kultur

Rendezvous bei Boris Vian

In Paris engagiert sich die "Fond'Action Boris Vian" für den Prinzen von Saint Germain

| Jorinde Reznikoff / KP Flügel

Im rebellischen Existenzialistenkreis der Pariser Nachkriegsjahre bleibt Boris Vian - der "Prinz von St. Germain" (1) - bis heute eine der inspirierendsten Persönlichkeiten.

Als Skandal umwitterter Schriftsteller, surrealistischer Dichter zärtlich-skurriler Melancholie, Texter aufrüttelnder Chansons, Tänzer und Trompeter freiheitsdurstiger Jazz-Musik sowie perfektionistischer Ingenieur und euphorischer Fan alter Autos – und all‘ das auf 39 kurze Lebensjahre zusammengeballt – durchbricht und vereint er alle Kategorien auf spielerische Weise. Dynamit für heute. (2)

Seit 1981 widmet sich die „Fond’Action Boris Vian“ seinem Schaffen, organisiert und unterstützt Forschungsarbeiten, Soiréen und Ausstellungen, kooperiert, wie im letzten Jahr bei der Herausgabe von Vians Romanwerken in der französischen Klassiker-Reihe „La Bibliothèque de la Pléiade“, oder empfängt Medienleute wie uns, die begierig sind, mehr über Boris Vian zu erfahren.

Wer gedacht hat, Boris Vian habe sein Domizil im Existenzialisten-Viertel zwischen den Cafés „Le Flore“ und „Deux-Magots“ gehabt, sieht sich getäuscht. Vielmehr führt unsere Spurensuche durch das sündig verruchte Pigalle-Viertel in die Cité Véron, die sich in einer leicht zu übersehenden Sackgasse direkt neben dem Moulin Rouge versteckt.

In den ehemaligen Künstlerlogen dieses legendären Variété-Etablissements wohnte Boris Vian. Und in eben diesem von ihm eigenhändig umgebauten Appartement hat die Fond’Action ihren Sitz.

Genau hier empfangen uns Nicole Bertolt und Christelle Gonzalo.

Nicole Bertolt hat Ursula Vian, die 2010 verstorbene, zweite Frau von Boris Vian, 1980 kennengelernt. Seither ist sie von ihr und dann von ihrem Sohn Patrick Vian mit der Repräsentanz des Vian’schen Oeuvres in der „Fond’Action Boris Vian“ beauftragt. Dabei wird sie seit 2000 von der Literaturhistorikerin Christelle Gonzalo unterstützt.

„Wir wollen die Erinnerung an Boris Vian wach und lebendig halten. Vor allem suchen wir den Dialog mit der jungen Generation, den Kontakt zu Universitäten und zu Museen, auch zum Centre Pompidou“, erzählt Nicole Bertolt.

„Die Schriften von Boris Vian sprechen heute gerade junge Menschen an, sie klingen frisch und lustig, sind politisch ,unkorrekt‘ und verstören. Boris Vian hat sich immer für freie, alternative, libertäre Zeitschriften und Radiosendungen sowie vielfältige Projekte der Gegenöffentlichkeit eingesetzt.

Heute ist er in der offiziell-französischen Kultur, sogar im Schulunterricht, angekommen.

Alle kennen ihn, ohne ihn zu kennen, wie so viele Klassiker. Unsere wichtigste Arbeit besteht darin, Boris Vian als Persönlichkeit sichtbar zu machen – als jemanden, der alle Künste der Moderne hochsensibel und spielerisch miteinander zu vereinen wusste. Und dabei leicht zugänglich bleibt und Lust auf mehr macht – wie ein großer Bruder.“

„Das hatte Dynamit!“

Vian hatte die Absicht, Bestseller zu schreiben, und setzte zur Erreichung dieses Ziels bewusst auf Provokation. So auch bei seinem ersten Buch, dem antirassistischen Sex & Crime-Thriller „Ich werde auf eure Gräber spucken“, welches unter dem Pseudonym Vernon Sullivan erschien (3).

Aber wurde sein kritisches Anliegen dahinter verstanden?

„Boris Vian kannte ja alle Jazz-Größen seiner Zeit, Miles Davis, Dizzy Gillespie, Duke Ellington…, er wusste um den Jazz und die Probleme der Schwarzen in Amerika. Nur wollte das damals niemand wahr haben. Denn die Amerikaner hatten die Franzosen ja befreit. Das hatte Dynamit! Vian wollte akzeptiert und verstanden werden. Umso enttäuschter war er, als seine dem Skandalerfolg folgenden Romane zu Lebzeiten auf Desinteresse stießen. Besonders verletzte es ihn, dass sein letzter, vielleicht bedeutsamster Roman ‚Der Herzausreißer‘ (4) nur mühsam einen Verleger fand. Er schrieb seiner Frau damals: ‚Es ist merkwürdig: Wenn ich seriös schreibe, denkt man, das sei ein Schabernack. Wenn ich witzig schreibe, hält man es für ernst.‘ Darin lag zu Lebzeiten die ganze Ambiguität Vians“, so Nicole Bertolt.

Das Glück jedes Einzelnen ist wichtiger als …

Boris Vian verkehrte unter den ExistenzialistInnen, und Sartre sorgte dafür, dass er bei „Les Temps modernes“ seine „Chronik des Lügners“ veröffentlichen konnte. „Wenn Sartre als der Ältere und Berühmtere der Papst dieser Bewegung war, dann war Vian ihr Prophet“, meint Nicole Bertolt.

Doch verstand sich Vian überhaupt als Existenzialist?

Darauf antwortet Christelle Gonzalo: „Sartre und Camus forderten von Künstlern ein politisches Engagement. Das Geschriebene sollte eine politische Bedeutung haben. Diese Auffassung teilte Vian nicht. Er schrieb, um den Menschen im Imaginären einen Ausweg anzubieten – durch Sätze, welche sie so noch nie gelesen hatten. Vian liebte zu spaßen: ‚Für die Existenzialisten geht die Existenz der Essenz voraus, für mich gibt es keine Essenz.'“

Und Nicole Bertolt fügt hinzu: „In ‚Der Schaum der Tage‘ steht sinngemäß der Satz, dass das Glück jedes Einzelnen wichtiger sei als das Glück von allen.“

Zum Abschluss erfahren wir noch, dass der jetzt 81-jährige Schauspieler Jean-Louis Trintignant mit einer musikalischen Lese-Revue unter dem Titel „Trois poètes libertaires“ an Boris Vian erinnert und ihn in einen Kontext zu Jacques Prévert und Robert Desnos setzt (5).

(1) Klaus Völker, Boris Vian: Der Prinz von Saint-Germain, Wagenbach. Nach wie vor die gelungenste Skizze zu Boris Vian und der "legendären Kulturrevolution" des Nachkriegs-Existenzialismus.

(2) Siehe auch: Concert for Anarchy, Boris Vian: Der Deserteur, Artikel von Horst Blume, in: Graswurzelrevolution Nr. 257, März 2001, www.graswurzel.net/257/concert.shtml

(3) Boris Vian, Ich werde auf eure Gräber spucken, Zweitausendeins

(4) Boris Vian, Der Herzausreißer, Zweitausendeins

(5) Trintignant u.a., Vian, Prévert, Desnos, CD, Universal