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Griechenland

Spardiktat produziert Obdachlose und Tote - Militärausgaben bleiben ungekürzt - Selbstverwaltung von Betrieben

| Ralf Dreis

Langsam müssten es auch die Letzten kapieren: In Griechenland geht es nicht darum, eine marode Volkswirtschaft zu retten, es geht um die Zerstörung einer Gesellschaft aus Profitinteressen.

Die von der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF befohlenen Sparmaßnahmen sind dabei auch ein fulminanter Angriff auf demokratische Standards. Solidarität mit der griechischen Bevölkerung, so ein Kreis vorwiegend französischer Intellektueller, ist nun nicht mehr „eine bloße Geste (…) abstrakter Humanität“, sondern, da „dieses Modell für ganz Europa bestimmt“ ist, ein Akt kollektiver Selbstverteidigung.

„Es geht eben wirklich um einen Krieg, der mit den Mitteln der Finanzen, der Politik und des Rechts ausgetragen worden ist, einen Klassenkrieg, der gegen die gesamte Gesellschaft geführt worden ist. Und die Beute, (…), das sind die sozialen Errungenschaften und die demokratischen Rechte – und letztlich überhaupt die Möglichkeit eines menschenwürdigen Lebens. Das Leben derjenigen, die nicht produzieren oder die aus Sicht der Profitmaximierungsstrategien zu wenig konsumieren, braucht nicht länger erhalten zu werden.“

In der Nacht auf den 13. Februar 2012 hat das griechische Parlament das neue Diktat der Troika verabschiedet. Es beinhaltet erneut massive Gehalts- und Rentenkürzungen, die Aufhebung der Kollektivverträge, die Lockerung des Kündigungsschutzes, sowie Massenentlassungen im staatlichen Sektor. Allein in Athen waren bis tief in die Nacht mehrere hunderttausend Menschen ins Zentrum geströmt und hatten sich heftige Straßenschlachten mit den Sondereinsatzkommandos der Polizei geliefert.

Auch in Thessaloníki, Vólos, Pátras, Agrínio, auf Kreta und Kérkyra kam es zu Auseinandersetzungen. Banken und staatliche Gebäude wurden in Brand gesteckt oder besetzt.

Diskutiert wird nun die Änderung des Demonstrationsrechts. So soll, wer im Zentrum von Athen demonstrieren will, 5 Tage zuvor bei Polizei und städtischen Behörden schriftlich eine Genehmigung beantragen. Wer als Anmelder nicht selbst den Schutz des öffentlichen Raums gewährleisten kann, soll zur Zusammenarbeit mit der Polizei verpflichtet werden oder für eventuelle Schäden haften.

Dass die Politik der Troika nicht nur die Bevölkerung sondern auch die griechische Wirtschaft zugrunde richtet, ist inzwischen bekannt. Dass sie für den Tod tausender GriechInnen direkt verantwortlich ist, wird ausgeblendet. Laut im Februar veröffentlichter Zahlen der griechischen Statistikbehörde ist die Wirtschaftsleistung des Landes 2011 erneut massiv eingebrochen.

Das Bruttoinlandsprodukt ging um 6,8 Prozent zurück, bereits 2010 war es um 5,5 Prozent geschrumpft. Offiziell waren Ende 2011 bei einer Arbeitslosenquote von 20,9 Prozent erstmals mehr als eine Millionen GriechInnen arbeitslos. Inoffizielle Schätzungen gehen von über 30 Prozent Arbeitslosigkeit aus. Bei den Jugendlichen hat jeder zweite keinen Job. Hinter den Zahlen verbergen sich zunehmend menschliche Tragödien – denn Sparen kann tödlich sein.

Bei den immer mehr werdenden Obdachlosen waren in diesem Winter erste Todesopfer durch Erfrieren zu beklagen.

Suizid durch Selbstverbrennung beging ein arbeits- und obdachloser Mann auf der Insel Lefkáda. Wirtschaftliche Perspektivlosigkeit wird als Grund für die rasant gestiegene Suizidrate ist in den letzten beiden Jahren genannt.

Da vor allem in Nordgriechenland immer mehr Menschen hungern, hat Frankfurts griechische Gemeinde am 4. März zwei LKW mit 24 Tonnen Lebensmittelhilfe nach Thessaloníki losgeschickt.

Zunehmend sind Menschen von der medizinischen Versorgung ausgeschlossen

Staatliche Gesundheitszentren, die die Grundversorgung in den ländlichen Gebieten sicherstellten, wurden aus Geldmangel geschlossen.

Den Krankenhäusern fehlt es an Verbandsmaterial und Medikamenten, lebenswichtige Operationen werden oft monatelang hinausgezögert. Statt der durchschnittlich 11.000 Bypass-Operationen jährlich wurden 2011 nur 9.000 durchgeführt. Bei 2000 Menschen wurden die eigentlich notwendigen Operationen verschoben, wie viele von ihnen starben, ist unbekannt. Zudem weigern sich immer mehr Apotheken, Medikamente auf Rezept auszugeben, weil die Krankenversicherungen nicht in der Lage sind, die Kosten zu erstatten.

Da die Arzneimittelhersteller nur noch gegen Vorkasse liefern, sollen PatientInnen ihre Medikamente selbst vorfinanzieren und auf die Rückerstattung durch die Krankenkassen hoffen. Für KrebspatientInnen und chronisch Kranke, die auf teure Medikamente angewiesen sind, ist dies bei 300,- bis 500,- Euro Rente schlicht unmöglich und bedeutet vielfach das Todesurteil. Weder die griechische Regierung noch die EU-Bürokratie haben Interesse daran, die Opfer zu zählen. Sicher ist nur, dass sich die medizinische Versorgung weiter verschlechtern wird.

Durch erneute Kürzungen im Gesundheitssektor sollen 2012 weitere 800 Millionen Euro eingespart werden. Überhaupt treffen die beschlossenen Kürzungen einmal mehr nur die Armen.

Es drängt sich der Verdacht auf, hier werde erprobt, wie weit man es treiben kann, bis die Bevölkerung endgültig ausrastet.

Sollten die sozialen Aufstände unkontrollierbar werden, könnte dies zu einer offenen Abkehr von der Demokratie führen.

Die Unverfrorenheit, mit der die Troika schon jetzt elementare demokratische Regeln bricht, lässt für den wahrscheinlichen Fall einer weiteren Eskalation nichts Gutes erwarten.

Dazu passend sind die horrenden Militärausgaben Griechenlands von den Sparmaßnahmen ausgenommen. Nach Angaben des für die französischen Grünen im EU-Parlament sitzenden Daniel Cohn-Bendit bestanden die Hauptwaffenlieferanten Deutschland und Frankreich darauf, dass keine Aufträge storniert werden.

Deutsche Waffen, deutsches Geld…

Laut Rüstungsexportbericht 2010 sind Griechenland und Portugal – auch ein Staat vor der Pleite – die größten Abnehmer deutscher Kriegswaffen.

Dem Bericht ist zu entnehmen, dass Griechenland 223 Panzerhaubitzen vom Typ M109 aus Bundeswehrbeständen sowie ein U-Boot der Klasse 214 aus Deutschland importierte.

Der Rüstungsetat betrug fast 7 Milliarden Euro, was knapp 3 Prozent der Wirtschaftsleistung entspricht und in der Nato nur von den USA übertroffen wurde. Geplant ist in den nächsten Jahren der Kauf von bis zu 60 Kampfflugzeugen vom Typ Eurofighter (ca. 3,9 Milliarden), französische Fregatten (ca. 4 Milliarden), Patrouillenboote (ca. 400 Millionen) und die Modernisierung der existierenden Flotte (ca.400 Millionen).

Es fehlt außerdem noch an Munition für die 170 Leopard-2-Panzer, die nach Informationen der Zeit das Münchner Unternehmen Krauss-Maffei-Wegmann für 1,7 Milliarden lieferte.

Darüber hinaus sollen zwei amerikanische Apache-Hubschrauber ersetzt werden.

Interesse besteht auch an weiteren deutschen U-Booten für zwei Milliarden Euro. Schon jetzt mehren U-Boote von Thyssen-Krupp, Hubschrauber von Eurocopter und Lenkflugkörper von Diehl BGT Defence den Ruhm griechischer Militärs. (1) Was erheblich dazu beitrug, dass die Staatsschulden explodierten.

Laut Friedensforschungsinstitut Sipri verzeichneten zwischen 2005 und 2009 nur China, Indien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Südkorea mehr Waffenimporte als Griechenland.

Im Etat 2012 ist vorgesehen, die Beiträge zur Nato um 50 % auf 60 Millionen Euro zu steigern, die Ausgaben des Verteidigungshaushalts gar um 200 Millionen auf 1,3 Milliarden.

Der Sozialhaushalt hingegen soll um weitere 9 Prozent (2 Milliarden) gekürzt werden.

Das Leben in die eigenen Hände nehmen

Inmitten dieser zynischen Szenarien, der zusammenbrechenden Wirtschaft und einer auseinander fallenden Gesellschaft treten immer mehr Menschen die Flucht nach vorne an.

Die Plünderung von Supermärkten, die Besetzung staatlichen Landes zur Lebensmittelproduktion, die Gründung von Kollektivbetrieben, landwirtschaftlichen Kooperativen oder die Verweigerung der Autobahnmaut, Steuerboykott und organisierter Stromklau – viele greifen zur direkten Aktion, um sich der kapitalistischen Angriffe zu erwehren.

Seit Anfang Februar 2012 hat die Belegschaft des Allgemeinen Krankenhauses der nordgriechischen Kleinstadt Kilkís (ca. 25.000 EinwohnerInnen) den Betrieb in Selbstverwaltung übernommen. Alle Entscheidungen werden seitdem von der Vollversammlung getroffen.

Die Leiterin der Radiologischen Abteilung, Léta Zotáki, wandte sich in einer Erklärung an die Öffentlichkeit: „Bei dieser Besetzung geht es nicht nur um uns, die ÄrztInnen und ArbeiterInnen des Krankenhauses Kilkís‘. Ebenso wenig geht es nur um das griechische Gesundheitssystem, das tatsächlich am Kollabieren ist. Wir befinden uns in diesem Kampf, weil das, was gerade wirklich in Gefahr ist, die Menschenrechte sind. Und diese Bedrohung richtet sich nicht nur gegen eine Nation oder gegen ein paar Länder oder ein paar soziale Gruppen, sondern gegen die Unter- und Mittelschichten Europas, Asiens, Amerikas, Afrikas, der ganzen Welt. Das heutige Griechenland ist das morgige Bild Portugals, Spaniens, Italiens und aller Länder weltweit. (…) Es ist ein Krieg gegen die Menschen, gegen die ganze Gesellschaft. Jene, die sagen, dass die Schulden Griechenlands die Schulden der Menschen Griechenlands sind, lügen. (…) Die Kredite werden nicht für die Gehälter, Renten und öffentlichen Sozialausgaben verwendet. Es ist das genaue Gegenteil: Gehälter, Renten und Sozialausgaben werden benutzt, um die Banken zu bezahlen.“

Auch die Entwicklung der linksliberalen Athener Tageszeitung Eleftherotypía geht in diese Richtung. Sie war eine der größten Tageszeitungen Griechenlands und zuletzt am 21. Dezember 2011 erschienen. Seitdem streikten die 800 Beschäftigten, weil sie seit August 2011 keinen Lohn ausbezahlt bekamen.

Seit dem 15. Februar erscheint die Zeitung erneut – nun als Wochenzeitung in Selbstverwaltung. Damit schließt sich ein Kreis. Die Eleftherotypía war 1975 aus einem JournalistInnenstreik hervorgegangen. Es ging um den Wiederaufbau der Gesellschaft nach der Diktatur.

Anfang März traten die ArbeiterInnen der Werftbetriebe in Elevsína (20 km vor Athen/Piräus) in den Streik.

Hauptforderung war, dass alle in Elevsína ansässigen Firmen, eine Selbstverpflichtung unterschreiben, keine Kündigungen und Lohnkürzungen durchzuführen und sich an die ausgehandelten Kollektivverträge zu halten. Hintergrund sind die von der Troika geforderten Lohnkürzungen in der Privatindustrie, die verabschiedete Aufhebung der Kollektivverträge und die Lockerung des Kündigungsschutzes.

Alle in den Werften ansässigen Betriebe haben unterschrieben – bis auf Siemens und Decon.

Beide Firmen weigern sich, am Dialog mit der Arbeiterschaft teilzunehmen. Siemens versuchte im Gegenteil, ihre mehr als 100 ArbeiterInnen durch Hausbesuche und persönliche Telefonate einzuschüchtern.

Während auf der Straße und in Betrieben gegen die kapitalistische Ausbeutung gekämpft wird, ringen Parlamentsabgeordnete um ihre politische Existenz. Die mächtige sozialdemokratische Pasok, die 2009 noch 44 % der Stimmen erhalten hatte, käme nach aktuellen Umfragen auf 9 bis 11 %. Knapp weniger als die Kommunistische Partei (KKE), die bei 11 bis 12 % rangiert. Für die konservative Néa Dimokratía werden 24 % der Stimmen vorhergesagt, womit sie stärkste Partei wäre (2009, 34 %). Zweitstärkste Partei könnte die Demokratische Linke (Dimar) mit 12,5 % werden. Bei Dimar handelt es sich um eine links-sozialdemokratische Abspaltung von Syriza (Allianz der radikalen Linken), die auf 8-9 % kommt. Hoffnungen auf ein knappes Überspringen der 3-Prozent-Hürde machen sich die Ökologen.

Die christlich-fundamentalistische, rechtsextreme Partei Laos pendelt zwischen 5 und 6 %. Mit 3,5 % würden mit der nationalsozialistischen und rassistischen Chrysí Avgí (Goldene Morgendämmerung) erstmals harte Nazis ins Parlament einziehen. Über 50 % der WählerInnen gaben an, nicht wählen zu wollen. Nach diesen Umfragen könnte keine Partei alleine regieren. Auch gemeinsam würden die beiden ehemals mächtigen Pasok und Néa Dimokratía, die die durch nichts legitimierte Notregierung des ehemaligen EZB-Bankers Loúkas Papadímos stützen, keine Mehrheit erreichen. Weshalb Politiker wie Finanzminister Wolfgang Schäuble, die für April angedachten Neuwahlen offen in Frage stellen.

(1) Die Zeit, Ausgabe vom 5.1.2012