ökologie

„Ein Ausstieg betrifft nicht nur die Atomkraftwerke“

Ein Gespräch mit der Umweltaktivistin Irene (Gruppe SofA - Sofortiger Atomausstieg)

| Interview: Bernd Drücke, Monika und Jonathan

In Japan, Frankreich, Belgien, Luxemburg, der Schweiz, Österreich, Polen, Deutschland und anderen Ländern fanden zum Fukushima-Jahrestag am 11. März 2012 Demonstrationen statt. (1) Dabei wurde der Opfer und den Folgen der Atomkatastrophe gedacht und eine sofortige Stilllegung aller Atomanlagen weltweit gefordert. In Frankreich beteiligten sich 60.000 Menschen an einer Menschenkette zwischen Lyon und Avignon. In Deutschland demonstrierten mehr als 50.000 Menschen. Große Demos gab es in Brokdorf, Gundremmingen, Neckarwestheim, Gronau, Hannover und in der Region um die Atommülllager Asse und Schacht Konrad. Zu den Forderungen gehörten u.a. die Einstellung der Urananreicherung in Gronau (NRW), ein Stopp der Ausfallbürgschaften für AKWs im Ausland und ein Neustart beim Umgang mit dem Atommüll. Gorleben und Schacht Konrad müssten als Endlagerstandorte aufgegeben und der Atommüll aus den Lagern Asse II und Morsleben herausgeholt werden.

Bereits am 4. Februar 2012 fand eine Internationale Urankonferenz in Münster statt. (2) GWR-Redakteur Bernd Drücke und die GWR-PraktikantInnen Monika und Jonathan sprachen darüber mit Irene. Die Aktivistin der Gruppe SofA (3) war Mitorganisatorin der Konferenz und hat am 11. März eine Rede vor 4.000 DemonstrantInnen an der Gronauer Urananreicherungsanlage (UAA) gehalten. (GWR-Red.)

Graswurzelrevolution (GWR): Ihr habt eine Internationale Urankonferenz durchgeführt. Warum? Was hat es mit dem Uran auf sich?

Irene: Bevor Atomkraft produziert werden kann, gehen viele Schritte voraus. Es fängt an mit Uranabbau, aber dieses Thema ist leider in Deutschland und auch innerhalb der Anti-Atombewegung sehr unbekannt.

Beim Uranabbau wird das Uran aus der Erde geholt. Der meiste Teil davon ist allerdings nicht verwendbar, weil der Radioaktivitätsgehalt zu gering ist. Diese Abfälle landen auf riesigen Abraumhalden und die Menschen dort erkranken sehr oft an Krebs, sterben dann daran und wissen nicht warum, weil alles radioaktiv verseucht ist.

GWR: Die UAA liegt in Gronau. Was ist das genau für eine Anlage und was wird dort gemacht?

Irene: Das Uran, das aus der Erde geholt wird, hat nicht genug Anteile an radioaktivem Material, als dass man dies in Atomkraftwerken verwenden könnte. Daher wird das Uran dann in diesen Anlagen angereichert, so dass der Anteil an radioaktivem Uran sich auf vier bis sechs Prozent beläuft. Die UAA Gronau ist die einzige Urananreicherungsanlage in Deutschland. Theoretisch könnte mit der dort benutzten Technik auch ein höherer Anreicherungsgrad erreicht werden. Damit wäre es dann möglich, Atombomben zu bauen.

GWR: Woher kommt das Uran, das in Gronau von der Urenco verarbeitet wird?

Irene: Es wird hauptsächlich in Kasachstan, Kanada, Australien und verschiedenen afrikanischen Ländern abgebaut.

Die Abbaubedingungen sind sehr unterschiedlich. Meistens führt es dazu, dass die Menschen, die ursprünglich in diesen Gebieten lebten, wie die Aborigines oder die Touareg (Niger), vertrieben werden.

Wir hatten auf der Urankonferenz auch einen Gast aus dem Niger da, wo Uran abgebaut wird. Er lebt mittlerweile in Frankreich, hat aber erzählt, dass die Menschen erst merkten, dass da was nicht stimmen kann, als viele krank wurden. In diesen Abbaugebieten gibt es eine Lebenserwartung von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, was noch mal deutlich niedriger ist als in den umliegenden Gebieten. Die Menschen dort werden von den Konzernen nicht informiert. Der größte dort beteiligte Konzern ist „Areva“ aus Frankreich.

GWR: Bereits im Vorfeld der Urankonferenz gab es u.a. auch Kletteraktionen, die Aufmerksamkeit erregten. Kannst du dazu Genaueres erzählen?

Irene: Da durch den Münsteraner Hauptbahnhof oft Urantransporte fahren, haben wir uns überlegt, dass wir dort eine Kletteraktion machen wollen. Wir haben sie gemeinsam mit AktivistInnen von „Robin Wood“ gemacht. Rund um den Bahnhof haben wir Transparente aufgehängt, so dass man in jede Richtung gucken konnte und immer ein Plakat sah. Auf diesen stand dann u.a. „Urantransporte stoppen“ und „Atomkraft den Boden entziehen“. Das hat wunderbar geklappt und gut informiert.

GWR: Wie viele Leute haben an der Urankonferenz teilgenommen? Aus welchen Regionen sind sie gekommen?

Irene: Rund 250 Menschen aus Deutschland, Polen, der Türkei, den Niederlanden, Frankreich, Niger und Russland.

GWR: Bundesweit gab es 2011 viele Anti-Atom-Demos mit teilweise 140.000 Menschen. Dieser „Druck der Straße“ hat dazu geführt, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung acht AKWs abgeschaltet hat und bis 2022 die am Netz gebliebenen neun AKWs abschalten will. Das ist kein Ausstieg. Jedes AKW am Netz stellt eine große Gefahr dar. Wie schätzt Du die Situation der Anti-Atombewegung ein? Siehst du Chancen mehr Druck auszuüben, um alle Atomanlagen stillzulegen? Wie kann die internationale Vernetzung verbessert werden, um den globalen Atomausstieg voranzutreiben?

Irene: Die Situation ist unterschiedlich. Fukushima hat dazu geführt, dass in vielen Städten neue Gruppen entstanden sind, die weiterhin aktiv gegen Atomenergie sind. Es ist allerdings nicht so, dass ein Ausstieg nur die AKWs betreffen würde.

Fakt ist, dass Urananreicherung und Brennelementefertigung in Lingen unbefristet weiterlaufen. Die Bundesregierung erteilt gerade außerdem Hermes-Bürgschaften an den Atomkonzern Areva zum Bau eines AKW in Brasilien, basierend auf Plänen aus den 70er Jahren.

Zahlreiche Umweltprobleme und mangelnde Sicherheitsvorkehrungen werden ignoriert.

Grund dafür ist die Sicherung von 5000 Arbeitsplätzen bei Areva NP in Deutschland – gleichzeitig werden mit dem Abbau der Solarförderung 100.000 Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien gefährdet. Geplant sind auch weitere Bürgschaften für AKW in Indien, Finnland, Wales und China. Da sind die Leute natürlich sauer, dass Atomenergie exportiert wird, während hier erzählt wird, Atomkraft würde abgeschafft werden.

GWR: Welche Perspektiven siehst du insgesamt?

Irene: Ich denke, dass wir es irgendwann schaffen, genügend Öffentlichkeit und Druck zu erzeugen, dass die Urananreicherungsanlage in Gronau und die Brennelementefabrik in Lingen stillgelegt werden und dass wir es hinkriegen, den Export von Atomtechnologie zu stoppen. Auch wenn es wahrscheinlich nie möglich sein wird, ein sicheres Endlager für Atommüll zu finden.

Anmerkungen

Das Interview mit Irene wurde am 13.2.2012 im Studio des Medienforum Münster geführt und als Teil einer 55minütigen Radio Graswurzelrevolution-Sendung am 19.2.2012 im Bürgerfunk auf Antenne Münster (95,4 Mhz., www.antenne-muenster.de) ausgestrahlt.