Gegen Bradley Manning, der vermutlich die Quelle der sog. "Cablegate"-Unterlagen ist, die Wikileaks veröffentlich hatte - einschließlich des "Collateral Murder" genannten Videos, auf dem der tödliche Einsatz eines Kampfhubschraubers gegen 12 ZivilistInnen zu sehen ist -, ist im Dezember letzten Jahres das Vorverfahren nach US-amerikanischem Militärrecht durchgeführt worden. Wirkliche Überraschungen traten dabei nicht ans Licht, allerdings wurden die Einseitigkeit des Verfahrens und der absolute Verurteilungswille des Militärs vorab mehr als deutlich zur Schau gestellt.
Am 13. Juni 2011 wurde zunächst ein anderer Fall „geleakter“ Informationen historisch abgeschlossen: Die sogenannten „Pentagon-Papiere“ über den Vietnamkrieg, die Daniel Ellsberg seinerzeit kopiert und an die Presse weitergegeben hatte, wurden exakt 40 Jahre nach der ersten journalistischen Verwertung komplett veröffentlicht. (1)
Sie belegen, dass der Krieg lange geplant, mit Lügen fortgeführt und auch dann noch aufrecht erhalten wurde, als die USA einen Sieg aus militärischer Sicht für nicht mehr möglich hielten.
Doch dieses Datum markiert keineswegs eine Umkehr der US-Administration im Umgang mit Whistleblowern.
Zwar wurden in Obamas Amtszeit Verbesserungen zum Schutz von „Geheimnisverrätern“ durchgesetzt, soweit sich die Enthüllungen auf problematische Vorkommnisse in der Privatwirtschaft beziehen. Sind aber staatliche bzw. militärische Interessen betroffen, ist es aus mit der neuen Offenheit – Manning ist bereits der fünfte als „Spion“ Verfolgte unter Obama, der auf staatliche Missstände aufmerksam machen wollte.
Am 16. Dezember 2011 war es dann soweit, die Anhörung im Vorverfahren begann, über anderthalb Jahre nach der Festnahme Mannings im Irak. (2) Geklärt wird in diesem Verfahren der Umfang der Anklage, das Verfahren endet mit einer entsprechenden Empfehlung, ob Manning vor ein Kriegsgericht gestellt werden soll. Die abschließende Entscheidung hierüber liegt bei dem Kommandeur des Militärbezirks von Washington.
Das Verfahren beginnt nicht sehr viel anders, als man das von politischen Prozessen gewohnt ist – die Justiz, in diesem Fall die Militärjustiz, zeigt sich empfindlich, schüchtert ein und gibt alles in allem ein eher lächerliches Bild ab: akribische Sicherheitskontrollen wie auf US-Flughäfen, so dass der Einlass zwei Stunden vor Verhandlungsbeginn erfolgt und jeder spätere Wechsel von öffentlicher zu nicht-öffentlicher Verhandlung und umgekehrt jeweils 20 Minuten in Anspruch nimmt.
Der Vorsitzende des Verfahrens, Oberstleutnant Paul Almanza, verwendet dann zunächst geraume Zeit darauf zu erklären, dass Störungen strengstens verboten seien, ansonsten würden die ZuschauerInnen aus dem Saal entfernt. Die anwesende Öffentlichkeit einschließlich der Presse darf keine elektronischen Geräte nutzen.
Als der Verteidiger Mannings, David Coombs (3), sich einmal während seiner Ausführungen an die ZuschauerInnen wendet, giftet Almanza diesen an, zu wem Coombs hier spreche, woraufhin dieser klarstellt, dass das Verfahren öffentlich sei und daher seine Ausführungen auch für die Öffentlichkeit bestimmt seien.
Daniel Ellsberg wagt es in einer Verhandlungspause, Manning zu begrüßen und ihm dabei die Hand auf die Schulter zu legen – er wird daraufhin sofort aus dem Gericht eskortiert, später aber wieder hereingelassen.
Bereits im Juni 2011 war es zu der Vernehmung von David House, einem Freund von Manning und Mitbegründer des „Bradley Manning Support Networks“, gekommen.
Das Gericht versuchte, bei der Vernehmung zunächst zu verhindern, dass House – der die Aussage im Übrigen verweigerte – sich selbst Notizen machen durfte, rückte von diesem Vorhaben nach einiger Diskussion schließlich aber ab.
Die Anhörung beginnt inhaltlich schließlich mit der Ablehnung Almanzas wegen Befangenheit. Almanza ist im zivilen Leben Staatsanwalt im Justizministerium, welches an einer strafrechtlichen Verfolgung von Julian Assange arbeitet.
Trotz des auf der Hand liegenden Interessenkonflikts scheitert die Ablehnung (Almanza: „Ich denke nicht, dass eine vernünftige Person, die alle Umstände kennt, zu dem Glauben kommen könnte, dass meine Unparteilichkeit infrage steht“), eine Beschwerde hiergegen wird noch in der Nacht verworfen.
All das klingt wie aus einem Strafprozess gegen einen Totalen Kriegsdienstverweigerer am Amtsgericht Kleinkleckersdorf, aber hier steht doch etwas mehr auf dem Spiel – ganz nüchtern zunächst das Leben von Bradley Manning.
Zwar betont die Militärstaatsanwaltschaft immer wieder, dass sie nicht die Todesstrafe fordern werde, allerdings ist das Ziel, auf welches dieses Verfahren zurzeit auch geradewegs zusteuert, eine lebenslange Freiheitsstrafe unter Ausschluss einer vorzeitigen Entlassung. Die lebenslange Inhaftierung soll also die „gerechte Strafe“ dafür sein, dass ein Soldat Kriegsverbrechen aufdeckt und mit der Veröffentlichung politischer Geheiminformationen über Korruption die politischen Umbrüche im Nahen Osten zumindest unterstützend flankiert.
Die Anhörung dauert statt geplanter fünf am Ende sieben Tage. Die Medien in den USA sind auffällig desinteressiert, die ausländische Berichterstattung überwiegt; bei Twitter schafft Manning es dafür zeitweise, zum Topthema zu werden.
Während die 20 ZeugInnen der Anklage zugelassen und (teilweise telefonisch) befragt werden, werden von den 48 ZeugInnen der Verteidigung neben acht, die auch von der Anklage benannt wurden, ganze zwei weitere ZeugInnen zugelassen.
Die ZeugInnenvernehmung bringt einige neue behauptete Tatsachen hervor, die die „Täterschaft“ Mannings beweisen sollen, vor allem aber lässt sich ablesen, dass das Verhandlungsziel zugleich ist, Beweise dafür zu sammeln, dass Julian Assange die Daten nicht nur entgegennahm, sondern Manning auch aufforderte und dabei behilflich gewesen sein soll, konkrete Informationen zu beschaffen. Gelänge es, dies nachzuweisen, fiele die Veröffentlichung durch Wikileaks nicht mehr unter die Pressefreiheit, sondern Assange könnte wegen Verschwörung angeklagt werden. (4)
Die Untersuchung des Laptops Mannings habe auch Spuren des Chats aufgewiesen, den Manning über die Weitergabe der Daten an Wikileaks mit dem Hacker Adrian Lamo geführt haben soll, welcher Manning anschließend an die US-Behörden verriet.
Bisher waren nur die Aussage Lamos und Chat-Logs auf dessen Seite als Indizien für Mannings „Täterschaft“ angeführt worden. Daneben sei ebenfalls ein Chat-Log mit Assange gefunden worden.
Weiterhin wurden viele Dateien mit Geheiminformationen auf der Festplatte gefunden, die gelöscht waren (allerdings nur so, dass sie wieder hergestellt werden konnten).
All diese Indizien und Aussagen unterliegen aber auch Widersprüchen und Zweifeln. So war der Rechner nicht passwortgeschützt, und andere Soldaten der Einheit hatten ebenfalls Zugang zu dem Rechner und nutzten diesen auch.
Die gefundenen gelöschten Dateien waren auf Nachfrage auch keineswegs deckungsgleich mit den von Wikileaks veröffentlichten.
Im Lamo-Chat soll Manning erklärt haben, dass er seinen Rechner „zero-filled“ habe, die gelöschten Daten also überschrieben worden und daher nicht mehr nachweisbar seien.
In der Anhörung hieß es hierzu dann, man habe feststellen können, dass der Rechner früher tatsächlich „zero-filled“ wurde, die gefundenen, oberflächlich gelöschten Dateien aber später auf die Festplatte gelangt seien – dann aber sind diese (nachgewiesenen) Daten zumindest sicher nicht die gewesen, die Wikileaks erreicht haben.
Es dürfte nach diesen Aussagen auf der einen Seite schwer fallen oder gar unmöglich sein, „mathematisch sicher“ Manning als den Leaker zu überführen. Auf der anderen Seite sind die Indizien in der Summe erdrückend und dürften für das Kriegsgericht und alle Instanzen ausreichen, Manning zu verurteilen; bemerkenswert ist dennoch, mit welcher Dreistigkeit Indizien in Beweise umgedeutet werden sollen.
Die Verteidigung versucht auch gar nicht ernsthaft, die „Täterschaft“ in Abrede zu stellen. Allerdings wird es wohl auch kein Geständnis Mannings, vermutlich gar keine Aussage geben. Dies mag einerseits verständlich sein, da jedes Detail einer Aussage in einem Verfahren gegen Assange zur Belastung werden könnte. Teilaussagen – also der Verzicht auf das komplette Schweigen, aber die Aussparung dessen, was die Behörden interessiert – können hingegen strafverschärfend wirken.
Und das Ziel der Verteidigung ist offensichtlich, alle Parameter so einzurichten, dass man am Ende unter dem endgültigen „Lebenslänglich“ liegt, wobei Coombs als Verteidiger schon sehr pragmatisch orientiert sein muss, wenn er selbst ein Strafmaß gewissermaßen vorgibt: „30 Jahre Haft“ seien „mehr als genug“…
Die Verteidigungsstrategie zielt damit auf Randparameter: Viele der geleakten Dokumente hätten gar nicht als „geheim“ klassifiziert sein dürfen, insofern liege dort auch kein Geheimnisverrat vor; auch seien die nationale Sicherheit nicht bedroht worden und kein nachweisbarer Schaden entstanden (Hillary Clinton war hierzu von der Verteidigung als Zeugin benannt worden); schließlich hätte Manning, dessen angeblich instabiler psychischer Zustand – u.a. auf Grund seiner Homosexualität – in der Armee bekannt gewesen sei, gar nicht Zugang zu streng geheimem Material haben dürfen; langfristig zielt Coombs mit dem Verweis auf die psychischen Belastungen Mannings auch grundsätzlich auf die Strafzumessung.
Höchst problematisch dabei ist, dass die Frage der Rechtfertigung der Weitergabe des Materials bisher nicht einmal erwähnt wurde und scheinbar auch im weiteren Verfahren keine Rolle spielen soll. Coombs ist selbst Exsoldat, und sowohl für Coombs als auch in der breiten öffentlichen Wahrnehmung in den USA ist eine Rechtfertigung der Manning vorgeworfenen „Taten“ scheinbar weitgehend undenkbar.
Selbst unter pragmatischen Gesichtspunkten wie der drohenden und wohl auch anvisierten horrenden Strafe macht eine Entpolitisierung wenig Sinn.
Wenn man davon ausgeht – und alles andere dürfte im Bereich der Illusion liegen -, dass das Verfahren gegen Manning als Schauprozess zur Abschreckung angelegt ist, dürfte sich die Strafhöhe einzig daran orientieren, ob Manning zu einem – wohl in der Untersuchungshaft schon mehrfach angebotenen – Deal bereit ist, gegen Assange auszusagen; und scheinbar ist Manning das ganz und gar nicht.
Dann aber dürften taktische Überlegungen, wie man das Kriegsgericht am Ende „milde“ stimmt, nicht weniger illusorisch sein.
Selbst wenn Coombs es schaffen sollte, einzelne Anklagepunkte zu eliminieren – am Ende steht die Frage, ob Manning wegen „Kollaboration mit dem Feind“ verurteilt wird, welches eben theoretisch die Todesstrafe und praktisch zumindest die lebenslange Haft mit sich brächte. Und auch der „Feind“, dem Manning in die Hände gespielt habe, wurde schon konkret benannt: Ein Video zeigte ein angebliches Al-Quaida-Mitglied, welches seine Mitkämpfer zur Verwendung von Wikileaks aufruft… Das ist zwar eigentlich zwischen „dünn“ und „peinlich“, aber es sollte überraschen, wenn ein solcher präsentierter „Beweis“ am Ende für das Militär nicht Grundlage genug wäre, die Sanktion zu verhängen, die man für politisch angemessen hält.
(1) www.archives.gov/research/pentagon-papers
(2) Zu den Vorgängen zwischen Verhaftung und Vorverfahren, insbesondere zu den Haftbedingungen vgl. Detlev Beutner, "Dem eigenen Staat hat jeder Staatsbürger die Treue zu halten" - Bradley Manning, Whistleblowing und "Landesverrat", in: Graswurzelrevolution Nr. 360, Sommer 2011, S. 1 u. 3, www.graswurzel.net/360/manning.shtml
(3) Coombs ist in diesem Verfahren ziviler Strafverteidiger; zuvor war er Soldat (als Militärjurist), u.a. im Irak; en.wikipedia.org/wiki/David_Edward_Coombs
(4) Im Auslieferungsverfahren Großbritanniens gegen Assange erfolgt am 1.2.2012 eine Anhörung vor dem Supreme Court, bei dem das letzte Rechtsmittel gegen die bisher von den Gerichten als zulässig angesehene Auslieferung nach Schweden anhängig ist.