Am 19. Juli 2011 wurden die sechs "National Policy Statement for Energy" (1) - darunter vor allem das umstrittene zu Atomkraft - von Energie- und Klimaminister Chris Huhne (LibDem) verabschiedet. Dies war ein entscheidender Schritt in Richtung des Neubaus von bis zu acht Atomkraftwerken in Großbritannien. Doch wer dachte, es gäbe dagegen keinen Widerstand, hat sich getäuscht. Am 3. Oktober blockierten bis zu 400 Menschen das Atomkraftwerk Hinkley Point in Somerset. Dort will EDF zwei EPR-Reaktoren bauen. Andreas Speck, Mitorganisator der Blockade, berichtet. (GWR-Red.)
Noch vor einem Jahr klang es utopisch, als ich die Idee vorstellte, eine Blockade des Atomkraftwerkes Hinkley Point mit mehreren Hundert Menschen zu organisieren. Im September 2010 beteiligten sich vielleicht etwa 60 Menschen an einer Demonstration vor dem AKW, und am 4. Oktober 2010 blockierten wir zu siebt für etwa vier Stunden die Zufahrt zum AKW.
Und da sollte es möglich sein, Hunderte für eine gewaltfreie Blockade zu gewinnen?
Hinkley Point
Hinkley Point, am südlichen Ufer der Severn-Mündung in Somerset gelegen, ist bereits Standort zweier Atomkraftwerke. Hinkley Point A, zwei Magnox-Reaktoren aus dem Jahr 1965 mit jeweils 250 MW Leistung, wurde im Jahr 2000 endgültig abgeschaltet.
Hinkley B, zwei AGR-Reaktoren mit jeweils 625MW Leistung ging 1976 in Betrieb, und soll voraussichtlich 2016 abgeschaltet werden – sofern EDF nicht eine Laufzeitverlängerung beantragt und genehmigt bekommt. Bereits Ende der 80er Jahre gab es Pläne für einen weiteren Reaktor in Hinkley Point. Obwohl dieser eine Baugenehmigung erhielt, kam es jedoch nie dazu. Die Privatisierung der Energiewirtschaft in Großbritannien bedeutete für neue AKWs das vorläufige Aus.
Unter Blair wurden die Pläne für den Neubau von AKWs jedoch wiederbelebt, und Hinkley Point ist heute einer von acht Standorten, an denen neue Reaktoren gebaut werden sollen. Die anderen Standorte sind: Sizewell (EDF), Heysham (EDF), Hartlepool (EDF), Bradwell (EDF), Wylfa (RWE & Eon), Oldbury (RWE & Eon), und Sellafield (Iberdrola & GdF Suez). An allen Standorten befinden sich bereits AKWs, wodurch der Widerstand erschwert wird.
Von den acht Standorten wird Hinkley Point voraussichtlich der erste sein.
Im Juli erhielt EDF vom Somerset County eine Baugenehmigung für die vorbereitenden Arbeiten für das AKW – es fehlen dafür derzeit allerdings noch einige finanzielle Vereinbarungen zwischen dem County und EDF.
Damit kann EDF den Baugrund für die zwei Reaktoren vorbereiten – im Wesentlichen soll ein riesiges Plateau geschaffen werden, auf dem die zwei EPR-Reaktoren errichtet werden sollen. Ein Antrag bei der Infrastructure Planning Commission für die Reaktoren selbst wird in den nächsten Tagen erwartet.
Widerstand ist also dringend notwendig in Hinkley Point.
Die Stop New Nuclear Allianz
Ende Mai 2011 wurde daher von verschiedenen lokalen und nationalen Organisationen die Stop New Nuclear Allianz gegründet (2), zunächst mit dem Ziel, eine große gewaltfreie Blockade des Atomkraftwerkes Hinkley Point zu organisieren.
Strategisches Ziel war jedoch von Anfang an, durch die Kampagne für die Blockade eine kritische Masse für eine neue und kraftvolle Anti-AKW-Bewegung zu schaffen, denn es war von Anfang an klar, dass durch eine Blockade „nuclear new build“ in Großbritannien nicht verhindert werden kann.
Die Mobilisierung für die Blockade beruhte auf Selbstverpflichtungserklärungen, sich an der Blockade zu beteiligen, sowie Solidaritätserklärungen und Erklärungen von Organisationen. Ziel waren mehr als 100 Selbstverpflichtungen, doch am Ende waren es mehr als 120. Im Vorfeld der Blockade wurden ebenfalls Trainings organisiert, und es gab am Ende Trainings in Bridgwater (15 km von Hinkley), Glastonbury und Compton Dundon (ca. 30 km von Hinkley), Bristol, Exeter, Swansea, Leeds, und London. Dabei war es erfreulich, dass sehr viele Menschen an den Trainings teilnahmen, die bisher noch nicht an Blockaden oder anderen direkten gewaltfreien Aktionen teilgenommen hatten.
Camp und Demonstration
Teil des Aktionskonzeptes von Stop New Nuclear war ein Aktionscamp am Wochenende vor der Blockade, in dem weitere Trainings stattfanden, und wo es auch erste Treffen des SprecherInnenrates gab.
Mit dem Camp wurde das Ziel verfolgt, auch Menschen von weiter entfernt eine Teilnahme an der Blockade zu ermöglichen. Das Camp war jedoch auch ein Ort, um neue AktivistInnen zu treffen, und sich gemeinsam auf die Aktion vorzubereiten.
In Großbritannien hat es in den letzten Jahren wenig größere gewaltfreie Aktionen gegeben, die über einen SprecherInnenrat koordiniert wurden.
In der Regel agieren hierzulande die einzelnen Bezugsgruppen vollständig autonom, mit wenig Koordination während der Aktion. Es ging also auch darum, hier eine neue Aktionskultur für eine neue Bewegung einzuüben, mit Blick auf die Zukunft der Bewegung.
Am 1. Oktober gab es eine kleine Demonstration in Bridgwater, an der sich etwa 150-200 Personen beteiligten. Damit war diese kleine Demo dennoch die größte in Bridgwater seit vielen Jahren.
Die Blockade
Früh am Morgen – um 7.00 Uhr – begann die Blockade des Tores des AKWs. Aus Gesprächen mit der Polizei im Vorfeld war bereits klar geworden, dass es wahrscheinlich war, dass eine solche Blockade an diesem Tag toleriert werden würde, und so war es nicht notwendig, sich mühselige Fußwege zum Tor des AKWs zu suchen.
Die Blockade begann mit etwa 100 Personen, wuchs aber im Laufe des Vormittages auf mehr als 250 Personen an. Insgesamt beteiligten sich etwa 400 Menschen im Laufe des Tages an der Aktion.
Die Stimmung war ausgelassen, wozu auch das gute Wetter beitrug. Die politische Folk-Band Seize the Day unterhielt die BlockiererInnen, und es gab auch noch andere musikalische Einlagen – ein Chor aus der Gegend von Wylfa in Wales, eine improvisierte Version von Pink Floyd’s The Wall mit dem neuen Titel „We don’t need no radiation“, die ursprünglich von schwedischen AktivistInnen bei der Blockade der Baustelle des finnischen AKWs Olkiluoto im August gesungen wurde, und anderes.
Schließlich wurde im SprecherInnenrat beschlossen, die Aktion gegen 16.00 Uhr mit einem Kreis zu beenden.
Nach neun Stunden endete damit diese erste große Blockade.
Ausblick
Durch die Mobilisierung für die Blockade wurde Bewegung erzeugt. Erfreulich ist, dass sich an der Blockade viele neue Leute beteiligt haben, und das Feedback zu Camp und Blockade ist sehr positiv.
Ein Teilnehmer rief uns bei Verlassen des Camps zu, dass dies für ihn das beste Wochenende des Jahres gewesen sei.
Wir können also darauf hoffen, dass viele der Teilnehmenden des Camps und der Blockade sich auch an weiteren Aktionen beteiligen werden – und vielleicht noch mehr Menschen mitbringen werden.
Derzeit wird für ein Wochenende im November ein offenes Treffen der Stop New Nuclear Allianz in Bristol vorbereitet, an dem über die nächsten Schritte beraten werden soll.
Klar ist, dass es weiter gehen wird – und vielleicht gibt es in einigen Monaten eine Blockade nicht nur mit 400, sondern mit 1000 oder mehr Menschen?
Auch wenn die britische Regierung und EDF den Eindruck verbreiten, dass „new nuclear“ in Großbritannien schon entschieden ist, und es zu spät ist, dies zu verhindern, so haben sie doch ihre Rechnung ohne uns gemacht. Die Blockade am 3. Oktober war nur ein erster Schritt. Es gibt nun auch in Großbritannien eine Anti-AKW-Bewegung.
(1) Die "National Policy Statements" finden sich unter www.decc.gov.uk/en/content/cms/meeting_energy/consents_planning/nps_en_infra/nps_en_infra.aspx
(2) Infos zur Stop New Nuclear Allianz finden sich unter stopnewnuclear.org.uk
Kontakt
Stop New Nuclear
c/o 5 Caledonian Road
London N1 9DX
E-Mail: campaign@stopnewnuclear.org.uk
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