistisch orientierten Politikers Grenzen und Gefahren einer letztlich auf die Nutzung von Verwaltungsapparaten und Militär für die Gewinnung von Frieden und menschlichere Entwicklung aufzeigt.
Dabei ist allerdings für uns Heutige kein Politiker in Sicht, der wie Hammarskjöld intellektuelle und politische Bildung mit dem Willen zu einer humanen Entwicklung der Welt und unbedingtem persönlichen Einsatz verbindet. Insoweit ist Marins Schrift auch eine Würdigung eines Menschen, der seinen Einsatz für den Frieden in der Welt und für die Freiheit eines afrikanischen Volkes mit seinem Leben bezahlt hat.
Lou Marin: Können wir den ehrlichen Dialog in den Zeiten des Misstrauens retten? - Die Begegnung zwischen Dag Hammarskjöld und Martin Buber, Melzer Verlag, Neu-Isenburg 2011, 159 Seiten