"Sie werden alle wie aus einem Bade/aus ihren mürben Grüften auferstehen,/denn alle glauben an das Wiedersehen/und schrecklich ist ihr Glaube, ohne Gnade".
Diese Verse schrieb Rainer Maria Rilke einst über die erstarkenden Neukatholiken in Deutschland.
Die heutigen DDR-Nostalgiker aber beschreiben sie ebenso gut. Wachsende soziale Unzufriedenheit und Proteste haben dazu geführt, dass sich allenthalben, knirschend-kalkig, steif und doch erschreckend lebendig, Partei- und Widergänger vergangener ostdeutscher Politwirklichkeiten aus ihren Grüften schälen, um in den Reihen einer neuen, engagierten Generation umherzuwanken und es wieder einmal schon immer gewusst zu haben.
Die „Bibliothek des Widerstands“, eine 2010 vom Laika-Verlag in Zusammenarbeit mit der Tageszeitung junge welt herausgegebene, mehrbändige Buchreihe zum politischen Widerstand im 20. Jahrhundert, ist ein besonders unappetitliches Beispiel für die Strategie, die diese Untoten dabei verfolgen, um sich (wieder) im politischen Feld zu verankern.
Dabei ist die Grundidee zur „Bibliothek des Widerstands“ eigentlich vielversprechend: Unterschiedliche Protest- und Widerstandsbewegungen (zum Beispiel die Weathermen oder die Black Panther Party in den USA), staatliche Verbrechen (etwa die Ermordung der deutschen Entwicklungshelferin Elisabeth Käsemann im Argentinien der Militärdiktatur) und politische Kampagnen des 20. Jahrhunderts werden bandweise vorgestellt und von unterschiedlichen Autorinnen und Autoren beleuchtet.
Beigefügt ist jedem Band eine DVD mit einem oder mehreren (zum Teil heute schwer zu findenden) Dokumentarfilmen.
Das ist der Köder, nach dem das Publikum schnappen soll. Denn die Herausgeber der Reihe, Willi Baer und Karl-Heinz Dellwo, haben nichts besseres zu tun, als geradezu zwanghaft jede Bewegung und jedes Ereignis mit einem Parfum aus Erich Honeckers Achselhöhlendünsten zu beträufeln.
Ein Beispiel: In Band 9 der Reihe, „Panteón Militar. Kreuzzug gegen die Subversion: Argentinien 1976-1983“, findet sich der Beitrag eines Herren Klaus Eichner über den Terror in Argentinien und die Arbeit der dortigen Geheimdienste.
Der Beitrag ist, höflich gesprochen, mäßig. Aber noch ist ja nichts passiert: Es gibt schlimmere Texte als Eichners.
Wer dann allerdings am Ende des Bandes in die Kurzbiographien der Beiträger schaut, erlebt eine Überraschung. Klaus Eichner, Jahrgang 1939, war „Mitarbeiter des MfS von 1957 bis 1990 [!]. Letzter Dienstgrad Oberst. Zunächst in der Spionageabwehr, danach in der Aufklärung (HVA) tätig.
Seit 1974 Analytiker in der Abteilung Gegenspionage, spezialisiert auf amerikanische Geheimdienste“ (S. 136).
Das „MfS“, dies sei allen Leserinnen und Lesern verraten, die erst nach 1989 auf die Welt gekommen sind, war das „Ministerium für Staatssicherheit“ der DDR. Die Stasi.
Es gibt gewiss hunderte ausgewiesener Fachleute zum Terror in Argentinien und der „Operation Kondor“, jener blutigen Kooperation der CIA mit einer Reihe südamerikanischer Geheimdienste, um „politisch Subversive“ in Süd- und Nordamerika, aber zum Teil auch in Europa, ermorden zu lassen. Für Baer und Dellwo aber muss es ein Stasi-Agent sein. Eichner wird nicht nur als neutraler Fachmann vorgestellt. Seine Schnüfflervita wird zum Ausweis seiner Kompetenz in Sachen internationaler Menschenrechte. Ehemalige Häftlinge aus den Folterzellen der DDR mögen das natürlich anders sehen.
Wer nun an einen Ausrutscher glaubt, sei herzlich eingeladen, auch einen Blick in die übrigen Bände der „Bibliothek des Widerstands“ zu werfen. Allerdings, bitte, ohne sie zu kaufen! Die propagandistische Ausrichtung ist teilweise derart grobschlächtig, dass man unwillkürlich anfängt, auch den wenigen vernünftigeren Beiträgen zu den Bänden zu misstrauen. Zwar mühen sich die Herausgeber redlich, ein Mischverhältnis unter den Texten zu finden, in dem der schnarrende Ton Karl Eduard von Schnitzlers nicht immer gleich auffällt. Oft aber genügt ein bloßes Durchblättern, um zu erkennen, wes Geistes Kind man vor sich hat. In Band 2 zum Beispiel (über die US-amerikaische Aktivistin Angela Davis) sind es nicht einmal die Texte oder AutorInnen, sondern die beigefügten Bilder, die Bände sprechen. Es ist fast rührend: Auf Seite 56 schüttelt eine lächelnde Angela Davis dem Staatsratsvorsitzenden der DDR Erich Honecker die Hand. Auf Seite 64 sieht man Angela Davis auf dem Podium der Weltjugendfestspiele der DDR fröhlich winken, umrahmt von Margot Honecker und anderen Notablen. Was der Kampf der Black Panther Party mit dem diktatorischen Staatssozialismus Erich Honeckers zu tun haben soll, erschließt sich mir nicht. Aber darum geht es auch gar nicht. Linkspolitischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts wird eine realsozialistische Duftmarke aufgesprüht. Es gibt in der kämpferischen Vita von Davis sicherlich kaum etwas Unwichtigeres als ihren Trip in die DDR. Zusammenhänge aber werden von Dellwo und Baer nicht hergestellt, sondern suggeriert: „Seht her, die DDR! Heimat der Verfolgten und Vertriebenen, ewige Stütze des Kampfes um Gerechtigkeit in der ganzen Welt. Seid ihr nicht genauso traurig wie wir, dass sie nicht mehr da ist?“. Nein, sind wir nicht.
Die „Bibliothek des Widerstands“ ist – leider – eine Mogelpackung. Die eigentlich hübsche Idee einer multimedialen Dokumentation linkspolitischen Protests im 20. Jahrhundert ist von Leuten ruiniert worden, in deren Kopf die Mauer noch steht. Dass sich die vielen treuen Knechte der DDR 1990 nicht schlagartig in Luft auflösen würden, war zu erwarten. Dass sie sich aber nun mit plumpen Mitteln für die neuen Protestbewegungen salonfähig machen wollen; dass sie noch immer träumen von einem Meinungsmonopol, das sie sich notfalls durch Geschichtsklitterung zusammenstottern, sollte Anlass geben, über künftige Bündnisstrategien gründlich nachzudenken.
Von der „Bibliothek des Widerstands“ jedenfalls sollten kritische Geister, die sich verlässlich informieren wollen, lieber die Finger lassen.