Kairo. Da der inhaftierte ägyptische Kriegsdienstverweigerer Maikel Nabil Sanad die Neuverhandlung am 18. Oktober boykottiert hat, und auch seine Anwälte beauftragt hat, nicht mit dem Militärgericht zu kooperieren, ist auch zwei Tage später das Ergebnis der Neuverhandlung nicht klar, und die spärlichen Berichte sind konfus. Es scheint sich aber zu bestätigen, dass das Gericht eine Einweisung des antimilitaristischen Bloggers in die Psychiatrie angeordnet hat, um ihn dort zu beobachten und seine Schuldfähigkeit zu beurteilen. Andreas Speck berichtet (GWR-Red.).
Der Fall von Maikel Nabil Sanad ist symptomatisch für den Zustand der ägyptischen Revolution. Es stellt sich die Frage: ist das Leben von Maikel Nabil Sanad, nach mehr als 57 Tagen im Hungerstreik, noch zu retten? Ist die Revolution noch zu retten?
Rückblick: der Fall Maikel Nabil Sanad
Maikel Nabil Sanad ist Pazifist und Atheist. Er erkennt das Existenzrecht des Staates Israel an, was ihn in Ägypten als „Pro-Israel“ klassifiziert.
Mit diesen Positionen hat er sich schon vor der Revolution weder beim Militär, noch in der Opposition beliebt gemacht. Im November 2010 wurde er kurzfristig inhaftiert, als er seine Einberufung zum Militärdienst verweigerte, dann aber „aus gesundheitlichen Gründen“ vom Militärdienst befreit.
Im Januar und Februar beteiligte sich Maikel Nabil Sanad von Beginn an enthusiastisch an der Revolution. Im Gegensatz zu vielen hatte er aber nie Illusionen über die Rolle des Militärs. Und so nahm er an den Demonstrationen oft mit seinem eigenen Plakat teil, mit dem er ein Ende der Militärherrschaft forderte. Dies führte im Februar erneut zu seiner Verhaftung durch die Militärpolizei, zum Glück nur für 27 Stunden.
Maikel Nabil Sanad dokumentierte die Unterstützung des Militärs für das alte Regime während der Revolution, und die Repression des Militärs nach der Abdankung Mubaraks, und veröffentlichte dies in seinem Blog Anfang März 2011 unter dem Titel „Die Armee und das Volk haben nie an einem Strang gezogen“ (1).
Dieser Blogeintrag und andere Einträge auf seiner Facebook-Seite führten schließlich zu seiner Festnahme Ende März 2011. In einem alle rechtsstaatlichen Standards ignorierendem Verfahren vor dem Militärgericht wurde er schließlich am 10. April – in Abwesenheit seiner Familie und seiner Anwälte – zu drei Jahren Haft wegen „Beleidigung des Militärs“ und „Verbreitung falscher Informationen“ verurteilt. Dies war die erste Verurteilung eines Bloggers nach der Abdankung Mubaraks.
Hungerstreik
Am 23.08.2011 trat Maikel Nabil Sanad in Protest gegen seine fortgesetzte Inhaftierung in den Hungerstreik.
Er protestierte damit gegen die schleppende Behandlung seiner Berufung, aber auch gegen die Ungleichbehandlung gegenüber anderen AktivistInnen, deren ähnlich lautende Anklagen fallen gelassen wurden. Mit seinem Hungerstreik forderte Maikel Nabil Sanad nicht weniger als eine Beendigung des Unrechtes, dass seine Verurteilung und Inhaftierung darstellte.
Die politischen Ausgangsbedingungen für den Hungerstreik waren denkbar schlecht. Maikel Nabil Sanad verfügte über sehr wenig politische Unterstützung in Ägypten, und auch international war es teilweise schwer, Unterstützung zu organisieren. Trotz allem gelang es durch den Hungerstreik, Druck auf die ägyptische Regierung und auf das Militär aufzubauen, so dass schließlich die Berufungsverhandlung zunächst für Anfang November, dann aber sogar für den 4. Oktober anberaumt wurde. Am 4. Oktober kam es aber erneut zu einer bürokratischen Farce – dem Gericht fehlten Unterlagen, und so wurde erneut vertagt – auf den 11. Oktober. Am 11. Oktober entschied das Berufungsgericht das Urteil der ersten Instanz vom 10. April aufzuheben, und das Verfahren zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen. Es entschied aber nicht auf eine Freilassung Maikel Nabil Sanads bis zur Neuverhandlung.
Der Termin der Neuverhandlung wurde schließlich auf den 18. Oktober – den 57. Tag seines Hungerstreiks – angesetzt. Maikel Nabil Sanad entschied sich, die Neuverhandlung zu boykottieren, und gab auch seinen Anwälten die Anweisung, nicht an der Verhandlung teilzunehmen.
Pathologisierung von Militärkritik
Was nun am 18. Oktober genau geschah, ist noch immer sehr unklar. Von den Berichten, die die War Resisters‘ International erhalten haben, ergibt sich folgendes Bild: da Maikel nicht vertreten, und auch selbst nicht anwesend war, entschied das Gericht, ihm einen Anwalt zuzuordnen.
Dieser beantragte, Maikel in ein psychiatrisches Krankenhaus zu verlegen, um ihn auf Schuldfähigkeit hin zu überprüfen. Es sieht so aus, als wenn das Gericht diesen Ausweg annahm, und seine Einweisung in das psychiatrische Hospital El Khanka etwa 20 km von Kairo anordnete. Das Hospital ist berüchtigt für die Misshandlung psychiatrischer PatientInnen, und es ist zu befürchten, dass Maikel Nabil Sanad dort mit Hilfe von Psychopharmaka der Wille gebrochen werden soll.
Ergänzend erhielt die War Resisters‘ International die Information, dass die Verhandlung nun für den 1. November anberaumt wurde – das wäre der 70. Tag seines Hungerstreiks.
Diese Entscheidung des Gerichts stellt einen weiteren Schritt in der Unterdrückung von Militärkritik dar: zunächst Kriminalisierung, dann Pathologisierung. Damit stellt sich das Militär über jede Kritik.
Damit einher gehen Befürchtungen, dass das Militär die Macht nicht so bald an eine zivile Regierung abgeben will. Und trotz wiederholter Ankündigungen, dass ZivilistInnen nicht mehr vor Militärgerichte gestellt werden würden, geschieht dies auch weiterhin. Seit März wurden nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen mehr als 12.000 Personen von Militärgerichten abgeurteilt. Es sieht schwarz aus für die Revolution in Ägypten.
(1) Maikel Nabil Sanad: Die Armee und das Volk haben nie an einem Strang gezogen, http://wri-irg.org/de/node/12815
Unterstützungsmöglichkeiten für Maikel Nabil Sanad
www.Connection-eV.de/aktion-egypt.php
www.frieden-mitmachen.de
wri-irg.org/node/13819
Weitere Infos
www.graswurzel.net
www.Connection-eV.de
www.dfg-vk-hessen.de