"Italienische Anarchisten bekennen sich zu Ackermann-Briefbombe". So und ähnlich lauteten am 9.12.2011 die Schlagzeilen auf den Titelseiten der meisten deutschen Tageszeitungen.
Da ist es wieder, das absurde Zerrbild der Bomben werfenden (bzw. in diesem Fall anonym Briefbomben verschickenden) Anarchisten, das die Bevölkerung angesichts der realen terroristischen Mordanschläge des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) schon fast vergessen hatte.
Bekannt hat sich zu dem (vereitelten) Briefbombenanschlag auf den Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, eine Gruppe namens „Federazione Anarchica Informale (FAI)“.
Die erneute Verwendung des FAI-Kürzels muss als Versuch gewertet werden, die reale, legal agierende FAI zu diskreditieren.
Die echte FAI ist die größte anarchistische Organisation Italiens und sie hat sich nach ähnlichen Terroranschlägen schon 2003 von der „FAI“ distanziert:
„Wir prangern die schwerwiegende und schändliche Vorgehensweise an, dieser Art von Vorfällen Initialen zuzuweisen, die eine Anspielung auf die FAI (Italienische Anarchistische Föderation) darstellt. Wer eine Gruppe von Genoss-innen der Repression ausliefert, ist ein Agent oder Kollaborateur der Polizei. (…) Mit Nachdruck bekräftigen wir die Verurteilung, Bomben, Briefbomben und Sprengsätze, die wahllos zuschlagen können, zu verwenden, (…). Wir bekräftigen, dass die Mittel des Kampfes der föderierten Anarchist-innen sich auf der Straße, im Sozialbereich, im selbstverwalteten, basisdemokratischen Syndikalismus, in Bewegungen, in zig Städten, in denen wir öffentlich zugängliche Zirkel haben, verbreiten, um in offener Opposition zur Logik von Herrschaft und Staatsterrorismus eine Gesellschaft von Freien und Gleichen aufzubauen.“
„Die bestgetarnten Anarchisten der Welt“?
Am 9.12.2011 bezeichnete spiegel-online die vermeintlichen „FAI“-Terroristen als „Die bestgetarnten Anarchisten der Welt“: „Die rätselhafte Gruppe nennt sich ‚Federazione Anarchica Informale‘ (FAI), keines ihrer Mitglieder wurde je verurteilt. Viele halten die Truppe, die sich zum Anschlag auf Deutsche-Bank-Chef Ackermann bekannte, für von Geheimdiensten gesteuerte Provokateure.“
In der Tat. Ich gehe davon aus, dass es sich bei den Briefbombern entweder um Faschisten oder rechte, italienische „Staatsschützer“ handelt. Eine linke oder libertäre Gruppe, die, wie diese angeblichen „FAI“-Bomber in ihrem Bekennerbrief, den Begriff „Zecke“ für politische GegnerInnen benutzt, ist mir nicht bekannt. „Zecken“, das ist ein Begriff, den Faschisten oft als Schmähbegriff für Linke benutzen. Die Sprache der „Federazione Anarchica Informale“ und der Anschlag deuten also auf einen extrem rechten Hintergrund hin.
Vor fast acht Jahren habe ich in der GWR 286 (Februar 2004) zum Thema einen Artikel veröffentlicht, der erstaunlich aktuell ist: Schon wieder wir? „Anarchistische Briefbomber in Italien“? Die Verdrehung des Anarchiebegriffs und Diffamierung der FAI als „terroristisch“ Siehe: http://www.graswurzel.net/286/anarchie.shtml