ökonomie

Solidarische Postwachstumsökonomie

... und eine libertäre Antwort auf die Krise

| Stefan Janson

Freiheitliche SozialistInnen und Libertäre sollten sich mit dem sperrigen Begriff des "Postwachstums" auseinandersetzen.

Er war im Mai 2011 Thema eines vom globalisierungskritischen Netzwerk attac veranstalteten Kongresses.

Über 2.000 Menschen, davon viele Junge, diskutierten einen Ansatz, den Matthias Schmelzer und Alexis Passadakis in einem attac-Basistext als „Solidarische Postwachstumsökonomie“ bezeichnen.

Auf der Suche nach Antworten

Sie entwickeln damit eine Antwort auf die sich abzeichnende Zivilisationskrise, „einer Krise der Gesellschaften, die auf unkontrollierbare Großtechnologien und destruktive Energieformen angewiesen sind, um kontinuierliches Wirtschaftswachstum zu befeuern“. (1)

Und das, um den Bequemlichkeiten einer kleinen Minderheit der Weltbevölkerung dienlich zu sein und mit ihrer imperialen Lebensweise zugleich auch deren imperialen Habitus und die dazugehörigen Denkweisen am Laufen zu halten („kosmopolitische Plünderungsökonomie“).

Damit wollen Schmelzer/Passadakis sich von den Wachstumskritikern absetzen, die wie der neoliberale Meinhard Miegel das Wirtschaftswachstum aus einer reaktionären Perspektive kritisieren und sozialstaatliche Regulierungen als wesentliche Wachstumstreiber ausmachen.

Demgegenüber ist daran festzuhalten, dass erst die Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise das wirtschaftliche Wachstum forcierte und zu expansiver Warenproduktion führte. Über 800 Jahre lang vor dem kapitalistischen 19. Jahrhundert wuchsen Bruttoinlandprodukt und Bevölkerung dagegen parallel und sehr langsam.

Das Wachstumskonzept ist ein hegemoniales Projekt, dem sich nahezu alle politischen Akteure verpflichtet haben. Und dies, obwohl Wachstum per se weder ein gutes Leben ermöglicht noch Armut und Ungleichheit verringert, einen Beitrag zum Abbau von Massenarbeitslosigkeit leistet oder Umweltschutz ermöglicht. Längst ist bekannt, dass im Gegenteil die Kosten des Wachstums größer als die Vorteile der gesteigerten Produktion sind. (2)

Dass dies so nicht weitergehen kann, dämmert auch Sozialdemokratie, Grünen (3) und etablierten Umweltverbänden. Sie favorisieren die Vorstellung, durch die Installation eines Öko-Keynesianismus oder der Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch könnte es gelingen, eine zwar kapitalistische, aber nachhaltige Wirtschaftsweise zu erzeugen. Dieses Konzept verkennt u.a. die Wirkung des „Rebound-Effektes“. Danach führt jeder Effizienzgewinn letztlich zu einer Erhöhung der Nachfrage und hat im Ergebnis sogar einen negativen Gesamteffekt: Diese Politik verschärft den Ressourcenverbrauch und die kapitalistische Indienstnahme der Welt.

Dem wird eine Solidarische Postwachstumsökonomie gegenübergestellt, „eine konsequente sozial-ökologische Transformation der Produktions- und Lebensweise und eine demokratisch organisierte Reduktion von Produktion und Konsum. Ziel ist eine Ökonomie, die global soziale Rechte für alle sichert und die ökologischen Grenzen nicht überschreitet.“ (4)

Ökonomie des Schrumpfens

Dies bedeutet im Klartext, dass eine Ökonomie des Schrumpfens organisiert und eine Lebensweise des „Genug“ etabliert werden muss.

Diese „großen Erzählung“ nach dem Ende der anderen „großen Erzählungen“ muss die ökologische und die soziale Fragen nicht nur stellen, sondern auch zusammenbringen.

„Wer soll ein solches Projekt schließlich ins Werk setzen? Notgedrungen fällt die Antwort vage aus, denn eine Koalition von gesellschaftlichen Akteuren, die sich für eine ökologisch-solidarische Lebensweise in einer Ökonomie jenseits des Wachstums aussprechen, gibt es bisher nicht.“ (5)

Eine solche Koalition ist in Deutschland und den nordeuropäischen Ländern nicht absehbar. Industrie- und wachstumskritische Stimmen sind in diesen Regionen mit ihrem überwältigenden Übergewicht etatistischer Traditionen seit über 100 Jahren auf ein minoritäres Dasein am Rande der großen progressiven Strömungen und Organisationen, auch der Arbeiterbewegung, verwiesen.

Ansätze finden wir hier bei Gustav Landauer; den Naturfreunden und fortschrittlichen Strömungen in der Jugendbewegung, nach 1945 bei den Hippies, den niederländischen Kabouters, Ivan Illich; den frühen Grünen zwischen Gründung und dem Sieg des Realoflügels, Bahro, Kreisen der Graswurzelrevolution.

Demgegenüber träumten die Mehrheitsfraktionen der sozialistischen Bewegung vom menschlichen Fortschritt und einer gerechten Gesellschaft entweder als Sowjet(=Partei)macht und Elektrifizierung und/oder von einem (von ihnen) bürokratisch verwalteten, aber kapitalistisch geführten Wohlfahrtsstaat.

Im Kern blieben diese Vorstellungen Kapitel in der „großen Erzählung“ von der Wohlfahrt durch Industrialismus und unterliegen damit auch deren Beschränkungen und Historizität.

Mit dieser Denkweise muss nun gebrochen werden, wenn eine menschenwürdige und solidarische Welt entstehen soll.

Anknüpfungspunkte

In Südeuropa gibt es Traditionen, an die hier angeknüpft werden kann. Serge Latouche reklamiert zu Recht „Decroissance (6) als Projekt der Politischen Linken“ (7): Sie ist ein Projekt, dass die ursprünglichen Ideen des Sozialismus wieder aufgreift, als da sind: eine radikale Kritik der Konsumgesellschaft, eine radikale Kritik am Liberalismus und eine Kritik an der Arbeit als Lebensinhalt – hier im Rekurs auf den von Marx und den MarxistInnen angegriffenen Paul Lafargue („Recht auf Faulheit“).

Latouche bezieht sich dabei auch auf Jacques Ellul, Illich, Gorz, Charbonneau, Castoriadis, Tolstoi, Gandhi oder Thoreau. Wenn, wie Latouche sagt, der „Kuchen nicht mehr wachsen kann“, ja, nicht mehr wachsen darf, dann bedarf es einer Umwertung: „… die Werte, an die wir glauben und nach denen wir unser Leben gestalten, (müssen wir – d.V.) einer Prüfung… unterziehen und diejenigen ändern, die einer Änderung bedürfen.

Es muss kaum besonders herausgestellt werden, welche Werte hier an die Stelle der derzeit vorherrschenden zu treten hätten: Altruismus statt Egoismus, Zusammenarbeit statt Konkurrenzwahn, Vergnügen am Gestalten freier Zeit und Ethos des Spielerischen statt Arbeitsbesessenheit, gemeinschaftliches Leben statt schrankenloser Konsum, regionale Wirtschaftsmodelle statt globaler, Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung, Schönheit handwerklicher Fertigung statt industrieller Massenproduktion, schöpferisches Denken statt Effizienzdenken, Relationales statt Materielles und so weiter.“ (8)

Quellen und Aktionsformen

Besonders der Beitrag von Federico Demaria u.a. „Degrowth in Südeuropa: Komplementarität in der Vielfalt“ bietet einen guten Überblick über Quellen und Aktionsformen, von denen sich für die deutsche Diskussion manches lernen ließe. (9)

Ausgehend von Frankreich, hat sich die Degrowth-Idee etwa seit 2001 über Italien und Spanien mittlerweile auch in den frankophonen Teilen von Belgien und der Schweiz entwickelt, beteiligt sich ein Netz von Umweltorganisationen, AltermondistInnen und kleinen dissidenten Gewerkschaftsorganisationen an der Debatte.

Sie treibt der Kampf gegen die Kommodifizierung menschlicher Beziehungen, die kulturelle Uniformierung und der Entwicklungskritik an. Sie stellt die Frage nach dem „Sinn des Lebens unter der Annahme, dass nicht-materieller Austausch und ‚die Poesie des Lebens‘ fundamental sind. Degrowth fordert auch eine (direktere und partizipatorische) Vertiefung und Ausweitung von Demokratie. Der Diskurs zur Ökologie ist eine selbstverständliche Quelle… Schließlich ist die Gerechtigkeitsperspektive ein Hauptanliegen bei den sozialen und ökonomischen Dimensionen von Degrowth.“ (10)

Dabei legen die Autoren großen Wert darauf, dass ideologischer Reduktionismus vermieden wird. Die „Entstehung eines neuen fremdbestimmten Ungeheuers, bei dem ein strikter Top-Down-Plan für Degrowth verfolgt wird (eine Art UdSSR, diesmal für Degrowth)“ wird zu Recht abgelehnt.

Phantasie

Ja, wir brauchen diese Phantasie, diesen unorthodoxen Umgang mit unserem theoretischen Erbe, einen lebendigen Pluralismus der Ideen, Projekte und Konzepte. Wir brauchen diese Vorbereitung für einen Paradigmenwechsel, für ein neues Imaginäres, an dessen Geburt wir beteiligt sein können, wenn wir uns trauen, die Fakten ernst zu nehmen.

Und wir müssen von dem unmöglichen Traum Abschied nehmen, der die quantitative Akkumulation von immer mehr Waren für ein gutes Leben hält. Einem Traum, der auch von der Arbeiterbewegung in ihren revolutionären und reformistischen Abteilungen geträumt (und gelebt) wurde und der immer noch wie Mehltau auf unserer gesellschaftlichen Phantasie liegt: Nun sollen es „Effizienzrevolutionen“ und „Ökokeynesianismus“ sein, die uns retten sollen. Dabei sollten wir aber nicht vergessen, dass unser Impuls „Menschenwürde und ein gutes Leben für alle“ war und ist – und nicht die Hoffnung auf die nächste technologische Revolution.

Mag sein, dass damit „keine Politik zu machen ist“. Daher scheint das Konzept des „Green New Deal“ nicht so sehr von einer „Solidarischen Postwachstumsökonomie“, sondern eher von der „neoliberalen Wachstumskritik“ herausgefordert zu werden.

Auf der Ebene institutionalisierbarer Politik hat ein Green New Deal die besseren Chancen gegenüber dem Konzept eines „Buen Vivir“. Wir sollten aber aus der Vergangenheit der Arbeiterbewegung lernen.

Die neuerliche Halbherzigkeit und die Illusionen einer solchen Politik werden mittelfristig dazu beitragen, die dem Wachstumsparadigma verhafteten Mittelschichten und Arbeitnehmermilieus dem Rechtspopulismus zuzutreiben.

Sie werden sich dann als Abwehrstrategie gegen befürchtete Wohlstandeinbußen mobilisieren. Es wäre dann möglich, dass nach einer neuerlichen Wende oder dem Sturz Merkels ein industrialistisches Roll-Back seitens der CDU organisiert wird. Vielleicht in Gestalt eines autoritären Kapitalismus, der die Verteidigung des herrschenden Wachstumskonzeptes nach innen und außen noch offensiver, auch militärisch betreibt. Es gibt diese Zeichen an der Wand.

Die parlamentarische Linke hat in Westeuropa dem Verlangen des wachsenden Autoritarismus bisher wenig entgegenzusetzen, wie am Ausgang der letzten Wahlen in Belgien, den Niederlanden, Dänemark und Schweden mit einem immensen Wachstum rassistischer und wohlstandschauvinistischer Parteien, in Spanien und Portugal an den Siegen reaktionärer Parteien abzulesen ist.

Die Gewerkschaften scheinen mehrheitlich paralysiert und waren bisher nicht in der Lage, auch nur Konversionsdebatten aus der herrschenden CO²-Wirtschaft heraus zu organisieren.

Wahrscheinlich werden wir in einem solchen Fall keine großen Chancen für unser emanzipatorisches Projekt haben, nicht vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Polarisierung und kriegerischen Auseinandersetzungen um schwindende natürliche Ressourcen.

Libertäre Basisdemokratie

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die beginnende Diskussion um eine solidarische Postwachstumsökonomie mit Beiträgen für eine libertäre Basisdemokratie zu bereichern, denn je drohender Ressourcenverknappung und Klimawandel sich abzeichnen, muss die Degrowth-Bewegung eine freiheitliche Antwort auf die Frage entwickeln: Wie soll von wem nach welchen Regeln darüber bestimmt werden, was wie von wem wie viele Mal produziert wird?

Wie sind solidarische Produktionskreisläufe möglich?

Wie werden Angelegenheiten von transnationaler Reichweite geregelt?

(1) Matthias Schmelzer/Alexis Passadakis, Postwachstum, AttacBasisTexte 36; 94 Seiten, VSA-Verlag Hamburg 2011, S. 8f.

(2) Schmelzer/Passadakis; S. 29

(3) Vgl. dazu Robert Habeck/Andrea Tietze; Landgewinnung - Nachhaltigkeit; Erstmals analysiert eine Studie, wie "grünes Wachstum" in einem Bundesland aussehen könnte; der Freitag Nr. 22 vom 1.06.2011; S.11

(4) Op.cit, S. 67

(5) Op. cit; S. 91

(6) Das französische "Decroissance" entspricht dem deutschen "Schrumpfen" und ist offensiver als der seine Folgen offen lassende Begriff "Postwachstum" in der beginnenden deutschen Debatte

(7) Rätz/von Egan-Krieger; Ausgewachsen, Hamburg 2011, S. 66-74

(8) Op. cit. S. 67

(9) a.a.O.; S. 161-172

(10) a.a.O; S. 165f