libertäre buchseiten

Tausend Projekte ohne Beachtung

Versammelt im neuen "Handbuch Alternativmedien 2011/2012"

| Jan Bönkos

Lieblos und nachlässig geht die gesellschaftliche Linke mit ihren eigenen Medien um. Eine grundlegende Debatte der (Un-) Möglichkeiten alternativer Kommunikation findet weder im aktivistischen noch im akademischen Kontext statt.

Die Aufmerksamkeit sozialer Bewegungen richtet sich höchstens noch auf Computer und Handys. Trotz und gerade wegen dieser Beobachtungen haben sich Bernd Hüttner, Christiane Leidinger und Gottfried Oy entschieden, das ursprünglich auf den „Bunten Seiten“ basierende „Verzeichnis der AlternativMedien“ aus dem Jahr 2006 nun als „Handbuch“ neu herauszugeben.

Die umfangreich aktualisierte Bestandsaufnahme der alternativen Medienlandschaft verleitet zum Stöbern. Anhand des Städteverzeichnisses lässt sich schnell überprüfen, ob die Projekte in der eigenen Umgebung noch dieselben sind. Über das Themenverzeichnis lässt sich sichergehen, bei den eigenen Schwerpunkten nichts Wesentliches zu verpassen. Mit rund 700 Printmedien und 300 Freien Radios, Archiven und Verlagen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum wird sich hier aber wohl auch manches Mal ein schlechtes Gewissen einstellen. Das Verzeichnis ist zudem in einer Online-Version unter alternativmedien.org frei zugänglich und vereint dort selbst die Vor- und Nachteile eines alternativen Mediums.

Dem neuen, stärker auf seinen redaktionellen Teil verweisenden Titel wird das Buch gerecht, indem es auf knapp 150 Seiten kurze und gut lesbare Beiträge von 15 Autor_innen(gruppen) zusammenbringt. Auf diese Weise verschafft es sowohl Überblicke, als auch exemplarische Einblicke in die gegenwärtige Welt alternativer Medien. Dabei erschließt ein akademisch geprägter erster Abschnitt zu den Konzepten und Perspektiven von Gegenöffentlichkeit und demokratischer Kommunikation den historischen und theoretischen Hintergrund des Buches. Ein zweiter wendet den Fokus auf einige konkrete Bereiche alternativer Medienproduktion, etwa die Entwicklung des Videoaktivismus oder feministischer Fanzines. Abschließend wirft ein dritter Abschnitt den Spot auf einzelne Projekte, wie die „Berliner Gazette“ oder das von Menschen mit Down Syndrom gestaltete Magazin „Ohrenkuss“, die sich auf ganz unterschiedliche Weise vorstellen und ihre Erfahrungen reflektieren.

Während die bloße Anzahl der Medienprojekte im Adressverzeichnis imponiert, bleibt jedoch selbst bei den Herausgeber_innen ein gewisses Unbehagen über das Bild, das die eingegangenen Textbeiträge von der aktuellen Beschaffenheit der alternativen Medienlandschaft hinterlassen. Denn gemeinsam heben sie nicht nur wichtige Fragen und spannende Ansätze hervor, sondern mit den fehlenden Themen und Debattensträngen gleichzeitig auch die gähnenden Leerstellen des aktuellen Medienaktivismus.

Gerade mit dieser unfreiwilligen Betonung des selbst in aktuellen linken Debatten seltsam Unbetonten lenkt das Buch die Gedanken gleich in doppelter Hinsicht auf die stete Herausforderung, die auch die Sympathie der Herausgeber_innen hat: die Entwicklung und Verbreitung von kritischen Standpunkten und utopischen Wünschen mit der emanzipatorischen Gestaltung kommunikativer Prozesse zu unterstützen.

Bernd Hüttner, Christiane Leidinger, Gottfried Oy (Hg.): Verzeichnis der AlternativMedien 2011/2012. Verlag AG-SPAK-Bücher, Neu-Ulm 2011, ISBN 9783940865229, 279 Seiten, 22 Euro