ökologie

Eine Region wird wach

Flughafen Frankfurt - Massive Proteste gegen die neu eröffnete Landebahn Nord

| Dr. Michael Wilk (AKU-Wiesbaden)

"Nach zehn Jahren Dialog mit dem Umland, Planungsverfahren und Bau wird die Nordwest-Landebahn dem Betrieb übergeben", berichtete die Betreibergesellschaft Fraport am 21.10.2011. Einen Tag später protestierten 20.000 aufgebrachte Menschen in Mainz gegen den unerträglich angestiegenen Fluglärm.

Die mit der Eröffnung der neuen Landebahn einhergehenden veränderten Flugrouten und Überflughöhen hatten schon Wochen vor der eigentlichen Inbetriebnahme die vorbelastete Region des Rhein/Maingebiets mit zusätzlichem Lärm überzogen, der die Menschen buchstäblich aus den Betten auf die Straße trieb.

Protestwelle

Seitdem setzte sich eine Welle des Protestes in Bewegung, die alle überraschte und mit der kaum jemand noch gerechnet hatte.

Auch das seit über zehn Jahren gegen den Bau der Landebahn kämpfende Bündnis der Bürgerinitiativen, deren älteste Initiativen bis zu den Protesten gegen die Starbahn West Anfang der 80er Jahre zurückreichen, hatte nach Einwendungen, Klagen von BürgerInnen und Gemeinden, Protesten im Wald, Hüttendorfräumung und Polizeieinsätzen und einem nur noch marginalen Protest- und Widerstandspotential nicht mehr mit einer solchen Welle des Aufbegehrens gerechnet.

Dabei handelt es sich in Sachen Fluglärm nur um einen Vorgeschmack. Die Pläne von Fraport und Lufthansa sehen vor, mit der Inbetriebnahme der Landebahn-Nord die Möglichkeit der Flugbewegungen von 400.000 (Ist-Zustand) in Richtung 900.000 pro Jahr zu verdoppeln.

Seit dem jüngsten Beschluss der Initiativen, nicht nur am Ort der Betroffenheit zu demonstrieren, sondern am Flughafen selbst, tönten in den Abflughallen des Terminals 1 an den Montagen der Vorweihnachtszeit nicht nur die Lautsprecherdurchsagen der Fraport, sondern zunehmend die dröhnende Wut einer von Mal zu Mal wachsenden Menge von Menschen.

Binnen weniger Montage schwoll sie zu einer die Abflughallen füllenden vieltausendköpfigen Menge, die unüberseh- und hörbar das Ende des Lärms und eine ungestörte Nachtruhe fordert.

Der Betriebsablauf ist gestört – nicht nur am Flughafen, sondern auch im übertragenen Sinn: Die Heftigkeit der Reaktion, die stetige Zunahme der Protestierenden, das Echo in den Medien schallt den ökonomisch und politisch Verantwortlichen heftig in den Ohren.

Dabei waren die PolitikerInnen und Flughafenbetreiber stolz darauf gewesen, dass die Proteste gegen die Nordbahn bei weitem nicht das gefürchtete Ausmaß der Unruhen angenommen hatten, wie sie vor nunmehr rund dreißig Jahren der Bau der berüchtigten Startbahn-West hervorrief.

Startbahn-West

Die Räumung des Hüttendorfs an der Startbahn-West 1981, die Proteste im Vorfeld, die juristische Niederschlagung des Volksbegehrens brachten nicht nur 150.000 Menschen in Wiesbaden auf die Straße und mündeten in eine legendäre Flughafenblockade, in der dieser über Stunden lahmgelegt wurde, sondern auch in monate- und jahrelange Proteste. Diese fanden erst mit dem tragischen Tod zweier Polizisten im Jahre 1987 ihr Ende, als diese von einem Einzeltäter durch den fatalen Einsatz einer Schusswaffe bei einer Nachtdemonstration getötet wurden.

Die Heftigkeit der Proteste Anfang der 1980er Jahre hatte phasenweise fast zu einer „Unregierbarkeit der Region“ geführt.

Sie waren erklärtermaßen das Schreckbild einer jeden Regierung, vergleichbar etwa nur mit der Situation der jährlichen Castortransporte im Wendland.

Beschwichtigungsversuche der Politik und ein Ausbund an Lügen begleiten seit jeher die Geschichte des Flughafenausbaus.

Und so dröhnen den nicht unter politischem Alzheimer leidenden Menschen der Region eben nicht nur die Flugzeuge in den Ohren, sondern auch die Lügen und Verdrehungen.

Angefangen mit Ministerpräsident Holger Börner (SPD), der beim Bau der Startbahn West versprach, „kein Baum werde mehr fallen für den Flughafen“.

Die ökonomische und politische Potenz des Frankfurter Flughafens, unlösbar verzahnt mit der Entwicklung der Metropolenregion Rhein/Main, hat jedoch ihre eigenen Regeln, und die z.B. größte Bankendichte auf dem europäischen Festland hat ihre eigene Gesetzmäßigkeit. Als der Flughafenbetreiber und die Lufthansa 1997 eine neue Landebahn forderten, zeigte sich die an der Regierung befindliche Koalition aus SPD und Grünen zwar eingedenk der Startbahn-West-Ereignisse vorsichtig, aber letztlich doch hilfsbereit gegenüber dem Anliegen der Ausbaubetreiber.

Nicht jedoch ohne ein sogenanntes Mediationsverfahren auf den Weg zu bringen – denn welche Partei will schon Proteste, die sich gegen die eigene Regierung richten. Das Mediationsverfahren, das offiziell das Ziel hatte, einen „fairen Dialog“ zwischen betroffenen Bürgern und Betreibern zu initiieren, sollte erklärtermaßen den Protest kanalisieren und ihn von der Straße weg hin zum harmloseren Verhandlungstisch verlagern. Die Bürgerinitiativen hatten sich jedoch schlau gemacht, das Manöver durchschaut und boykottierten das Mediationsverfahren „Dialogforum“. Unter Beteiligung von Umweltverbänden, Kommunen, Kirchen und Flughafenbetreibern wurde (trotz Abwesenheit der Bürgerinitiativen) das Verfahren mit großem propagandistischem Getöse durchgezogen, um – wen wundert’s – zu dem Ergebnis zu kommen, die Landebahn könne gebaut werden. Ein Nachtflugverbot von 23.00 bis 5.00 Uhr (die BIs fordern 22.00 bis 6.00 Uhr) wurde dabei als Trostpflaster zur Bedingung des Baus genannt. Roland Koch (CDU), damals an der Regierungsspitze, ließ verlauten, „es werde keinen Ausbau ohne Nachtflugverbot geben“, um diese Aussage nach einem Klageverbot der Lufthansa prompt und zügig zu vergessen.

Brachte diese durchschaubar kapital- und betreiberfreundliche Politik noch vergleichbar wenige zum Schäumen, so änderte sich dies schlagartig mit der Verlegung der Flugrouten.

Seitdem ist Ärger angesagt. Sprach der momentane MP Volker Bouffier (CDU) bei der Einweihung der Bahn noch „von einem Tag der Freude für das ganze Land“, so sind inzwischen Ernüchterung und die schlagartige Erkenntnis darüber eingetreten, dass Menschen sich zwar belügen, besänftigen und hinhalten lassen, dass jedoch diese Strategie in dem Moment endet, in dem ein Desaster wie dieses unüberhörbar sinnlich erfahrbar wird.

Die dröhnende Wahrhaftigkeit schlafloser Nächte, unerträglichen Lärms innerhalb und außerhalb von Wohnungen in weiten Teilen des dichtbesiedelten Rhein/Main-Gebiets weckte Menschen zu Hunderttausenden auf. Eine „Wachheit“, die sich gegen die herrschende Politik zu richten beginnt, die sich bei vielen vorerst auf die Kritik am Lärm beschränkt, die jedoch sensibilisiert gegenüber inhaltlichen Zusammenhängen und in ihrer praktischen Ebene des Protestes Menschen aufeinander zu bewegen lässt.

Hier spielen die „alten“ Zusammenhänge und die gewachsenen, erfahrenen Strukturen der „alten“ Bürgerinitiativen eine große Rolle. Zahlreiche neu entstehende Initiativen, die anfangs nach dem „St. Floriansprinzip“ eine Verlegung der Flugrouten (zu Ungunsten anderer) gefordert hatten, begriffen schnell, dass es ums gemeinsame Ganze geht. Proteste und Widerstand gegen eine Politik, die Profite und die Maxime ewigen Wachstums über die Gesundheit und die ökologischen Bedürfnisse stellt, wachsen zur Zeit, zum Schrecken der Politik, die plötzlich „oh Wunder“ ihre Bürgernähe neu entdeckt, zu gemeinsamen Gesprächen lädt, nachdem sie zuvor versucht hatte, die Initiativen gegeneinander auszuspielen. Diese wiederum spüren ihren wachsenden Einfluss und fordern nun ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr, eine Beschränkung der Flugbewegungen und sogar die Schließung der Nordbahn.

Budenzauber und Lernprozesse zuhauf

Es ist richtig was los: Regierung und Parteien, der jeweiligen Rolle als Opposition gemäß in „flammenden Protest“ an der Seite der Betroffenen oder eben „gnädig in neuer Dialogbereitschaft“ einerseits, alte und neue Initiativen andererseits, im notwendigen Annäherungs- und Umgangsprozess zwischen langjähriger Erfahrung, Desillusionierung und spontanem, zum Teil naivem Protest. In jedem Fall gibt es „Auftrieb und neuen Schub“ auch anders, als es den Flughafenbetreibern recht ist: Angestoßen durch den Lärm, beginnt erneut eine Auseinandersetzung mit dem Moloch Flughafen an sich, dem Dreck, den herben Arbeitsbedingungen und auch der unmenschlichen Abschiebepraxis. Auch wenn sich viele der neuen Initiativen noch schwer tun, über den Tellerrand der eigenen Lärmbetroffenheit hinaus zu sehen, ist aufs Neue ein emanzipativer Prozess im Gange, der nicht bei Null beginnt, sondern zu einem guten Teil auf die bereits gemachten Erfahrungen bauen kann. Zumindest sind Redner und Rednerinnen aus Parteien nicht willkommen. Das könnte ein gutes Durchstarten für die Bewegung bedeuten.

Anmerkungen

Infos über Mediations- und Dialogverfahren, Flughafen Frankfurt etc. beim Verfasser.