Am 15. März 2012 hat Hanna Poddig eine Haftstrafe angetreten. Die Aktivistin und GWR-Autorin war aufgrund einer antimilitaristischen Gleisblockade zu 90 Tagessätzen wegen "Nötigung" und "Störung öffentlicher Betriebe" verurteilt worden. FreundInnen und UnterstützerInnen begleiteten Hanna zum Haftantritt in der JVA Frankfurt III. Die Graswurzelrevolution-Redaktion fordert die sofortige Freilassung ihrer Autorin und ein Ende der Repression gegen AntimilitaristInnen. Ein Hintergrundbericht. (GWR-Red.)
Die Aktion
Im Februar 2008 blockierten zeitgleich zur Münchner Sicherheitskonferenz vier AktivistInnen mit einer Ankettaktion für mehrere Stunden einen Zug der Bundeswehr (1). Hanna Poddig, eine der Aktivistinnen hatte sich an der Bahnstrecke zwischen Husum und Kiel an die Gleise gekettet. Weitere Personen kümmerten sich um die Versorgung der Angeketteten und hielten ein Transparent, mit dem sie gegen Kriegseinsätze protestierten.
Nach Recherchen beteiligter AktivistInnen transportierte die Bundeswehr damals Kriegsmaterial nach Brandenburg. Dort trainierten Einheiten ihre Tauglichkeit für die NATO-Response-Force. Diese Truppe ist weltweit einsetzbar, um unter anderem den Zugang der NATO-Staaten zu Rohstoffen zu erzwingen.
„Heute heißt so ein Vorgehen Krisenintervention. Doch es geht nach wie vor um die Abrichtung von Menschen zum Töten. Es gibt keine humanitären Kriege. Die Vorstellung, Hunger und Dürre mit Kriegsflugzeugen und Panzern bekämpfen zu können ist absurd“, so Hanna. Tatsächlich waren und sind norddeutsche Streitkräfte massiv an Kriegen beteiligt. Ein in Nordfriesland stationiertes Flugabwehrraketengeschwader wird regelmäßig in Auslandseinsätzen eingesetzt.
Die deutsche Airbase in Usbekistan und der deutsche Stützpunkt am Flughafen von Kabul in Afghanistan wurden von Husumer Spezialpionieren errichtet. Seit Sommer 2011 sind SoldatInnen aus Husum für die Treibstoffversorgung der NATO über Usbekistan nach Afghanistan zuständig.
„Der Widerstand gegen Kriegsbeteiligungen im Ausland muss dort ansetzen, wo die Militärs herkommen: Also hier!“, fordert die Aktionsbeteiligte Cécile Lecomte.
Reaktionen auf die Aktion
Im März 2008 erhielt Hanna aufgrund der Aktion einen Preis.
Sie wurde von der Liebe-Lütje-Stiftung dafür ausgezeichnet, dass sie „spontan für ihre Überzeugung ihr Leben, ihre Gesundheit“ einsetzte. Die Liebe-Lütje-Stiftung aus Bad Oldesloe vergibt den „Rückgratpreis“ an Menschen, die durch couragiertes Eingreifen im Alltag Rückgrat beweisen.
Die Behörden reagierten weniger freundlich: Ein Beteiligter erhielt z.B. über längere Zeit nahezu täglich Schreiben der Polizei, mit Aufforderungen sich zur Beschuldigtenvernehmung zu melden. In Hannas Verfahrensakten tauchte eine interne Mail der Verfolgungsbehörden auf, in der die Aktion an sämtliche Landes- und Bundesverfassungsschutzämter, sowie an alle Landeskriminalämter sowie an den militärischen Abschirmdienst und das BKA (u.a. an die Abteilung Terrorismus) gesendet worden war. Es kam zu langwierigen Prozessen, bei denen teilweise selbst die Rechtsanwälte um ihr Rederecht kämpfen mussten, sich die BelastungszeugInnen in Widersprüche verwickelten und ZuhörerInnen Anordnungen wie „Lachen verboten“ zu befolgen hatten. Am Amtsgericht Husum wurde ein Zuschauer durch Justizbeamte körperlich verletzt.
Immer wieder waren die Prozesse von teilweise als einschüchternd wahrgenommenen Einlasskontrollen begleitet. Das Aufhängen eines Transparentes vor dem Gericht wurde gewaltsam unterbunden. Im zweiten Rechtszug vor dem Landgericht Flensburg, war ein Bundeswehrangestellter als Schöffenrichter eingesetzt.
Doch auch die Bundeswehr dürfte keine Freude an dem Verfahren gehabt haben.
Die Verhandlungen waren begleitet von öffentlichen Kundgebungen, antimilitaristischen Stadtrundfahrten, immer wieder gut sichtbar angebrachten Transparenten, jährlichen Friedenscamps vor der Husumer Fliegerhorstkaserne, Lesungen, Vorträgen, öffentlichen Workshops, Straßentheater-Aktionen, Fax-Aufrufen, mit passenden Aufklebern verschönerten Gerichtsgebäuden und Konfetti im Saal. Auch mit Mitteln der Kommunikationsguerilla hatten SympatisantInnen gearbeitet – so tauchten beispielsweise vor dem ersten Verhandlungstag zahlreiche Sprechblasen an den Schaufenstern der Husumer Innenstadt auf, so dass die Schaufensterfiguren für die Unterstützung der Prozesse warben. Ein offenbar gefälschtes „Schreiben des Gerichtes“ an AnwohnerInnen tauchte auf. Ein „Freundeskreises Bundeswehr-Bahn“ unterstützte den Richter im Zivilprozess durch Strammstehen, Salutieren und Summen der Nationalhymne. Er feierte die zivilrechtliche Entscheidung gegen Hanna mit einem öffentlichen Sektbuffet.
Haftantritt
Mit Ablehnung der Revision durch das Oberlandesgericht Schleswig im Juli 2011 wurde Hanna rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen wegen „Nötigung“ und „Störung öffentlicher Betriebe“ verurteilt. Nach Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde gegen diese Verurteilung wurde Hanna aufgefordert die Haft binnen einer Woche in der JVA Frankfurt III anzutreten.
„Meine Verurteilung zeigt erneut, dass Gerichte die kriegerischen Handlungen der BRD schützen. Um deutlich zu machen, dass der Staat auf Widerstand mit Repression antwortet, habe ich mich entschlossen mindestens einen Teil der Strafe im Gefängnis abzusitzen“, so Hanna. Auf die Frage nach ihren Wünschen für eine Unterstützung während der Haft antwortet sie: „Aktionen für die Abschaffung der Bundeswehr sind die beste Solidarität! Diese verteidigt eine zutiefst ungerechte Weltwirtschaftsordnung. Freier Welthandel ist ein anders Wort für Ausbeutung. Das in Libyen zum vermeintlichen ‚Schutz der Bevölkerung‘ Krieg geführt wurde, während zahllose Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, zeigt wie ‚humanitär‘ diese Politik tatsächlich ist. Widerstand dagegen ist notwendig.“
Das sehen offenbar auch andere so. Einige Mitglieder der autonomen Gruppe „Rosa Tank Gang“ lackierten in der Nacht auf den 16.03.2012 unter dem Motto „Rosa Denkstütze für die Bundeswehr“ einen Panzer des Deutschen Panzermuseums am Militärstandort Munster mit rosa Farbe. Einer Erklärung der Aktionsgruppe zufolge dient das Museum ausschließlich Propagandazwecken. Mit der Aktion wurde gegen die wirtschaftlich motivierten Auslandseinsätze der Bundeswehr, wie auch aktuell gegen Hannas Inhaftierung protestiert.
Weitere erklärten ausdrücklich ihre Solidarität mit der Aktivistin – gerade anlässlich des Tages der politischen Gefangenen am 18. März. Mehrere Gruppen und Einzelpersonen haben Patenschaften für jeweils einen Tagessatz der Strafe übernommen (4). Die Initiative „Frieden mitmachen“ der DFG-VK hat dazu aufgerufen bei der Staatsanwaltschaft in Flensburg die Einstellung der Strafverfahren gegen die weiteren Aktionsbeteiligten zu fordern (3).
Beihilfeverfahren
Gegen drei weitere Personen laufen noch Strafverfahren. Ihnen wird die Beihilfe zur Nötigung und zur Störung öffentlicher Betriebe vorgeworfen.
Als das Gericht mit dem Verfahren gegen die Aktionsbeteiligte Cécile beginnen wollte, konnte damals erstritten werden, dass die Beihilfe nicht vor einer Entscheidung über die eigentliche Straftat verhandelt wurde.
Da Hannas Verfahrens inzwischen vollständig abgeschlossen ist, ist jederzeit mit neuen Verhandlungsterminen zu rechnen. „Wir werden auch diese Anlässe wieder für offensive Öffentlichkeitsarbeit zur Abschaffung der Bundeswehr und anderer Herrschaftsstrukturen nutzen!“, kündigt einer der Betroffenen an.
Zivilrechtliche Forderung der DB-Netz-AG
Auch für Hanna Poddig wird die Sache nach Absitzen der Strafe nicht erledigt sein. Die Netz-AG der Bahn fordert für eine Reparatur am Gleis 14.000 Euro Schadensersatz. Auf Anweisung der Bahn hatten die Einsatzkräfte von Polizei, THW und Feuerwehr damals das Gleis zersägt, um die Aktivistin aus dem Gleisbett zu entfernen. „Sehr ähnliche Aktionen bei den Castor-Transporten zeigen, dass es möglich ist, derartige Ankettvorrichtungen ohne Beeinträchtigung der Infrastruktur zu lösen“, findet Unterstützer Christof Neubauer. Im Februar 2011 wurde Hanna in zweiter Instanz zur Zahlung dieser Kosten verurteilt. Derzeit läuft eine Verfassungsklage gegen diese Entscheidung. Hanna hat bereits angekündigt, die Zahlung dieses Geldes zu verweigern.
„Die Bahn ist ein Unternehmen, das regelmäßig Truppen, Material und Kriegsgerät für die Bundeswehr, andere Armeen und für den Export transportiert. Die bekommen von mir kein Geld“, so die Antimilitaristin. Da sie weitgehend mittellos ist, wird diese Weigerung voraussichtlich Erfolg haben. „Die Forderung hat offenkundig vor allem den Zweck, potentielle NachahmerInnen abzuschrecken“, so Cécile, „aber Hannas Umgang damit zeigt, dass die einschüchternde Wirkung solcher Forderungen umgangen werden kann.“
Auch die Nordostseebahn (NOB), eine Tochterfirma des Veolia-Konzerns, der auch mit seinen skandalösen Praktiken im Wassergeschäft immer wieder in die Negativschlagzeilen geriet, hat Schadenersatzansprüche für den Betrieb des Schienenersatzverkehrs gegen alle vier Aktionsbeteiligten erhoben (2). In dieser Sache hat das zuständige Amtsgericht noch nicht entschieden.
Folgeprozesse
Beim zivilrechtlichen Prozesses in zweiter Instanz gegen Hanna im Februar 2011 kam es zu Publikumsausschlüssen und Ingewahrsamnahmen (die GWR berichtete). Anlass waren Unmutsäußerungen nach willkürlichen Entscheidungen durch Polizei und Justizbeamte. Christof Neubauer, der auch den Prozess gegen Hanna anschauen wollte, wird des Widerstandes und Hausfriedensbruchs beschuldigt, da er sich geweigert haben soll seine Taschen am Eingang selber auszuleeren.
„Auch wenn der Vorwurf in diesem Fall offenkundig konstruiert ist, finde ich es allgemein richtig, Widerstand gegen diesen Staat zu leisten. Der militarisierte Staat führt auf der einen Seite Kriege, auf der anderen Seite verfolgt und bestraft er dann die Gegnerinnen und Gegner genau dieser Politik“, findet Christof.
Einem anderen Prozessbesucher wird vorgeworfen, „an von einer Behörde öffentlich angebrachten Hoheitszeichen eines der Länder der Bundesrepublik Deutschland beschimpfenden Unfug verübt zu haben“.
Im Strafbefehl gegen ihn heißt es weiter, er habe sich „zu einem ebenfalls vor dem Gebäude der Polizei-Zentralstation Schleswig stehenden Naturstein“ begeben, „auf welchem das Wappen des Landes Schleswig-Holstein mit dem Schriftzug ‚Polizei‘ eingemeißelt“ gewesen sei. Dort hätte er „mit entblößtem Gesäß über das Landeswappen“ gewischt.“
Ein weiterer Aktivist soll einen Schleswiger Hauptkommissar gefragt haben, ob dieser der höchstrangige staatliche Gewalttäter sei. Der – auch an der damaligen Gleisblockade beteiligte – Aktivist ist gespannt auf den Prozess: „Nun wird geklärt, ob es erlaubt ist, Angehörige der ausführenden Gewalt, die das staatliche Gewaltmonopol im Zweifelsfall mit Gewalt durchsetzen, als Gewalttäter zu bezeichnen! Auch das Militär dient der Durchsetzung staatlicher Gewalt. Selten wird das Phänomen Herrschaft so deutlich wie im Krieg. Armeen sichern den gesellschaftlichen Status quo. Ohne sie wäre das ungerechte Gefälle im Weltmarkt nicht denkbar: egal ob es sich um von deutschen Konzernen exportierte Atomkraftwerke in Brasilien oder EU-Absatzmärkte auf dem Balkan handelt. Armeen prägen Gesellschaften. Der sprichwörtliche Kasernenton dient dazu, Menschen zu demütigen und zu unterwerfen. Kritiklos werden Befehle gegeben und ausgeführt. Diese patriarchalischen und neoliberalen Denkmuster greifen in andere Bereiche der Gesellschaft über. Und wer versucht, diese Gesellschaft zu ändern, kann es direkt mit der Armee zu tun bekommen. So werden am Rande großer Demonstrationen zunehmend Soldaten und Kriegsgerät eingesetzt.“
Hanna: „Krieg ist nicht weit weg, sondern er beginnt in unser aller Alltag. Durch militärische Vormachtstellungen sichern sich Europa und Nordamerika den Zugriff auf die Rohstoffe der Kriegsgebiete. Beispielsweise kommen aus dem umkämpften Krisenstaat Kongo Coltan und Niob, zwei seltene Erze zur Herstellung des Metalls Tantal, das z.B. für Akkus, Kondensatoren und Speicherchips verwendet wird. Ohne Krieg würde die kapitalistische Konsumgesellschaft nicht funktionieren. Wer immer neue Handys, Ipods, Laptops braucht, ist mitverantwortlich für den Krieg im Kongo. Analog gilt das ebenso für andere Güter und Gegenden. Wer keine Kriege will, muss auch antikapitalistisch denken und handeln!“
(1) Vgl.: Wir stellen uns quer - gegen die Bundeswehr. Antimilitaristische Aktionsgruppe stoppt Militärtransport, Artikel in: GWR 327, März 2008 ; http://krieg.nirgendwo.info/2008/03/01/2008-militartransport-durch-ankettaktion-gestoppt/
(2) http://veolianerven.blogsport.de
(3) www.frieden-mitmachen.de/41/freiheit_fuer_hanna_poddig
(4) http://krieg.nirgendwo.info/kontakt_und_spenden/knastpatenschaft
Kontakt & Infos
Wer der Aktivistin schreiben will, kann dies unter folgender Adresse tun:
Hanna Poddig
JVA Frankfurt III
Obere Kreuzäckerstr. 4
60435 Frankfurt
Weitere Informationen unter:
http://krieg.nirgendwo.info
Konto für Prozesskosten:
Konto "Spenden & Aktionen"
Kto-Nr. 92881806
Volksbank Mittelhessen
BLZ 513 900 00
Betreff: Militärtransport-Ohrstedt