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„Von Atomausstieg kann keine Rede sein“

Ein Interview mit dem Anti-Atomkraft-Aktivisten Matthias Eickhoff (SofA)

| Interview: Bernd Drücke

Matthias Eickhoff ist seit 25 Jahren in der Anti-Atomkraft-Bewegung aktiv und Mitorganisator der internationalen Urankonferenz, die am 4. Februar 2012 in Münster stattfinden soll. (GWR-Red.)

GWR: Wie bist Du in die Anti-Atomkraft-Bewegung gekommen? Was hat Dich dazu veranlasst, aktiv zu werden, und wann war das?

Matthias: Das war im Frühjahr 1986, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Das hat große Auswirkungen gehabt.

Ich komme ursprünglich aus Hamm, wo damals noch der sogenannte Thorium-Hochtemperaturreaktor (THTR) in Betrieb war. Eine Woche nach Tschernobyl hat es dort auch einen schweren Störfall gegeben, der von den Betreibern und der damaligen SPD-Landesregierung mehrere Wochen lang vertuscht wurde. Als das dann an die Öffentlichkeit kam, war sehr viel los in Hamm. Das hat mich dazu motiviert, in der Anti-Atom-Bewegung aktiv zu werden, und seitdem bin ich immer noch dabei.

Wie man 2011 deutlich sehen konnte, ist es immer noch wichtig, auf der Straße aktiv zu sein.

GWR: Und auch recht erfolgreich. Wer hätte denn vor einem Jahr gedacht, dass die Anti-Atomkraft-Bewegung durchsetzen kann, dass jetzt immerhin 8 von den 17 deutschen AKWs abgeschaltet wurden und bis 2022 die restlichen folgen sollen. Aber „Ausstieg“ ist dafür nicht der richtige Begriff, weil jedes AKW, das am Netz ist, eine große Gefahr für alle Menschen im Umkreis und weit darüber hinaus ist. Deshalb ist es verantwortungslos, weiterhin Atomanlagen zu betreiben.

Matthias: Wir hier in NRW und im benachbarten Niedersachsen leben in Regionen, die von diesem „Atomausstieg“, der überall gefeiert wird, nicht profitieren. Wir sind betrogene Regionen. Wir haben immer noch die Urananreicherungsanlage (UAA) in Gronau, das AKW in Lingen, die Brennelementefertigung in Lingen für den Weltmarkt, das AKW Grohnde an der Weser, und im benachbarten Belgien ist das AKW Tihange, das jetzt auch mit Demos in die Schlagzeilen kommt. Das heißt also, hier ist der Weg noch weit. Da gibt es keinen Grund, sich zurückzulehnen.

GWR: Du bist SofA-Aktivist. Was ist SofA für eine Gruppe? Wie ist sie entstanden? Was macht Eure Arbeit aus?

Matthias: Wie der Name schon sagt – Sofortiger Atomausstieg – geben wir uns nicht zufrieden mit so einem halben Atomausstieg oder „Atomausstieg light“. Wir sind nicht der Meinung, dass es O.K. ist, Atomanlagen 10, 11, 12 Jahre oder noch länger zu betreiben. Wir sind auch nicht der Meinung, dass es O.K. ist, wenn deutsche Atomkonzerne wie RWE oder EON woanders AKWs bauen, weil sie das hier nicht mehr durchsetzen können.

Wir sind eine offene Gruppe, sehr gemischt, uns gibt es seit 2005, seit den Castor-Transporten von Dresden-Rossendorf nach Ahaus. Wir sind aus der WigA (Widerstand gegen Atomanlagen) hervorgegangen, sind nicht nur im Münsterland aktiv und haben im Frühjahr auch die Fukushima-Mahnwachen mit bis zu 2.000 TeilnehmerInnen und die Großdemo in Münster am 28. Mai mit ca. 7.000 TeilnehmerInnen zusammen mit einem regionalen Netzwerk auf die Beine gestellt.

GWR: In den nächsten Monaten steht einiges an. Kannst Du dazu etwas erzählen?

Matthias: Wir sind mit zwei großen Projekten beschäftigt: zum einen die Stilllegung der UAA in Gronau. Um das mal zu verdeutlichen: Die Urananreicherung in Gronau wird von der Firma Urenco betrieben, die gehört wiederum zu einem Drittel RWE und EON, der Rest gehört dem britischen und niederländischen Staat. Das Gesamtunternehmen beliefert mehr als ein Viertel des Weltmarktes mit angereichertem Uran für Brennelementeproduktion. Allein aus Gronau kann jedes 10. AKW weltweit mit Uranbrennstoff beliefert werden. Das ist Wahnsinn! Die haben in Gronau eine unbegrenzte Betriebsgenehmigung – von Atomausstieg also überhaupt keine Rede, noch nicht einmal begrenzt.

Da wollen wir ansetzen. Deshalb werden wir am 4. Februar 2012 in Münster eine internationale Urankonferenz veranstalten. Weitere Infos dazu gibt es auf der Konferenz-Website.1

Fünf Wochen später wird es zum 1. Jahrestag des Beginns der Reaktorkatastrophe von Fukushima am 11. März eine Großdemo vor der UAA in Gronau geben, weil wir sowohl RWE und EON als auch der Landes- und Bundesregierung klarmachen wollen, dass Urananreicherung keinen Platz mehr hat und die UAA sofort stillgelegt werden muss.

Aktuell haben wir noch eine Baustelle dazu bekommen: Da sollen 152 Castor-Behälter per LKW über die Autobahn von Jülich, das liegt bei Aachen, ins Brennelemente-Zwischenlager (BEZ) in Ahaus gebracht werden. Jülich ist einer der wichtigsten Atomforschungskomplexe in Westdeutschland gewesen. Die sind immer noch ganz scharf drauf, vor allem Hochtemperatur-Reaktoren in alle Welt zu exportieren, z.B. nach China. Gleichzeitig möchten sie aber ihren Atommüll loswerden, weil sie den dann doch lieber nicht auf ihrem Hof herumliegen haben wollen. Da soll Ahaus jetzt her. Bundesumweltminister Norbert Röttgen ist der Kutscher. Dagegen wollen wir 2012 massiv angehen, weil wir denken, dass man das noch stoppen kann.

GWR: 2011 haben Hunderttausende für einen sofortigen Atomausstieg demonstriert. In vielen Städten gab es Mahnwachen. Wie beurteilst Du, dass viele nun aber sagen: „Wir haben doch jetzt den Atomausstieg“?

Würdest Du sagen, der von den Parteien verkündete „Ausstieg“ ist eine Mogelpackung?

Matthias: Du hast es ja angesprochen: Die Stilllegung von 8 AKWs ist real. Das ist ein großer Erfolg, und da geht auch kein Weg zurück.

Der Punkt ist: Alles andere ist erst einmal auf Papier beschlossen, aber solange die jeweilige Atomanlage nicht stillgelegt worden ist, solange die Energiekonzerne nicht real aufgelöst worden sind, solange kann man der Sache nicht trauen.

Man hat das ja in den letzten 10 Jahren gesehen, da hatten wir ja schon mal die Situation, dass uns von vielen Seiten gesagt wurde, gerade von den Grünen und der SPD, dass schon alles beschlossen sei und wir nichts mehr machen müssten. Wir haben erlebt, dass Papier geduldig ist und dass man sich darauf nicht verlassen darf.

Und bis zur Stilllegung des letzten AKWs nach den jetzigen Gesetzen sind noch 11 Jahre hin. Da liegen noch drei Bundestagswahlen dazwischen, da könnte noch alles revidiert werden. Die Energiekonzerne werden sicher in ein paar Jahren genau das wieder versuchen.

Zum anderen findet immer noch ganz real der Ausbau von Atomanlagen statt. In Gronau ist die UAA weiter ausgebaut worden, es wird dort jetzt ein riesiges Uranmüllzwischenlager gebaut für 60.000 Tonnen Uranoxid.

Die Bundesregierung vergibt weiter Kredite, damit z.B. in Brasilien AKWs gebaut werden.

Im September 2011 hat sie eine Hermes-Bürgschaft in Höhe von 1,3 Milliarden Euro für das brasilianische AKW Angra 3 um sechs Monate verlängert [siehe Artikel auf dieser Seite].

Sie plant weitere Bürgschaften für AKW-Bauten in Großbritannien, Finnland, China und in einem Erdbebengebiet in Indien. Das kann man nicht als Atomausstieg bezeichnen. Das ist eine Verlagerung. Die Energiekonzerne werden bestimmt nicht kleinbeigeben. EON will in Finnland bauen, RWE in den Niederlanden, beide zusammen in Großbritannien, die haben gar nichts gelernt.

GWR: Wie siehst Du die Möglichkeiten der Anti-Atomkraft-Bewegungen weltweit, auch angesichts des Super-GAUs in Fukushima? Würdest Du sagen, dass eine stärkere Vernetzung stattfindet? Oder stagniert das eher? Wie können wir z.B. Gruppen in anderen Ländern unterstützen?

Matthias: Ich denke, dass sich in vielen Ländern, in denen Atomenergie früher nicht gerade kontrovers diskutiert worden ist, auch und gerade in Japan, die Situation deutlich wandelt. Man hat immer versucht, Tschernobyl abzutun: „Das war in der Sowjetunion, das war technisch nicht ausgereift. Aber in Japan oder anderen Hochtechnologieländern kann so etwas nicht passieren.“

Auch in Frankreich erlebt man jetzt eine Renaissance der Anti-Atom-Bewegung, wo das auch in den Präsidentschaftswahlkampf mit hinein kommen wird. Es gibt auch eine verstärkte Kooperation mit belgischen Anti-Atomkraft-Initiativen, gegen das AKW Tihange an der Maas. Oder auch Kooperationen zur Verhinderung eines ersten Atomkraftwerks in Polen und des AKW-Neubaus im niederländischen Borssele an der Scheldemündung.

Es ist wichtig, dass grenzüberschreitend zusammen gearbeitet wird. Radioaktivität stoppt nicht an der Grenze. Und die Atomkonzerne arbeiten auch international. Da ist Bedarf, unsere Kooperationen weiter auszubauen. Ich denke, dass sich da wesentlich mehr tut, als man es noch vor ein paar Jahren erwarten konnte.

GWR: Ein Schlusswort?

Matthias: Ich kann nur alle einladen: Kommt ins Münsterland. Beteiligt Euch an den Protesten gegen die Castor-Transporte und gegen die Urananreicherung.

Hier können wir wirklich die Stilllegung einer international wichtigen Atomanlage durchsetzen. Wenn wir das schaffen, wird der Atomausstieg wieder ein Stück handfester. Lehnt Euch nicht zurück, sondern kommt mit und bleibt auf der Straße.

Anmerkungen

Die Anti-Atomkraft-Interviews mit Kerstin Rudek (BI-Lüchow Dannenberg), Freya Rudek (contrAtom) und Matthias Eickhoff (SofA) wurden am 5.12.2011 im Studio des Medienforums von Bernd Drücke geführt. Technik: Klaus Blödow. Ausgestrahlt wurde diese "Radio Graswurzelrevolution"-Bürgerfunksendung am 9.12.2011 auf Antenne Münster (95,4 Mhz.). Die Gespräche sind - wg. GEMA leider ohne Musik - dokumentiert unter: www.freie-radios.net/44967

Weitere Infos

www.urankonferenz2012.de
www.sofa-ms.de
www.urantransport.de
www.kein-castor-nach-ahaus.de