Die Freie ArbeiterInnen Union Kiel hat die Kampagne von ver.di Nord für den Erhalt des Marinearsenals Kiel kritisiert. Hierzu ein Interview mit Marcus Munzlinger, aktiv in der Kieler Ortsgruppe der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAU.
Graswurzelrevolution (GWR): Was hat am 11. November 2011 in Kiel stattgefunden – eine Demo von ver.di zum Erhalt von Arbeitsplätzen beim Marinearsenal Kiel, ein Schulterschluss mit der Marine oder beides?
Marcus Munzlinger: Beides. Rein intentional ging es ver.di um die Arbeits- und Ausbildungsplätze im Marinearsenalstandort Kiel, also hauptsächlich zivile Dienstleistungsjobs für die mechanisierten Abläufe im Marinebetrieb.
Inhaltlich sah sich ver.di dabei allerdings dazu verpflichtet, die Öffentlichkeit in Sorge um die Effizienz und Leistungsfähigkeit der Marine zu versetzten, da die Qualität der Arbeit im Falle des geplanten Outsourcings nicht zu halten sei.
Die Marine soll also gegen die Inkompetenz der zuständigen Ministerien in Bund und Land verteidigt werden. Auf die Inszenierung ver.dis ist der Begriff Schulterschluss also durchaus zutreffend.
Was für Parolen gab es auf der Demo, wie war die Stimmung dort?
Es war eine der größeren ver.di-Demos der letzten Zeit in Kiel. Trotzdem ist die von den Kieler Nachrichten verbreitete Zahl von 1.000 Demonstrierenden wohl etwas zu hoch gegriffen.
Ich habe nicht viel von der Demo gesehen, aber es fiel schon auf, dass hier – im Gegensatz zu vielen anderen DGB-Demos, die ich in Kiel erlebt habe – eine gewisse Dynamik aus der Belegschaft selber kam.
Anstatt des üblichen Bildes vereinzelter ver.di-Betriebsgruppen, die alle paar hundert Meter mal rasseln oder trillerpfeifen, war ein großer Block von kollegial mit einander umgehenden Menschen zu sehen; die Demo hatte durchaus einen kollektiven Charakter, die Demospitze mal ausgenommen.
Während die Parolen in erster Linie Protestallerlei à la „Standort erhalten“ transportierten, ging es hingegen auf den Transpis zu Weilen um das schon angesprochene Verbreiten von Sorge um die Effizienz des militärischen Betriebes: Vor allem große ‚WARUM???‘-Transpis – die Fragezeichen auf dem Fronttranspi in den Farben Schwarz-Rot-Gold – sollten die Entscheidung zur Schließung des Marinearsenals in Kiel als Fehler von nationaler Tragweite darstellen. Hinzu kamen dann noch ‚Betrug am Steuerzahler‘ und ähnliches.
Kannst Du zum Verlauf der Demo noch etwas sagen? Waren es hauptsächlich Beschäftigte des Marinearsenals?
Die Gruppe der dort Beschäftigten war mit Sicherheit die Größte – alles andere wäre ja auch paradox – aber ob sie auch den Hauptteil der Demo ausmachte, lässt sich schwer einschätzen. ver.di hatte groß aufgefahren, schließlich war es offiziell auch keine Demo der bei ver.di organisierten Beschäftigten des Marinearsenals, sondern von ver.di Nord.
Hinzu kamen dann noch das Demoestablishment des DGB in Kiel und vor allem die SPD, immerhin war auch der designierte SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl im nächsten Jahr und Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig als Redner dabei. Sogar aus Reihen der CDU war zu der Demo mobilisiert worden. Ein Highlight der Demoinszenierung war zudem, als der Zug am Tor der HDW, Howaldtswerke-Deutsche Werft GmbH, ankam und dort von etwa 30-40 IG Metall-Mitgliedern empfangen wurde.
Was wurde in den Reden gefordert? Standortpolitik für eine effiziente Bundeswehrstruktur?
Dies war tatsächlich bei allen Reden Tenor. Das ist ja auch durchaus üblich auf Demonstrationen von DGB-Gewerkschaften: dass sich die Semantik des Aufrufs zwecks plakativer Außenwirkung in allen Reden wiederholt.
Die Politiker Albig und Kruber – der Vorsitzende der Kieler CDU-Ratsfraktion – hauten vehement in diese Bresche, sodass es auch nur Zitate wie „Warum ist das, was 150 Jahre für die Marine gut war, jetzt nicht mehr gut?“ von denen in die Presse geschafft haben.
Die Rede von Irene Streusloff, Vertreterin der Auszubildenden im Arsenalbetrieb, zielte zum Einen auf die Zukunftssorgen der Auszubildenden im Angesicht der Schließung, aber auch auf die Qualität des Know-Hows, die Motivation, etwas für die Marine zu leisten, etc. ab. Wie gesagt: Die Standort- und Effizienzlogik im Sinne der Marine war das übergeordnete Leitmotiv.
Gab es Protest, als Torsten Albig als SPD-Spitzenpolitiker geredet hat?
Davon ist mir nichts bekannt. Ich denke, er hatte als Stargast unter den RednerInnen die Sympathien größtenteils auf seiner Seite, zumal er als möglicher Ministerpräsident 2012 die Schließung des Marinearsenals in Verhandlungen mit Berlin noch verhindern oder zumindest modifizieren könnte.
Der Aufruf von ver.di liest sich wie aus der Sicht der Marine verfasst – gab es innerhalb von ver.di, unter DGB-Leuten Kritik da dran?
Es gibt in Kiel innerhalb von ver.di und dem DGB eine recht bunte und aktive Clique von Altlinken plus jüngerem Dunstkreis, die oft parallel bei Attac oder der DKP oder sonst wo dabei sind. Es engagieren sich auch viele Die Linke-Mitglieder in den Gewerkschaften. Zumindest die mir bekannten Gesichter sind der Demo ferngeblieben, und es fand sich auch keine der Flaggen irgendwelcher Organisationen aus dem, naja, linken Spektrum – ich meine jetzt auch MLPD, Arbeit Zukunft usw. – auf der Demo, obwohl die sonst zu jeder DGB-Aktion rennen.
Aber explizite Kritik habe ich aus den Reihen der Linken bei ver.di und dem DGB nicht vernommen. Ich vermute, dass da auch viel Taktik dabei ist: Mit einer Teilnahme an der Demo würden sie sich unglaubwürdig machen, da sie sich ja sonst auch immer gegen Krieg und Militarismus positionieren, mit einer offensiven Kritik würden sie aber in der eigenen DGB-Gewerkschaft an Standing verlieren.
Warum wurde keine Beschäftigungskonversion gefordert, mit gut bezahlten, abgesicherten Arbeitsmöglichkeiten und sinnvollen, nicht-militärischen Tätigkeiten?
Nun ja, in Hinblick auf die Bundeswehrreform und die nun mal von privaten Unternehmen dominierte Hafenwirtschaft sind die Beschäftigten des Marinearsenals überschüssiges Humankapital, das gerade nicht profitabel angelegt werden kann.
Da ver.di diesen Charakter der Subjekte in der Lohnarbeit komplett verinnerlicht hat, kommt diese Gewerkschaft nicht im Traum auf die Idee, den Staat aufzufordern, ‚nur‘ für das Wohl der Menschen in eine neue Produktion einzusteigen.
Allerdings wäre es ja auch möglich, vom Staat zumindest die Weiterzahlung der vollen Löhne und Sozialleistungen für alle Beschäftigten zu fordern, bis sie eine neue, gleichwertige Arbeit gefunden haben bzw. bei einer Verschlechterung die Differenz zu begleichen.
Aber solche Forderungen würden enormen Druck erfordern, und einen solchen auszuüben ist ver.di nicht willens. Da ist es der leichtere Weg, als Think-Tank der Bundeswehr aufzutreten, anstatt mit der Perspektive der eigenen Mitglieder mit den Interessen der Marine selbst zu argumentieren.
Mit welcher Kritik hält die FAU Kiel dagegen?
Neulich habe ich in diesem Zusammenhang einen passenden Spruch gehört: „Wenn es in Deutschland noch offizielle Henker geben würde, dann gäbe es auch DGB-Demos zum Erhalt von Hinrichtungskammern“. Grundsätzlich stellen wir heraus, dass uns – im Gegensatz zu den DGB-Gewerkschaften – der Sinn und Zweck von Wirtschaft und Produktion nicht egal sind. Das Unpolitische bei ver.di schlägt ja gerade bei einer solchen Demo in totale politische Affirmation um: Bejahung des Militarismus. Es kann einer Gewerkschaft nach unserer Auffassung nicht darum gehen, die Menschen als funktionierende Werkzeuge auf die verschiedenen Stellen der Lohnarbeitsmühle zu verteilen und sie dort so lange wie möglich zu halten, ohne eigene Positionen zu den Tätigkeiten selbst zu entwickeln.
Wie ver.di die Proteste gegen die Verschlechterung von Lebensbedingungen der eigenen Mitglieder in eine Demonstration für das Wohlergehen des deutschen Militärs umfunktioniert hat, finden wir abstoßend.
ver.di trägt hier dazu bei, dass militaristisches Denken in der breiten Masse der Gesellschaft verankert wird. Wenn sich Gewerkschaften und Parteien zusammen tun, um für ein gut funktionierendes Militär zu kämpfen, kann schon von Militarismus in der ideologischen Bedeutung des Wortes geredet werden. Außerdem: Internationale Solidarität als historischer Grundsatz der ArbeiterInnenbewegung mag für ver.di Schnee von gestern sein, ist für uns aber immer noch wesentlich. Armeen stehen zu diesem Grundsatz diametral.
Mal abgesehen davon, dass in BRD und EU das Militär immer weiter auch zu einer Instanz zur Bekämpfung sozialer Unruhen im Inneren ausgebaut wird – spätestens hier zeigt sich die soziale Verantwortung einer Gewerkschaft in der Auseinandersetzung mit der Bundeswehr – ist es auch ein erschreckendes Zeichen für die Art der Vergesellschaftung von Subjekten, wenn in diesen Zeiten die Produktionsziele der Bosse komplett von Gewerkschaften verinnerlicht werden. Das gilt für das Beispiel der Proteste gegen die Schließung des Kieler Marinearsenals besonders, weil die Produktionsziele im Endeffekt auf Kriegsführung abzielen.
Aber auch ansonsten stößt es uns immer wieder vor den Kopf, wenn Gewerkschaften nicht den Gegensatz zwischen den EignerInnen der Produktionsmittel und den Beschäftigten aufmachen, sondern die Unternehmen mit dem Humankapitalwert der Menschen zu überzeugen versuchen.
Das führt dann immer dazu, dass in endlosen Verhandlungen schlimmste Verschlechterungen von Arbeitsverhältnissen hingenommen werden, solange nur ein oftmals geringer Teil der Beschäftigten im Betrieb verbleibt – und das wird dann auch noch als Erfolg gewertet. Wer so auftritt, befindet sich von vorneherein in der Defensive. Dass es mittlerweile nun schon so weit gekommen ist, dass speziell ver.di und allgemein der DGB in gesellschaftlicher Überkonformität allgemeine Empörung über eine vermeintliche Gefährdung der militärischen Leistungsfähigkeit des deutschen Staates zu entfachen versuchen, spricht Bände.
Wie hat sich die linke Szene verhalten, wurde Eure Kritik an ver.di unterstützt?
Wir haben nicht zu irgendwelchen Gegenaktivitäten oder ähnlichem mobilisiert. Ich denke, aus der linken Szene, wenn wir diese mal auf Autonome und andere AntikapitalistInnen beschränken, haben kaum Leute im Vorfeld etwas von der Demo mitbekommen, und daher gab es da auch keine wahrnehmbaren Aktivitäten. Es gibt in Kiel traditionell eine relativ starke antimilitaristische Szene, doch die hatte diese Demo nicht auf dem Schirm, und wir haben auch keinen Kontakt zu diesen Kreisen gesucht, um da was Größeres aufzuziehen. Das war auch nicht unsere Intention.
Wir wollten uns offensiv von der Demo und vor allem dem Aufruf ver.dis distanzieren, weil in diesem behauptet wurde, alle gewerkschaftlichen Kräfte würden zur Teilnahme an der Demo auffordern. Da mussten wir natürlich einen Kontrapunkt setzten. Ich denke, unsere Kritik ist in der linken Szene wohlwollend zur Kenntnis genommen worden, hat aber keine weiteren Auseinandersetzungen geschweige denn Aktionen hervorgerufen.
Wollt Ihr dran bleiben am Thema: Weg von Arbeiten für die Bundeswehr?
Antimilitarismus ist eine unserer Grundüberzeugungen und somit immer aktuell in unserem Handeln.
Wir lehnen aber StellvertreterInnenpolitik ab und wollen uns nicht als die wahre Stimme der Beschäftigten inszenieren. Vielmehr vertreten wir einfach unsere Standpunkte und möchten unsere Kritik an den Verhältnissen deutlich zum Ausdruck bringen, und solche promilitaristischen Demonstrationen wie die von ver.di verlangen auch dringend danach.
Ob sich daraus nun mehr entwickeln kann, ob aus der Kritik auch substantieller Protest entsteht, lässt sich jetzt nicht abschätzen. Unsere Schwerpunkte liegen jedenfalls eher auf der Stärkung der Selbstorganisation von Beschäftigten und einer eigenen kämpferischen Praxis.
Vielen Dank für das Interview!