ökologie

Chorprobe statt Probebohrung

Das Wendland ist nicht irgendeine schöne ländliche Gegend. Es ist die Region, wo sich der Kampf zwischen Vernunft und Staatsraison, zwischen Ethik und Profitmaximierung so scharf und so ausdauernd wie sonst nirgendwo in der BRD äußert.

Wenn man durch die Dörfer fährt, wo fast jedes Haus und jeder Bauernhof kreativ mit den Symbolen des Kampfs gegen die Atomanlagen dekoriert ist, geht einem das Herz auf. Hier kann man, trotz der beklemmenden Anwesenheit des Brennelemente-Zwischenlagers (BEZ) in Gorleben, freier atmen.

Günstige Voraussetzungen für eine „öffentliche Chorprobe“. Mit diesem Beitrag zur Kampagne „Gorleben365“ blockierte der Familienchor „Andere Saiten“ am 12. April die Haupteingänge des „Erkundungsbergwerks“ in Gorleben, gleich neben dem erwähnten Zwischenlager. Wir haben uns damit in die lange Reihe kreativer Aktionen eingereiht, mit denen seit August 2011 ein Jahr lang an möglichst vielen Tagen die Endlagerbaustelle blockiert werden soll (die GWR berichtete).

Schon am Ostermontag (9. April) quartierten wir uns mit 17 SängerInnen in einem Hof bei Dannenberg ein, begannen mit Proben, pinselten Transparente, erkundeten die Gegend und hängten Ankündigungs-Plakate auf. Nach einem Aktionstraining, das wir bereits im März in der rheinischen Heimat absolviert hatten, wurden wir hier noch einmal von einer Aktivistin von „Gorleben 365“ über die Verhältnisse vor Ort aufgeklärt. Die „Anderen Saiten“ sind heterogen zusammengesetzt, und die basisdemokratischen Prozeduren der Konsensfindung stießen nicht von Anfang an bei allen auf Begeisterung.

Am Ende herrschte Einigkeit darüber, dass auf diese Weise die richtigen Entscheidungen zustande gekommen seien; einige behaupten aber heute noch, man hätte dies auf weniger demokratischem Wege auch schneller erreichen können.

Aber die Diskussion darüber war bereits fruchtbar. – Auch libertäre Politik ist meistens ein mühsames Unterfangen.

Unsere Blockade, also die „Chorprobe“, hatten wir für 12:30 Uhr mittags angekündigt. Um zu verhindern, dass der Schichtwechsel aufgrund dieser Ankündigung auf einen früheren Zeitpunkt verlegt und damit ungestört ablaufen könnte, begannen wir die Aktion aber bereits um 11:00 Uhr. Überraschenderweise richteten wir dadurch tatsächlich einige Unordnung im Berufsverkehr um die Endlager-Baustelle an, obwohl von einer Blockade der insgesamt sechs Tore und aller Zufahrtsstraßen bei 17 Aktiven ja kaum die Rede sein konnte. Mancher Autofahrer wartete minutenlang vor unserer Blockade, bevor er die telefonische Erlaubnis von seinem Boss eingeholt hatte, einen anderen Weg zu benutzen.

Ein „Blockadebrecher“ tat sich unrühmlich hervor, der in seiner Blechkiste mit hoher Geschwindigkeit auf dem Grünstreifen neben der blockierten Straße an den Chormitgliedern vorbeibretterte, diese gefährdend und unsere Proviantvorräte überrollend. Abgesehen von diesem Choleriker gab es aber auch eine Reihe von Angestellten, die den Eindruck erweckten, eher auf unserer Seite zu stehen.

Ein oder zwei Hände voll Aktiver aus dem Wendland schauten ab 12:30 Uhr vorbei, und die meisten probten unsere umgetexteten Stücke dann auch mit. Da gemeinsames Singen bekanntlich immer fröhlich macht und die echte Sonne sich zu unseren Anti-Atom-Sonnen gesellte, beendeten wir unsere Blockade nach vier Stunden in bester Stimmung.

Am nächsten Tag gestalteten wir noch in Hitzacker eine „politische Andacht“ in der dortigen evangelischen Kirche.

Über die 3000 Jahre alte anarchistische „Jotham-Fabel“ aus dem biblischen Buch der Richter wurde dort gepredigt, und einige unserer neubetexteten Choräle (und Trinklieder!) erklangen. Beim Vortrag der frisch gedichteten „Wendland-Ode“ mussten einige ZuhörerInnen, wie sie anschließend gestanden, schon die eine oder andere Träne der Rührung unterdrücken. Unser Zeichen der Solidarität scheint also angekommen zu sein. Der Text der „Wendland-Ode“ wird auf den Choralsatz „Du meine Seele, singe“ gesungen, und geht so:

Der Widerstand im Wendland
Spornt uns schon lange an,
Wo mancher Plan sein End‘ fand,
Den der Atomstaat spann.
Seit fünfunddreißig Jahren
Verlässt euch nicht die Wut
Auf die Atomgefahren,
Das macht uns allen Mut.

Die Technokraten-Planung
Wollt‘ hier den großen Schlag.
Sie nannten es zur Tarnung,
O Hohn!, „Entsorgungspark“.
Doch wendländische Bauern
Sind nicht so schnell verkohlt.
Statt resigniert zu trauern,
Wart ihr auf Kampf gepolt.

Tausendundvier: Kein Bohrloch,
Ne Freie Republik.
Da war’n wir noch kein Chor, doch
Noch heut klingt’s wie Musik!
Das Hüttendorf florierte:
Gelebte Utopie!
Auch wenn man es planierte,
Vergaßen wir es nie.

Dann kamen die Castoren
Von Strahlung kochend heiß,
Was haben wir gefroren,
X-tausendmal am Gleis.
Ihr brachtet heißes Essen,
Traktoren standen quer,
Mit Goliath uns messen,
Fiel nur noch halb so schwer.

Der Salzstock von Gorleben
Taugt nicht für Strahlenmist!
Von Wasser, Gas und Beben
Er stets gefährdet ist.
Nicht tausend Jahr, nicht hundert,
Der Müll darf hier nicht rein! –
Weil wir euch stets bewundert,
Woll’n wir heut‘ bei euch sein.