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Occupy Wall Street

Gegen die Okkupation der neuen Bewegung durch Parteien!

| Horst Blume

Was für ein Jahr! Erst die Demokratiebewegungen in den Arabischen Ländern, dann der Aufstand der Empörten in Spanien und nun "Occupy Wallstreet" gegen Bankenmacht und für soziale und politische Rechte.

In vielen hundert Städten weltweit fand diese Bewegung ihren Widerhall. Politisch bisher nie in Erscheinung getretene Teile der Bevölkerung besetzten den öffentlichen Raum in unmittelbarer Nähe von ökonomischen Machtzentren. Am 15. Oktober 2011 demonstrierten in Deutschland über 40.000 Menschen dafür, dass die Kosten der von Konzernen und Banken verursachten Krise nicht auf den Rücken der einfachen Leute abgewälzt werden.

Diese wunderbar unkonventionell agierende Bewegung bewirkte auch in der BRD eine nicht geringe Verwunderung bei denjenigen, die bisher nur den altbekannten Aufmarsch der braven Parteisoldaten als Maßstab des Fortschritts kannten: „Etwas Neues bahnt sich ameisengleich den Weg. (…) Es kommt in chaotischer Formation und ohne einheitliches Kommando. Und es kommt mit dem Zelt“ (1).

Die bunt zusammengewürfelten Menschen haben keine Hierarchien aufgebaut. Sie agieren in horizontalen Strukturen. Gängelnde und sich selbst in den Vordergrund rückende ParteivertreterInnen sind unerwünscht.

Damit die Libertären nicht allzu sehr über die Stränge schlagen, tritt die ehemals alternative taz auf den Plan.

Sie drängt die Rebellen durch ihren Kolumnisten Matthias Greffrath: „Lasst euch vereinnahmen!“ (2) Denn dauerhaft Erfolg zu haben, bedeutet seiner Meinung nach „in nervigen Ortsvereinen Lebenszeit zu opfern“!

Selbst Bewegungsprofessor Grottian ist ein wenig irritiert, als die VeranstalterInnen von Occupy ganz „rigide“ forderten, Parteifahnen wieder einzurollen: „Ich war dabei, als das geschah“. Er rät der Bewegung: „Auf Dauer wird sie aber nicht darum herumkommen, auch die Aufmüpfigen in den jeweiligen Parteien für sich zu gewinnen.“ (3) Angela Merkel hat angesichts der Eurokrise bereits Verständnis für die „Sorgen und Nöte“ der Bürger gezeigt.

Die „Interventionistische Linke“ gibt in einer Erklärung zu, „dass gerade die Linke ersteinmal zuhören“ (4) und nicht wieder vorschnell mit eignen Welterklärungszumutungen eine neu entstehende Bewegung bevormunden sollte. Und beklagt gleich im ersten Abschnitt dieser Erklärung, dass sie leider angesichts der schnell voranschreitenden Entwicklung keine Zeit mehr gefunden habe, eine eigene interne Absprache „über mögliche Forderungen, Losungen oder Erkennungsworte“ (!) zu organisieren. Andere freuten sich über die vielen nicht von Großorganisationen vorgefertigten, sondern selbstgemalten phantasievollen Plakate der DemonstrantInnen. Und wunderten sich über das fehlende, in ihren Augen scheinbar obligatorische „Front(!)transparent“ (5) bei einer Demo in Berlin. Wie verräterisch die Sprache, wie eingefahren die Denkmuster doch sein können.

„Parteipolitische Resonanzböden“, in Massen herbeieilende Gewerkschaftsmitglieder und flammende Appelle der Intellektuellen vermisst Tom Strohschneider auf der Titelseite des „Freitag“ (6) in der BRD. Ausgerechnet diejenigen kreuzbraven Mainstreamgewerkschaften und von Eigeninteressen geleiteten Parteien, die in der Vergangenheit die Hartz IV-Proteste in eine kontinuierlich schrumpfende Ansammlung gähnender Langweiler verwandelt haben, sollen jetzt zusätzlich frischen Wind in die Auseinandersetzungen bringen?

Natürlich wissen wir um das längerfristige Auf und Ab bei politischen Bewegungen und stellen nicht in Abrede, dass vorhandene Bewegungsstrukturen stabilisiert werden sollten. Der US-amerikanische Bewegungsforscher Bill Moyer hat in seinem „Movement Action Plan – MAP“ schon vor Jahrzehnten auf die sich ergänzenden Rollen von „Rebellen“, ReformerInnen und aktiven BürgerInnen bei der erfolgreichen Entfaltung von Protesten hingewiesen.

Doch fest steht ebenfalls, dass der sich entwickelnde weltweite Protest auch deswegen entstanden ist, weil sich unzählige Menschen nicht mehr durch die bestehenden Parteien und Organisationen vertreten fühlen und sich von ihnen nichts mehr sagen lassen wollen. In den längerfristig angelegten Camps und neu entstandenen Zusammenhängen wird Basisdemokratie praktiziert, die Zeit kostet und manchmal anstrengend sein kann.

Neue Aktions- und Kommunikationsformen entstehen. Zum Beispiel das „human microphone“, bei dem die DemonstrantInnen in Ermangelung einer Lautsprecheranlage jeden Satz eines Redners oder einer Rednerin im Chor laut nachsprechen und damit das Gesagte eindrucksvoll bekräftigen und ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln.

Die bisherigen von linken Parteien und Gruppen angebotenen schnellen und oberflächlich-verbalradikalen Lösungsvorschläge haben in der Vergangenheit nicht weitergeholfen und werden von den neuen Protestlern mit berechtigter Skepsis gesehen. Wenn diese linken ParteigängerInnen in schöner Gemeinschaft mit der etablierten Politik sich inzwischen darüber mokieren und lustig machen, dass die neue Bewegung nicht in Sekundenschnelle das richtige Forderungs-Kaninchen aus dem Zylinder hervorzaubert, so zeigt das nur, dass beide in ähnlichen politischen Kategorien denken.

Insbesondere die entstehende Occupy-Bewegung in den USA zeigt, dass viele vom sozialen Abstieg bedrohte Menschen jahrelang die neoliberale Politik ohne äußerlich sichtbare Zeichen von Widerstand über sich ergehen ließen. Aber sie sind nicht blöd. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem sie aufstehen. Die mediengeschürte ideologische Dominanz der reaktionären Tea Party wird in der öffentlichen Wahrnehmung zurückgedrängt. Erstmals seit Jahren werden wieder die richtigen Fragen gestellt. Wer profitiert von der „Bankenkrise“? Auf welcher Seite stehst du? Was muss getan werden? –

Nach jahrzehntelanger Lethargie können diese Fragen nicht schnell und nicht einfach beantwortet werden. Aber sie werden jetzt endlich gestellt und diskutiert. Ein Anfang ist gemacht. Das allein ist schon ein Fortschritt.

Sicherlich wird der Winter über die Protestcamps kommen und auch die PolitikerInnen werden eiskalt versuchen, die guten Absichten der neuen Bewegung zu okkupieren und zu vereinnahmen. Es liegt an uns, sie mit der Sonne der Solidarität zurückzudrängen.

(1) Neues Deutschland vom 17.10.2011

(2) taz vom 19.10.2011

(3) junge Welt vom 18.10.2011

(4) www.dazwischengehen.org/story/2011/10/occupy-together-kommt-zum-forum-der-menge

(5) taz vom 17. 10. 2011

(6) Der Freitag vom 13.10.2011