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„Auf der Straße, auf der Schiene“

Ein Interview mit Freya Rudek (ContrAtom) und Kerstin Rudek (BI Lüchow-Dannenberg) über Atomausstieg light, Anti-Castor-Proteste und mögliche Perspektiven der Anti-Atomkraft-Bewegungen

| Interview: Bernd Drücke

Ende November 2011 hat es zahlreiche Blockade-Aktionen (u.a. von X-tausendmal quer und Widersetzen) und eine Demonstration von 25.000 AtomkraftgegnerInnen gegen den 13. Castor-Transport ins Wendland gegeben. So lange wie diesmal konnte der Castor-Transport vom französischen Valognes ins Zwischenlager in Gorleben noch nie durch direkte gewaltfreie Aktionen aufgehalten werden. Aufgrund des entschlossenen, phantasievollen Widerstands konnten Atommafia und Polizei ihren Zeitplan nicht einhalten. Die Atommüllbehälter waren 125 Stunden und 49 Minuten auf Schiene und Straße, bis sie in Gorleben abgeladen wurden. Auch die Polizeigewalt war diesmal so exzessiv wie lange nicht. Die GWR sprach mit Freya Rudek (25), aktiv in der Anti-Atom-Organisation ContrAtom, und ihrer Mutter Kerstin Rudek (42) von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. (GWR-Red.)

Graswurzelrevolution (GWR): Im November hat die Lüneburger Zeitung Euch einen Artikel gewidmet: „Das wendländische Widerstandsgen. Kerstin und Freya Rudek gehören zu den Motoren des Anti-Atom-Protests.“ Kerstin, kannst Du erklären, wie Du Teil der Anti-Atomkraft-Bewegung geworden bist? Gab es bestimmte Entwicklungen, die Dich dazu bewegt haben?

Kerstin: Ja. Das war der Tag X 1984, an dem zum ersten Mal Atommüll im Landkreis Lüchow-Dannenberg mit viel Protest und Widerstand erwartet wurde. Damals ging es noch nicht um die Castor-Transporte. Wir haben ja in der Zwischenlagerhalle in Gorleben auch schwach- und mittelradioaktive Fässer stehen. Beim ersten Transport war nicht bekannt, wann er stattfinden würde. Da gab es über mehrere Tage viel Protest. Seitdem bin ich dabei.

GWR: Und wie war das bei Dir, Freya?

Freya: Ich bin im Wendland aufgewachsen und habe den Protest von klein an mitbekommen. Ich wurde früh auf Demos mitgeschleppt, bin schon seit Kindertagen dabei zu demonstrieren und mich mit dem Thema auseinander zu setzen.

GWR: Du machst bei ContrAtom mit. Was ist das für eine Gruppe, was für Aktionen macht Ihr, wie seid Ihr aktiv?

Freya: ContrAtom ist in erster Linie eine Internetseite. Dort gibt es immer aktuelle Infos rund um das Thema Atomkraft, also auch zu Urananreicherungsanlagen, zu Wiederaufarbeitungsanlagen, zu der ganzen Atomspirale. Über dieses Netzwerk hinaus gibt es verschiedene Aktionsgruppen, die sind dezentral unterwegs, machen verschiedene Kletter- und Blockadeaktionen, immer dann, wenn wieder Castor-Transporte laufen. Oder auch, wenn sonstige Atomtransporte unterwegs sind, z.B. am Hamburger Hafen, oder auch bei der GKSS Forschungseinrichtung bei Krümmel. Da sind dann auch Aktionen, was sonst keiner mitbekommen würde. Dann ist auch ContrAtom unterwegs oder verschiedene Aktionsgruppen, die sich unter dem ContrAtom-Logo auf die Straße begeben.

GWR: Kerstin, Du bist Vorsitzende der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Kannst Du erklären, wie sich diese BI gebildet hat und was für Arbeit Ihr leistet?

Kerstin: Die BI gibt es seit bald 35 Jahren. Der Tag der Standortbenennung für das damals noch geplante Nukleare Entsorgungszentrum in Gorleben war der 22. Februar 1977. Wenn wir es genau nehmen, dann gibt es die BI sogar noch länger, weil es nämlich davor schon Pläne gab, im Wendland eine Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) anzusiedeln. Da war als Standort u.a. auch Langendorf an der Elbe geplant. Das ging im Grunde 1972 los, dass zum ersten Mal das Thema Wiederaufarbeitung im Wendland eine Rolle spielte. Da haben sich viele Leute aus dem Landkreis zusammengeschlossen und als Ortsgruppen und später auch als eingetragener Verein – das ist das Gründungsdatum der BI, das auf das Jahr 1977 zurückgeht – gearbeitet.

Das ist eine lange Geschichte. Am Anfang war es ganz viel Protest vor der eigenen Haustür, im Sinne von „Den Atommüll hier nicht haben zu wollen“. Im Laufe der Jahre, über das weitergegebene Wissen und die weiter entwickelten Strukturen hat sich die BI zu einer Organisation entwickelt, die das ganze Problem grundsätzlich sieht: dass es keine Entsorgung für Atommüll gibt, dass es die anderen Themen auch betrifft. Also dass z.B. der Uranabbau eine wahnsinnige Menschenrechtsverletzung darstellt, weil dieses hochstrahlende Zeug aus der Erde gegraben wird – die Firmen kommen meistens aus westlichen Ländern, es wird abgebaut in indigenen Gegenden, anschließend wird es so belassen, das heißt, es gibt keine Sanierung, und es gibt eine Freisetzung von Strahlen. Die Menschen da sind dem total ausgeliefert, auch wenn sie sich – zum Teil erfolgreich – dagegen wehren.

Egal, welchen Punkt man sich jetzt genau anguckt, ob man beim Uranabbau anfängt oder bei der ungelösten, nicht lösbaren Atommülllagerung, da stehen ja noch die ganzen anderen Sachen: Atomkraftwerke, Kinderkrebs um AKWs, das Risiko von Atommülltransporten.

Wir beschäftigen uns mit all diesen Themen.

Das heißt, wir machen Infoveranstaltungen, Rundreisen, haben ein durchgängig besetztes Büro, wo an 6 Tagen in der Woche jemand am Telefon ist und Mails beantwortet.

Wir haben eine gute Internetseite. Wir haben lediglich ein paar Sachen, die wir geringfügig bezahlen. Ansonsten findet unsere Arbeit ehrenamtlich statt.

GWR: Die Geschichte der Anti-Atomkraft-Bewegung, konkret auch im Wendland, ist eine Geschichte des erfolgreichen Widerstands: In den 1970er Jahren wurde auch geplant, eine deutsche Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) im Wendland zu bauen, die Ernst Albrecht als damaliger CDU-Ministerpräsident Niedersachsens in Gorleben durchsetzen wollte. Kannst Du erzählen, was es dann für Widerstand gab, wie der aussah und wie effektiv er war?

Kerstin: Letztlich war es so, dass Gorleben damals nur ausgewählt worden ist, weil man ein großes Areal von mindestens 12 Quadratkilometern gesucht hat. Dann haben die Parameter wie eine geringe Bevölkerungsdichte, eine hohe Arbeitslosigkeit und die Zonenrandnähe eine große Rolle gespielt, und dass die Bevölkerung hier sehr konservativ war. Alles in allem hat sich die damalige CDU-Landesregierung unter Ernst Albrecht gedacht, dass es ein kluger Schachzug ist, trotz der Vorerkundungen an anderen Standorten, es gab in der Vorauswahl drei andere Standorte, dann diesen Ort für ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ (NEZ) auszuwählen. Es gab von Anfang an kräftigen Widerstand, der vor allem von den Bauern im Wendland, aber auch von anderen Leuten getragen worden ist.

GWR: Es gab in den 1970ern sogar Pläne für den Bau von bis zu 600 Atomkraftwerken (!) in der Bundesrepublik. Was die WAA in Gorleben betrifft, musste Albrecht schließlich öffentlich einräumen, dass der Bau einer Plutoniumfabrik gegen den Widerstand im Wendland nicht durchsetzbar ist.

Kerstin: Da kam einiges zusammen. Als diese Pläne bekannt geworden sind, da ist 1979 aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg ein Treck in die Landeshauptstadt Hannover organisiert worden, um den Protest in die Politik zu tragen, und während dieses Trecks hat sich die Atomkatastrophe von Harrisburg ereignet.

Dieser Treck hat einen großen Zulauf bekommen, da sind ein paar Leute im Wendland gestartet, die wurden immer mehr, und u.a. wegen diesem schweren Atomunfall in den USA sind 100.000 Menschen zusammengekommen, die in Hannover eine Großdemo gemacht haben. An deren Ende musste sich Albrecht hinstellen und sagen, dass eine WAA in Gorleben politisch nicht durchsetzbar ist.

GWR: Daraufhin hat der damalige bayrische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß (CSU) sinngemäß gesagt: „O.K., dann machen wir es in Wackersdorf, dort sind 70 Prozent CSU-Wähler, da wird es keinen Widerstand geben.“ Da hat er sich geschnitten, und die Atomindustrie musste die WAA-Baupläne beerdigen, aufgrund der durch den Widerstand der Bevölkerung gewachsenen Kosten.

Jetzt ist die Situation so, dass viele angesichts der Proteste gegen den aktuellen Transport fragen: „Wieso wird denn immer noch demonstriert, es gibt doch den Ausstieg?“ Die Westfälischen Nachrichten (WN) haben gegen diejenigen gewettert, die jetzt im Wendland demonstriert haben, „obwohl es einen parteiübergreifenden Ausstiegsbeschluss“ gibt. Könnt Ihr dazu etwas sagen?

Freya: Wir haben hier in Lüneburg seit Monaten mobilisiert, haben auch Informationsveranstaltungen gemacht, genau zu dem Thema: „Warum ist der Ausstieg kein Ausstieg, oder warum wird das jetzt gerade als Ausstieg verkauft?“. Die Atomkraft geht aber weiter: Das Endlagersuchgesetz, was es geben soll, sieht bis jetzt immer noch Gorleben als Endlager vor. Es gibt bis jetzt keine größeren Neuerungen in der Politik, die uns zufrieden stimmten, also sowohl das problematische Endlagersuchgesetz als auch die Tatsache, dass wir keinen wirklichen Ausstieg haben, der irgendwann im Jahr 2022 sein soll, wenn eine andere Bundesregierung wieder ganz andere Pläne beschließen kann. Das alles war relativ schwierig vermittelbar, weil viele gesagt haben, „Ja, Mensch, wir haben doch immerhin einen gewissen Atomausstieg im Vergleich zu anderen Ländern, warum sollen wir jetzt noch auf die Straße gehen?“ Da war es erst einmal schwierig, die Leute wieder ein bisschen wach zu rütteln.

Es gab dann verschiedene Veranstaltungen auch zum Thema Strahlenskandal in Gorleben, also warum ist jetzt gerade bei diesem Castor-Transport nach Gorleben die Sache wieder akut, weil Gorleben akut verstrahlt wird und das Zwischenlager selbst nach den internen Berechnungen keine Kapazitäten für neuen Atommüll hat. Die Infoveranstaltungen und kleineren Demos, die wir im Vorfeld hatten, haben aber doch wieder dafür gesorgt, dass in Lüneburg direkt vor dem Castor einiges ging. Wir haben da am 25.11. eine Vorabenddemo veranstaltet, vor der großen Auftaktdemo in Dannenberg.

Da kamen 1.400 Menschen. Die Leute haben gesagt: „Wir lassen uns nicht verarschen, der Ausstieg ist nicht da, solange wir ihn nicht auf der Straße wirklich herbeiführen“.

Es war erfreulich, dass gegen diesen Castor-Transport wieder viele Menschen auf die Straße gegangen sind und sich nicht nur bei der Demo haben sehen lassen, sondern auch bei vielen Blockaden und Aktionen während des Transports.

GWR: Es gab am 26.11. in Dannenberg eine große Anti-Castor-Demo mit 25.000 Menschen. Es wurden zahlreiche direkte gewaltfreie Aktionen durchgeführt, die dazu führten, dass dieser Castor-Transport aus La Haque zum längsten in der Geschichte wurde. Die WN titelten am 28.11.: „Castor-Einsatz für die Polizei härter denn je“. Es wurde mit Unverständnis auf die Proteste reagiert und beklagt, dass die DemonstrantInnen aggressiv gewesen wären. Kerstin, kannst Du dazu was sagen? Das ist ein Zerrbild …

Kerstin: Es gibt vereinzelt solche Meldungen, aber insgesamt finde ich, dass die Medien recht ausgewogen berichtet haben, wobei es auch eine Unterschiedlichkeit in der Zeitabfolge gibt. Ich war auf vielen Versammlungen anwesend, zum Teil auch als Versammlungsleiterin.

Die Stärke und Größe des Protestes haben uns recht gegeben in der Annahme, dass nicht alle Leute dieses Spiel von einem „Atomausstieg light“ mitmachen. Unsere Vermutung war auch, dass zu dieser großen Demo in Dannenberg nicht so viele kommen werden wie im letzten Jahr, wo wir gerade vorher eine von der Bundesregierung beschlossene Laufzeitverlängerung hatten, was viele motiviert hat, eine lange Reise nach Dannenberg in Kauf zu nehmen. Aber dass eben auch von denen, die sich an der Demo beteiligen, viele im Wendland bleiben und sich an den Protestaktionen beteiligen, hat sich bewahrheitet. Da zeigt sich wieder, wie gut es ist, dass wir eine soziale Bewegung sind, die Inhalte vertritt und seit vielen Jahren ein hohes Informationsniveau vermitteln kann. Das heißt, die Leute wissen, woran sie sind, dass sie Parteien nicht so sehr über den Weg trauen können und das Thema Atomausstieg nicht den Parteien überlassen können. Wenn wir den Atomausstieg wollen, dann müssen wir ihn selber machen. Es geht nur auf der Straße und auf der Schiene.

Insgesamt war es so, dass die Polizeieinsatzleitung verschiedene Taktiken gefahren hat. Da wurde so ein bisschen unterschieden in „gute“ und „böse“ Versammlungen. Wir haben schon im Vorfeld bei den Anmeldungen gemerkt: „Wie? Sie möchten als BI die Versammlung in Metzingen anmelden? Metzingen, da ist doch immer irgendwie … da hat es doch immer einen brennenden Strohballen gegeben? Ist das denn friedlich?!“ Da haben wir gesagt: „Ja, Moment, es gibt eine Unschuldsvermutung. Natürlich wollen wir friedlich demonstrieren.“

Wir hätten gerne auf der B 216 demonstriert, das ist uns dann aber nicht genehmigt worden. Dann haben wir das halt neben der B 216 gemacht. Mit unserem mobilisierenden Musikkampfwagen haben wir da etwa eine Stunde ein schönes Demoprogramm gehabt, noch einmal die aktuellen Infos ausgetauscht, verschiedenen Aktionsgruppen die Gelegenheit gegeben, ihre Termine durchzusagen, so dass sich noch Leute daran beteiligen können. Dann war unsere Kundgebung zu Ende und es gab einen Laternenumzug durch das Dorf Metzingen. Anschließend gab es von dreifach so vielen Leuten, wie bei unserer Kundgebung waren, eine spontane Blockade auf der B 216. Die Polizeieinsatzleitung hätte das Ganze, glaube ich, viel besser kanalisieren können, wenn sie mehr Protest zugelassen hätte. Oft war eine solche Eskalation gewollt, das heißt: Es wurden mehrere Versammlungen nicht bestätigt oder gleich verboten. Hinterher sagt die Polizei, ja, aber, da waren Leute auf der Straße, und dann mussten sie halt ihren neuen Wasserwerfer einsetzen.

Das fand ich schlimm, was in diesem Jahr für Wasserwerfereinsätze stattgefunden haben. Gerade nach diesen Erlebnissen, wie es sie 2010 am Schwarzen Donnerstag in Stuttgart gegeben hat, wo wirklich ein Mensch ganz schwer verletzt worden ist, aber auch zahlreiche andere verletzt worden sind, finde ich Wasserwerfereinsätze gegen Menschen schrecklich.

GWR: Auf der Internetseite der BI sind auch Bilder zu finden, die die Polizeigewalt dokumentieren. Es gibt auf euronews einen Film, und auch Filme von graswurzel.tv und castor.tv zeigen, dass die Polizei zum Teil brutal gegen Aktivistinnen und Aktivisten vorgegangen ist. Freya, wie hast Du das erlebt? War das aggressiver als in den letzten Jahren, oder würdest Du sagen, die Polizeigewalts ist auf einem ähnlichen Niveau geblieben?

Freya: Also, ich möchte auch etwas zu Metzingen sagen. Ich war nicht direkt da, kenne aber einige Leute, die da waren. Ich finde es unverhältnismäßig, dass, während der Castor noch in Frankreich irgendwo auf den Schienen unterwegs ist, in Metzingen bei einer Straßendem oder bei einer angemeldeten Demo Wasserwerfer gegen die Demonstrierenden einzusetzen. Das war eine neue Qualität. Das habe ich so bei einem Castor-Transport noch nicht erlebt, eher, wenn es direkt akut wurde, dass der Castor um die Ecke stand. Dann ist man hartes Durchgreifen seitens der Polizei durchaus seit Jahren gewohnt. Die Leute von der Straße zu prügeln und mit CS-Gas völlig fertig zu machen, während der Castor noch in Frankreich ist, das hat mich überrascht.

Was auch auffallend ist im Vergleich zu den letzten Jahren, ist generell der Verbrauch von Pfefferspray und CS-Gas bei der Polizei. Das habe ich in den letzten Jahren nicht so mitbekommen bei den Castor-Transporten, dass ganze Kartuschen in Feuerlöschergröße mit CS-Gas mit richtigem Bügel zum Abdrücken benutzt wurden. Es wurden Unmengen von CS-Gas, auch breitflächig, über Demonstrationen gesprüht. Das ist dramatisch.

Als gerade der Castor vor Laase war, Richtung Gusborn, ging es auch in Laase heiß her. Das war beim letzten Castor auch so, dass die Polizei gerade in Laase, wenn ein paar Strohballen brennen, besonders erpicht darauf ist, Demonstrierende herauszuziehen oder härter durchzugreifen, auch gerade mit der Präsenz, mit Pferden, Hunden, 5 bis 8 Wasserwerfern. In diesem Jahr kam es sogar dazu, nicht nur, dass die Greiftrupps später, als der Castor durch war, einzelne Leute herausgezogen haben oder auch eine 30 Leute BFE-Einheit (1) mitten durch die Demo marschiert, sondern dass wirklich, als der Castor schon längst in Gorleben angekommen war, noch das BFE bis zum Sani-Zelt vordringt und nochmal die Staatsmacht und -gewalt verkörpert und dabei keinen Respekt und keine Grenzen kennt.

GWR: Welche Perspektiven seht Ihr jetzt nach diesem Castor-Transport für die Anti-Atom-Bewegung? Auch im Zusammenhang mit dem Super-GAU in Fukushima, nicht nur auf Deutschland bezogen, sondern weltweit?

Was ist notwendig, damit die Anti-Atomkraft-Bewegungen noch stärker werden und einen globalen Atomausstieg durchsetzen können?

Kerstin: Ich möchte noch etwas zu dem letzten Punkt sagen. Es hat zahlreiche Übergriffe seitens der Polizei gegeben, auch gegen Journalisten. Wir bemühen uns sehr, das zu dokumentieren, und es ist wichtig, das aufzuarbeiten.

Das sollte aber nicht darüber hinwegschwappen, dass wir politisch mehrere Fußbreite gewonnen haben, dass wir mit diesen Protesten wieder ein Stück weiter sind, dass der Standort Gorleben, der nicht geeignete Salzstock, aufgegeben wird und dass über die Laufzeiten der noch laufenden AKW neu verhandelt werden muss, weil das Dilemma deutlich wird, dass keiner weiß, wohin mit dem Atommüll. Ich finde es wichtig, dass diese Gedanken um die Auseinandersetzung mit der Polizei nicht das politische Geschehen überlagern.

Gestern und heute ist der SPD-Bundesparteitag – ich bin keine Parteienfreundin, möchte aber betonen, wie oft wir in den letzten 18 Monaten mit Leuten von der Linken, den Grünen und der SPD zusammengehockt und jeweils stundenlang diskutiert haben. Gestern Nacht hat der Bundesparteitag der SPD beschlossen, als Parteilinie das Aus zu Gorleben zu erklären. Das heißt, die folgen uns in unserer Argumentation: Gorleben ist nicht länger politisch und gesellschaftlich durchsetzbar, und ich glaube, da sind wir jetzt mit diesen Castor-Protesten ein Stück weiter hingekommen.

Das sollte irgendwie bei allem, was alle immer einsetzen, um das nicht weiter durchkommen zu lassen, dieses Atomprogramm und den Atomstaat, betont werden, dass wir schon viel Schlimmes verhindert haben und dass wir gute Chancen haben, dass es auf eine bessere Bahn kommt. Und dass es sich lohnt, sich selber vor Ort einzusetzen.

Freya: Ich finde es toll, wie die BI dazu arbeitet, dass Leute aus allen möglichen Ländern eingeladen werden, direkt, wenn Themen akut sind, wie z.B. Fukushima, dass dann auch Leute aus Japan kommen, oder wenn es um Russland geht, dass Leute aus Russland eingeladen werden, und dass sich wirklich vernetzt wird. Das war vor 30 Jahren nicht so, und das ist heute die Stärke der Anti-Atom-Bewegung, dass nicht nur geguckt wird, was vor der eigenen Haustür passiert, ob der Castor auch durch Lüneburg fährt, sondern was in anderen Ländern passiert, wo auch Menschen unter der Atomkraft leiden.

Das würde ich mir auch für Lüneburg, für viele andere Städte wünschen, dass nicht nur Leute in Göttingen, Hannover usw. auf die Straße gehen, wenn dann der Castor durch ihre Stadt rollt, sondern dass dort auch kontinuierlich, direkt nach dem Castor weiter Informationsveranstaltungen stattfinden, weiter Aufklärung stattfindet, was es mit dem vermeintlichen Ausstieg auf sich hat, und eine weitere Vernetzung stattfindet, nicht nur mit anderen Ländern, sondern auch mit anderen Themen wie z.B. der Occupy-Bewegung. Oder die BI fährt auch ganz gerne mal nach Stuttgart, da geht es ja auch um Fragen wie „Wie sieht gelebte Demokratie aus? Und warum setzen wir uns selber für unsere Themen ein und überlassen es keiner Landes- oder Bundesregierung?“. Ich wünsche mir, dass die Leute an dem Thema dranbleiben und sich nicht nur beim Castor austoben.

GWR: 2012 sollen 152 Atommülltransporte von Jülich nach Ahaus durchgepeitscht werden (siehe Interview auf Seite 12). Mobilisiert Ihr vom Wendland auch dorthin? Kommt Ihr nach Gronau und Ahaus zu den in den nächsten Monaten anstehenden Aktionen?

Kerstin: Auf jeden Fall. Wir finden es wichtig, dass nicht immer nur diese spektakulären Castor-Transporte nach Gorleben eine Rolle spielen, sondern gerade diese Castoren, die jetzt von Jülich nach Ahaus gebracht werden sollen, sind bei uns auch Thema. Wir werden dazu auch in unserer Gegend informieren, wir werden nach Ahaus kommen und den Protest unterstützen, und wir beteiligen uns an der Urankonferenz im Februar 2012. Das ist uns ein großes Anliegen, gerade jetzt, wo wir uns mehr um inhaltliche Sachen kümmern können, werden wir uns viel mit dem Thema Uranabbau beschäftigen. Wir haben dazu schon gute Kontakte in alle möglichen Länder, und für uns ist klar, nach Fukushima kann es nur heißen: Sofort die 8 noch laufenden Atommeiler abschalten und die Sicherheitskriterien für Atommüllverwahrung neu verhandeln! Es kann kein „Weiter so“ geben! Es muss auf die Menschen gehört werden.

Dann gibt es immer noch keine sichere Atommülllagerung, aber dann gibt es nicht die billigste, sondern die relativ sicherste.

(1) Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit. Spezialeinheiten der Bundespolizei und der Bereitschaftspolizeiender Länder

Anmerkungen

Die Anti-Atomkraft-Interviews mit Kerstin Rudek (BI-Lüchow Dannenberg), Freya Rudek (contrAtom) und Matthias Eickhoff (SofA) wurden am 5.12.2011 im Studio des Medienforums von Bernd Drücke geführt. Technik: Klaus Blödow. Ausgestrahlt wurde diese "Radio Graswurzelrevolution"-Bürgerfunksendung am 9.12.2011 auf Antenne Münster (95,4 Mhz.). Die Gespräche sind - wg. GEMA leider ohne Musik - dokumentiert unter: www.freie-radios.net/44967

Kontakt

www.contratom.de
www.bi-luechow-dannenberg.de