Noch kann Angela Merkel schweigen, wenn Alt-Kanzler Helmut Schmidt sie wegen der Genehmigung von Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und Israel kritisiert.
Er lässt sich provozierend zitieren: „Ich hätte das nicht getan.“ Es wäre ein Leichtes, zumindest den im Sommer 2011 im Bundessicherheitsrat vorläufig abgesegneten Export von bis zu 270 Leopard 2-Panzern nach Saudi-Arabien bundeskanzlerisch zu entschärfen: Mit einer „Zur-Zeit-nicht-aktuell“-Stellungnahme. Es fällt ihr offenkundig schwer und das hat Gründe.
Helmut Schmidt unterstellt mit seinem „Ich hätte das nicht getan“, als ob die Entscheidung der Bundesregierung abschließend ist. Er weiß natürlich, dass solche vorläufigen Entscheidungen im Licht internationaler und innenpolitischer Politiklagen revidierbar sind. Der Ex-Kanzler zielt mit seiner Schelte auf eine Revitalisierung der öffentlichen Debatte im Vorfeld des Wahljahres 2013. Er will mit einer erneuten Entscheidung im Bundessicherheitsrat einer restriktiveren Waffenexportpolitik Geltung verschaffen. Ein zartes „Grün“ für den Leo-Export kann zu einem stürmischen „Rot“ werden, wenn der öffentliche Druck den Panzerdeal für Merkel zur politischen Hölle macht. Merkels prinzipienfester Marktopportunismus könnte auch zu einem gewaltigen Binsenirrtum führen, wenn sie dieses Konfliktpotential unterschätzt.
Sturmzeichen
Bisher ließ sich der Panzerexport noch hinter der Wolke der Geheimhaltung verstecken.
Die Bundesregierung wagte ihre Entscheidung nicht wirklich zu verteidigen, sondern überließ das Politikern aus der dritten Reihe. Merkel und de Maizière wirkten von der Waffenlobby getrieben, nicht eben glaubwürdig. Die fast einhellige scharfe öffentliche Kritik an dem Leo-Export, seine fast leidenschaftliche Behandlung im Bundestag und die Tatsache, dass 70 – 80 % der Bevölkerung Waffenexporte – und insbesondere nach Saudi-Arabien – ablehnten, zeigt die Glut unter der Asche eines nur vordergründig beruhigten Themas.
Wenn selbst die AnhängerInnen von CDU/CSU und FDP mehrheitlich gegen Waffenexporte sind, dann ist die Bundesregierung damit konfrontiert, den Panzerexport gegen den Willen der überwältigenden Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger durchsetzen zu wollen.
Der deutsche Michel und insbesondere die deutsche Michaela wollen nicht mehr, dass die Waffen von Heckler & Koch Hunderttausenden den Tod bringen und deutsche Panzer gegen arabische Demokratiebewegungen eingesetzt werden.
Täterin in politischer Verantwortlichkeit ist auch Merkel – für die Menschenrechte angeblich nicht verhandelbar sind, obwohl diese in Saudi-Arabien nach Amnesty International-Angaben tausendfach täglich verletzt werden. Und was wird Merkel tun, wenn in Saudi-Arabien eine Fatwa zur „Zerstörung“ aller fremden Kirchen auch die christlichen Kirchen trifft?
Die Sturmzeichen mehren sich. Jenseits aller Öffentlichkeit sind die richtigen Dealer, die Regierung von Saudi-Arabien und der Rüstungskonzern Krauss-Maffei-Wegmann nicht untätig geblieben, zu einem Vertragsabschluß zu kommen.
Glaubt man arabischen Quellen und zwei Experten aus der Leo-Zulieferindustrie, dann gibt es noch Probleme. Eine einvernehmliche Kontraktgestaltung scheint aber nahe. Saudi-Arabien brennt auf das weltweit beste deutsche Produkt und ein „Sorglos-Paket“, das einen vielfältigen Einsatz ermöglicht.
Krauss-Maffei-Wegmann hat zwar übervolle Auftragsbücher und deshalb keine Eile. Für einen auf mehrere Jahre angelegten Liefervertrag aber liegt die Sorge vor einer wieder aufflammenden öffentlichen Debatte mit unabsehbaren Folgen wie ein „Damoklesschwert“ über den Verhandlungen. So berichtet ein Manager aus der Zulieferindustrie.
Nach dem Kalkül der Rüstungslobbyisten sollte der Panzerdeal möglichst weit vor dem Wahlkampf 2013 bundessicherheitsratsfest gemacht werden. Sollte diese strategische Option eingeschlagen werden, ist das öffentliche Auffliegen vorprogrammiert.
Es gibt zu viele Mitwisser für die erneute Entscheidung des Bundessicherheitsrats und zu viele Zulieferbetriebe, aus denen Informationen über konkrete Aufträge sprudeln können. Ein solches Großprojekt lässt sich nicht mehr an der Öffentlichkeit vorbeimogeln.
Das macht erklärlicher, warum Merkels Schweigen auf längere Sicht kaum durchzuhalten ist. Merkel versucht es als Schleiereule.
Proteste und ziviler Ungehorsam
Es spricht einiges dafür, dass sich die gegen die Waffenexporte gerichtete Debatte von der Zivilgesellschaft her dynamisieren wird.
Inzwischen gibt es ein buntes Bündnis von über 120 Gruppen in der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“.
Die Breite ist beeindruckend: Nichtregierungsorganisationen aus der Friedens- und Entwicklungszusammenarbeit, Menschenrechts- und Bürgerrechtsorganisationen, kirchliche Organisationen wie Pax Christi, Brot für die Welt und MISEREOR, attac und Jugendorganisationen, Ökologiegruppen. Schirmherrin ist Margot Käßmann. Ziel ist ein wirklicher Stopp des Waffenhandels mit einem grundsätzlichen Rüstungsexportverbot in Art. 26 (2) des Grundgesetzes und ein neues Rüstungsexportgesetz.
Alle Parteien sollen diese Forderungen in ihre Wahlprogramme für 2013 schreiben.
„Aktion Aufschrei“ hat sich aber auch der Verhinderung des Leo-Exports verschrieben. Auf dem Katholikentag Mitte Mai in Mannheim waren der Waffenhandel und der Panzerdeal Thema und 270 Holzpanzer optisch präsent. Im engen Verbund mit der „Aktion Aufschrei“ bereiten Menschenrechts- und Bürgerrechtsorganisationen, Friedensgruppen und andere soziale Bewegungen Proteste für September/Oktober entlang der Rüstungsbetriebe für den Leo im Bodenseeraum, München, Kassel, Düsseldorf und am Tatort Berlin vor. Aktionen des zivilen Ungehorsams sind fest geplant und werden mit einem selbstverpflichtenden Aufruf zu möglichst massenhaften Ungehorsamsakten führen.
Das zentral-dezentrale Mobilisierungskonzept zielt auf die politische Unverantwortlichkeit und eine systematische Rufschädigung von Rüstungsunternehmen. Sie werden sich mittelfristig selbst einen Kopf machen müssen, wie die Umstellung der Rüstungsproduktion auf eine nachhaltige zivile Fertigung aussehen könnte. Und sie werden mit ihrem Arbeitsplatzargument niemanden mehr beeindrucken, wenn nur noch 0,2 – 0,3 % der Erwerbstätigen in der Rüstungsproduktion tätig sind.
Noch nie waren wir dem Ziel so nahe, sich ein Deutschland ohne Rüstungsgeschäfte vorstellen zu können, das die Wirtschaft nicht ernsthaft in Bedrängnis bringt. Die Rüstungskonzerne werden aus naheliegenden Gründen nicht das Handtuch werfen. Rüstung ist Renditerausch. Die Zivilgesellschaft wird die Bundesregierung zwingen müssen, den Leo an die Kette zu legen: als ersten Schritt auf einem Weg, Waffenhandel und Rüstungsproduktion mittelfristig abzuschaffen. Die Chance ist noch sehr klein, dass Merkel ihre Ketten gegenüber den USA und der Rüstungsindustrie sprengt.
Und Kretschmann und Kraft?
Aber da auf Merkel und de Maiziére wenig Verlass ist, können sich die Hoffnungsträger von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen ins Zeug legen. Man darf bei Kretschmann schon noch unterstellen, dass er den Leo-Export für einen mittleren Wahnsinn hält. Aber er ist auch Ministerpräsident eines schönen Ländles, das aber gleichzeitig blutgerötet vor Leo-Zulieferbetrieben starrt: AMT in Konstanz, ZF in Friedrichhafen, Heckler & Koch in Oberndorf/Neckar, die in Saudi-Arabien eine riesige Waffenfabrik aufbauen konnten (mit Duldung von Schwarz-Rot).
Auch Krafts Nordrhein-Westfalen starrt vor Leo-Zuliefern, z.B. Rheinmetall in Düsseldorf, wo die Panzerkanonen gefertigt werden. Bei soviel Rot-Grün-Perspektiven sollten Kretschmann und Kraft schon im Bundesrat aktiv werden, um ein Mitspracherecht für den Panzerexport anzumahnen.
Sie könnten auch einen Baden-Württemberg/NRW-Gipfel zu den Waffenexporten ihrer jeweiligen Länder veranstalten.
Die öffentliche Aufmerksamkeit wäre ihnen sicher – und Merkel und sie selbst kämen unter politischen Druck.
Spanischer Leo-Bluff?
Presseberichte aus Spanien suggerieren eine neue Lösung für das Panzergeschäft mit Saudi-Arabien. Nicht Krauss-Maffei-Wegmann, der deutsche Hersteller aus München, soll den Berichten zufolge den Zuschlag für bis zu 270 Leopard-Panzer erhalten, sondern Spanien.
Doch es handelt sich wohl eher um ein Konkurrenzgetöse zum deutschen Hersteller Krauss-Maffei-Wegmann als um einen Vertrag, der demnächst in trockenen Tüchern sein könnte. Der Bericht in „El Pais“ von Miguel Gonzalez (26.5.12) berücksichtigt überdeutlich die ökonomische Interessenlage des spanischen Verteidigungsministeriums, das unlängst Verhandlungen in Riad geführt hat. Verträge sind aber noch in weiter Ferne. Vieles ist offenkundig ungeklärt. So spricht einiges für einen interessengeleiteten spanischen Bluff.
Sollte Spanien tatsächlich den Zuschlag erhalten, wäre Merkels grünes Licht im Bundessicherheitsrat erforderlich.
Ob Saudi-Arabien auch nur pokert, kann niemand beantworten. Für Merkel könnten die spanischen Panzer eine elegante Lösung sein: Keine Leo-Debatte vor der Wahl 2013 und eine Stärkung der angeschlagenen spanischen Wirtschaft.
Aber da an Lizenzen für Krauss-Maffei-Wegmann nur sparsame Brosamen abfallen, wird die deutsche Rüstungsindustrie um den Saudi-Auftrag kämpfen.
Die neue Pokerrunde ist eröffnet, eine Entscheidung nicht gefallen, solange Merkel das Schweigen noch durchhalten kann.
Der Autor
Prof. Dr. Peter Grottian ist Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der FU Berlin.