Während sich unter der Erde ein enormer Reichtum befindet, ist auf der Oberfläche glänzende Misere angesagt. Seit 1969 wird in der Silbermine in Imiter (Zentralmarokko) Edelmetall abgebaut, ohne jedoch, dass die Lokalbevölkerung und die Region davon profitieren.
8. Januar 2012 in Zentralmarokko (Provinz Ouarzazate), in Imiter, einer kleinen Gemeinde, 35 Kilometer östlich von Tinghir.
Ich steige aus dem Taxi. Mit mir vier weitere EuropäerInnen. Vor uns der auf 1400 Meter liegende Mont Alebban, den wir erst bezwingen müssen, ehe wir am Puls des Protests angekommen sind: auf dem Gipfel befindet sich nämlich der Wasserturm, der die Region und damit auch die lokale Silbermine hauptsächlich mit Wasser versorgt, oder besser: versorgen sollte.
Seit aber 2004 am Fuße des Hügels ein zweiter Brunnen gebohrt wurde, welcher die Mine zusätzlich ernährt, begannen die Wasserreserven markant zu schwinden. Vergangenen Sommer hatten die 8000 DorfbewohnerInnen dann nur noch wenige Minuten pro Tag fließend Wasser. Sie mussten zusehen, wie ihre Felder austrockneten, die Ernte vor die Hunde ging – einmal mehr. Hinzu kam, dass den lokalen Studenten (sie kehrten aus Marrakesh usw. zurück) die vertraglich fest geregelten Saison-Jobs in der Mine verweigert wurden.
So wurde erstmals demonstriert und später, am 1. August 2011, besetzten über 1.000 BürgerInnen in einem Akt zivilen Ungehorsams den Wasserturm und schlossen den Schieber der Wasserleitung (siehe Foto), die zur Silbermine führt. Sie hatten das Geschehen satt, drückten auf diese Weise ihren Unmut aus, und verschafften sich so wieder Zugang zu Wasser. Auf ein Leben in Würde – der Reichtum der Mine würde dies möglich machen – warten sie allerdings noch immer.
Reicher Fundort, arme Bevölkerung
Die Silbermine in Imiter wird seit 1969 über die Société métallurgique d’Imiter SMI ausgebeutet, welche vom staatlichen Bureau Recherches et Participations Minières BRPM ins Leben gerufen wurde. 1996 wurde die SMI privatisiert, die Mehrheit gehört seither der Omnium Nord Africain ONA, der größten Industrie- und Finanzgruppe Marokkos.
An dieser wiederum ist der marokkanische Staat über die Société Nationale d’Investissement SNI mit gut einem Drittel der Aktien beteiligt. Das heißt: indirekt ist der marokkanische Staat für die Ausbeutung verantwortlich und damit auch für die Misere der Bevölkerung.
Denn: Metall ist im islamischen Marokko als Gemeingut der Bevölkerung und des Staates deklariert. Normalerweise müssten im Rahmen des im Koran verankerten zakat 20 Prozent des Benefiz den Armen und Bedürftigen, in diesem Falle der Lokalbevölkerung, zugute kommen. Nicht so aber in Imiter: vom enormen Reichtum der größten Silbermine Afrikas (zehntgrößte weltweit), welche 200 Tonnen jährlich abbaut, einen Jahresumsatz von etwa 300 Millionen Dirham (ein Euro = ung. 10 Dirham) und einen Gewinn von gut 100 Millionen Dirham aufweist, bekommt die Lokalbevölkerung nichts ab.
Der Reichtum der Mine fällt weder ökonomisch noch sozial auf die gut 8000 Fellachen zurück. Im Gegenteil: das Grundwasser trocknet sukzessive aus und die giftigen Abfälle wie z.B. Cyanid oder Quecksilber stellen ein großes Risiko für die Bevölkerung und die Umwelt dar.
Bereits 1986, 1996 und 2004 lehnten sich die BürgerInnen gegen die Ausbeutung und dessen Folgen auf, ohne aber, dass sich an der täglichen Misere wirklich etwas änderte.
Sozio-ökonomische Forderungen
Zurück im Sit-In: vor Ort sind einige Dutzend Zelte, es wehen vorwiegend Berber-, aber auch Marokko-Fahnen im lauen Wind. Die Stimmung ist friedlich, es wird Minzentee getrunken und Brot in Olivenöl getüncht. Frauen und Männer sind da, vorwiegend Arbeitslose, aber auch den Unterricht boykottierende SchülerInnen. Sie solidarisieren sich mit ihren Eltern und machen seit Wiederbeginn der Schule im Herbst blau und drohen mit einem année blanche.
Muha, ein junger, arbeitsloser Aktivist, erläutert die Forderungen der aufgebrachten Bevölkerung: „Wir wollen, dass die Ausbeutung fortan solidarisch und im legalen Rahmen geschieht. Soll heißen: offizielle Bewilligungen, die im Respekt mit der Umwelt und der landwirtschaftlichen Tätigkeiten der DorfbewohnerInnen stehen.“
Für die jahrlangen Verluste fordern die Fellachen eine Entschädigung. Die lokalen Arbeitslosen, viele von ihnen sind diplomiert, sollen von der SMI angestellt werden. Und schließlich werden Investitionen in die Infrastruktur der Gemeinde und der Region Boumalne Dadès, d.h. Verbesserung der Strassen, der medizinischen Versorgung und der Schule gefordert, „um uns sozio-ökonomisch ein würdiges Leben zu ermöglichen“, resümiert Muha.
Der Kampf geht weiter
Das Sit-In dauert mittlerweile schon mehr als sechs Monate, doch Verhandlungen zwischen der Lokalbevölkerung und der SMI sind noch immer erfolglos. Brahim, auch er ein arbeitsloser Aktivist, erklärt: „Die SMI hat vorgeschlagen einige Finanzierungen zu machen, um die sozialen Probleme zu lösen, nie aber eine globale Lösung vorgeschlagen.“ Er aber sieht es als die nicht abzuleugnende Aufgabe der SMI, sich an der Entwicklung der Region zu beteiligen. „Es ist schlicht inakzeptabel mit einer derartigen Wertschöpfung [Anm. d. Red.: im ersten Semester hat die SMI den Umsatz um 35.6 Prozent gesteigert] unsere Forderungen zu ignorieren.“
Der pazifistische Kampf geht also weiter, auch für den Minenarbeiter und Aktivisten Moustafa Ouchtoubane, welcher anfangs Dezember zu vier Jahren Haft wegen Silberraub und Teilnahme an Demonstrationen der MinengegnerInnen verurteilt wurde. Er ist nur einer der vielen politischen Häftlinge in Marokko. Ein Unterstützungskomitee für Ouchtoubane ist derzeit am Entstehen.
Muha meint: „Je länger wir unseren Protest aufrechterhalten, desto mehr leidet die Silbermine. Und ich kann dir versichern, die Leute hier werden nicht so schnell loslassen!“
Gegen 17 Uhr steige ich mit meinen vier europäischen FreundInnen vom Mont Alebban hinunter. Wir schließen uns dem Marsch ins Dorf zurück an.
Es sind gut 200 Personen, vorwiegend Frauen, welche einmal mehr protestieren.