Beim ersten Hinhören scheint "Slutwalk" - zu Deutsch "Schlampenmarsch" - schon ein seltsamer Name für eine Demonstration mit feministischem Hintergrund zu sein. Doch der ist nicht zufällig gewählt worden, während die Entstehung der neuen Demonstrationsform dagegen purer Zufall war.
Angefangen hat alles im kanadischen Toronto. An der dortigen Osgoode Hall Law School der York University hielt der Polizeibeamte Michael Sanguinetti am 24. Januar 2011 einen Vortrag zum Thema Präventive Verbrechensbekämpfung.
Seine Äußerung „Women should avoid dressing like sluts in order not to be victimized“ („Frauen sollten vermeiden, sich wie Schlampen zu kleiden, um nicht zum Opfer zu werden“), löste eine Welle der Entrüstung aus, und das, obwohl ihm nur etwa zehn Personen zugehört hatten.
Auf Bitten der Studierendenvertretung entschuldigte sich Sanguinetti am 17. Februar per E-Mail und gab zu, sein Ausspruch sei schlecht durchdacht gewesen und gebe in keiner Weise die Meinung des Toronto Police Service wieder. Doch seine Worte hallten nach und riefen das Thema der Täter-Opfer-Umkehr wieder in das öffentliche Bewusstsein: Der Slutwalk war geboren.
Der erste seiner Art fand am 3. April 2011 in Toronto statt und animierte in vielen Teilen der Erde zum Nachahmen. Egal ob in New York, Melbourne, Stockholm oder São Paulo, die DemonstrantInnen bei den Slutwalks verfolgten alle die gleichen Ziele: auf Sexismus und die Verharmlosung sexualisierter Gewalt aufmerksam zu machen, für sexuelle Selbstbestimmung einzutreten und Vergewaltigungsmythen aus dem Weg zu räumen. Diese entlasten die Täter, indem sie den Opfern einen Teil der Schuld zuweisen.
Der wohl verbreitetste aller Mythen ist: „Wenn du dich so aufreizend anziehst, bist du selbst schuld“, also sinngemäß das, was auch Sanguinetti aussprach.
Dass zurückhaltende Kleidung nicht vor sexuellen Übergriffen schützen kann, oder anders herum gesagt, dass ein freizügiges Outfit keine Einladung dazu ist, machten die DemonstrantInnen mit Plakataufschriften wie „A dress is not a yes“ deutlich.
Auch in Deutschland sind die Slutwalks inzwischen angekommen. Eine Demo in Passau machte am 23. Juli 2011 den Anfang, drei Wochen später gingen in vielen deutschen Städten gleichzeitig die „Schlampen“ auf die Straße, und schließlich zogen Leipzig und Münster im Oktober nach. Einige der DemonstrantInnen – vorwiegend junge Frauen – haben sich dabei besonders freizügig gekleidet, um ihrer Forderung nach Selbstbestimmung in der Kleidungswahl ohne gewaltsame Folgen Nachdruck zu verleihen und für größere Aufmerksamkeit für die junge Demonstrationsform zu sorgen.
Aufmerksamkeit erregt allein schon der Titel „Slutwalk“.
Als Sluts oder Schlampen werden meist Frauen bezeichnet, die sich freizügig kleiden oder in sexueller Hinsicht ein freies Leben führen.
Die Slutwalks erobern sich diesen abwertenden Begriff zurück, um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen. Gleichzeitig wird auf diese Art und Weise mit dem Klischee der Schlampe gespielt.
Ob die Slutwalks eine kurzzeitige Erscheinung sind, ist schwierig einzuschätzen.
Auf jeden Fall ist in Zeiten, in denen immer noch Meinungen wie die von Sanguinetti existieren, diese Art des Protests längst überfällig gewesen.