Eugenie kommt aus dem Senegal. Sie lebte dort in einer heimlichen Beziehung mit einer Frau in guter sozialer und finanzieller Situation: Die beiden Frauen treffen sich heimlich, da Homosexualität im Senegal unter Strafe steht und es deshalb unmöglich ist, eine lesbische Beziehung offen zu leben.
Eugenies Familie, die davon nichts weiß, arrangiert eine Ehe für Eugenie. Als diese sich weigert, werden Liebesbriefe und SMS gefunden. Ihre Brüder finden heraus, dass sie eine Frau liebt.
Eugenie, die trotz Schlägen nicht sagt, wer ihre Partnerin ist, wird daraufhin von ihrer Familie verstoßen und es wird ihr von Familie und Freunden gedroht, sie umzubringen, da es für eine Muslima verboten sei, eine lesbische Beziehung einzugehen.
Da sie eine Schande für die Familie sei, wird ihr geraten, das Land zu verlassen. Eugenie muss eine Anzeige fürchten.
Das hätte fünf Jahre Gefängnis bedeuten können oder eine hohe Geldbuße. Weiterhin wird sie per SMS bedroht und beschimpft. Sie kennt keine anderen Homosexuellen, und kann sich somit auch nirgendwo Hilfe und Unterstützung holen.
Sie weiß, auch wenn sie an einen anderen Ort im Senegal übersiedelt, wo sie niemand kennt, muss sie ihre Homosexualität immer heimlich leben.
Es besteht immer die Gefahr, dass sie entdeckt wird und Übergriffe und Strafdrohungen von Neuem beginnen.
Eugenie beschließt, das Land zu verlassen. Sie versteckt sich bei ihrer Partnerin, besorgt sich über eine Schlepperorganisation einen falschen Pass und fliegt nach Europa. Sie reist illegal auf dem Landweg in die Schweiz ein, da sie kein Visum erhalten hat.
In der Schweiz beantragt Eugenie Asyl. Da sie nicht weiß, wie die Schweiz zur Homosexualität steht, erzählt sie ihre Geschichte zwar wahrheitsgemäß, aber nur in groben Zügen. Als Fluchtgrund gibt sie Morddrohungen wegen ihrer lesbischen Beziehung und die drohende Zwangsverheiratung mit einem älteren Mann an.
Wer wie Eugenie einen falschen Pass besitzt, dessen Asylantrag wird in der Schweiz automatisch abgelehnt.
Nur wenn der Zwang zur Flucht glaubhaft gemacht werden kann, kann dennoch ein Verfahren eröffnet werden.
Die Schweizer Behörden glauben Eugenie aber nicht, dass ihre Brüder zwar herausgefunden hatten, dass sie eine Beziehung zu einer Frau hatte, deren Namen aber nicht in Erfahrung bringen konnten. Sie beurteilen ihre Aussagen als stereotyp und realitätsfremd.
Ein Senegalese hilft ihr, Beschwerde gegen die Nichtbearbeitung (Nichteintreten) ihres Asylantrags zu stellen, diese wird jedoch abgelehnt.
Eugenie lebt heute als Sans-Papiers in der Schweiz, besitzt also keinerlei Rechte und keinen Aufenthaltsstatus. Da sie von den Behörden jederzeit inhaftiert oder ausgeschafft (abgeschoben) werden könnte, ist sie nun untergetaucht.
Die Geschichte von Eugenie war die einzige, die während der Recherche zu einem Artikel über in deutschsprachige Länder geflüchtete Lesben erzählt wurde.
Nach großem anfänglichem Interesse kam nichts mehr und der betroffene Personenkreis blieb weiterhin unsichtbar.
Schwule Flüchtlinge tauchen nur selten im Asylverfahren und ebenso selten in der homosexuellen Community auf.
Lesbische Flüchtlinge bleiben bis auf wenige Ausnahmen gänzlich unsichtbar.
Dies hat unter anderem den Grund, dass in vielen Ländern, in denen männliche Homosexualität unter Strafe steht, weibliche Homosexualität gar nicht zu existieren scheint (dies war auch in Deutschland der Fall, solange es den §175 noch gab).
Lesbische Beziehungen werden hier anders, aber nicht unbedingt weniger schlimm sanktioniert.
Lesbische Frauen werden oft von der Familie verstoßen, was in Ländern, wo Frauen kaum eine unabhängige Existenzmöglichkeit haben, fatal ist, oder in Zwangsehen abgeschoben und von einem Ehemann misshandelt, geschlagen, vergewaltigt, zwangsgeschwängert, und mit Tod oder Kinderentzug bedroht. Oder sie werden auf Grund ihres Lesbischseins wegen anderer, vorgeschobener Delikte, denunziert.
Dennoch gibt es sie:
- Lesben, die nach Europa fliehen, weil sie offiziell wegen ihrer Homosexualität verfolgt werden,
- Lesben, die in ihrer Heimat kein unabhängiges Leben leben können, aber nicht bereit sind, sich einer erzwungenen oder überlebensnotwendigen Ehe zu unterwerfen und deshalb in Europa Schutz und Unabhängigkeit suchen
- Lesben, die nicht fliehen, weil sie Frauen lieben, sondern aus politischen oder anderen Gründen, die sich nicht von denen heterosexueller Frauen unterscheiden. Nur die ersteren, die ihre Homosexualität als Fluchtgrund angeben, werden gezwungenermaßen wenigstens vorübergehend während des Asylverfahrens sichtbar. Sie werden häufig nicht ernst genommen. Ihre Aussage bleibt oft (emotional bedingt) ungenau und erscheint dadurch unglaubwürdig. Letztendlich werden sie deshalb als Asylsuchende abgewiesen.
Oft erscheint den Behörden und Gerichten der Fluchtgrund nicht wichtig genug, könnten sie doch in einer anderen Stadt ihr Lesbischsein heimlich leben (überlegt sich eineR dieser Beamten, wie es wäre, wenn er/sie eine heimliche Beziehung leben müsste?).
Auch muss die drohende Strafe ein paar Jahre Gefängnis oder die Todesstrafe sein, um ausschlaggebend für einen Aufenthaltstitel zu werden. Außerstaatliche Bedrohung durch die Familie oder andere Personen zählen so gut wie gar nicht als Asylgrund.
Bis Ende 2011 wurde in den meisten Fällen ein Gutachten gefordert, das die „irreversible Homosexualität“ der Asylsuchenden bestätigte.
Abgesehen davon, dass sich sexuelle Orientierungen ändern können, fielen dadurch bisexuelle Menschen oder Lesben, die schon früher eine Ehe eingegangen waren/eingehen mussten, heraus. Allerdings ist laut der Antwort der Regierung auf eine kleine Anfrage durch die LINKE dieses Gutachten in Deutschland mittlerweile hinfällig.
Die meisten Lesben aber bleiben unsichtbar, sind sie doch nach ihrer Erfahrung im Heimatland vorsichtig geworden, wissen nicht, was sie in Europa erwartet.
Wichtiger als der Kontakt zu anderen Lesben ist verständlicherweise zunächst der Kontakt zu Landsleuten im Exil.
Sprache und Herkunft verbindet in der Fremde mehr, als sexuelle Orientierung. Aber auch in diesen Communities müssen sie sich als Lesben verstecken und bleiben so auch hier unsichtbar.
Es verwundert nicht, dass nach all diesen Schwierigkeiten, Verletzungen und Demütigungen durch Familie und Freund_innen zuhause, durch Behörden und Gesellschaft im Herkunfts- und erneut im Zufluchtsland, kaum eine Frau sich erinnern und ihre Geschichte erzählen will, wenn sie es dann doch geschafft hat.
Bettys Geschichte (nennen wir sie Betty) habe ich selbst miterlebt:
Sie kam aus Westafrika. Eines Tages tauchte sie in meiner Stadt auf und fragte nach Unterstützung im Asylverfahren. Sie war aufgewachsen in einem engen anglikanischen Protestantismus, durchsetzt mit Resten traditionellen Hexenglaubens.
Mit 16 Jahren auf dem Schulhof vergewaltigt, lebte sie mit ihrer Tochter bei der Großmutter. Mit Anfang 20 verliebte sie sich in eine Frau im naheliegenden Nachbarland.
Sie wurde wiedergeliebt und es entwickelte sich eine Beziehung, die nicht im Verborgenen blieb. Betty wurde in ihrer Familie als (lesbische) Hexe gefürchtet und verstoßen, von der örtlichen Polizei wurde sie wiederholt für mehrere Wochen inhaftiert. Bevor es zu einem Gerichtsverfahren kam, verließ Betty das Land und floh nach Deutschland, da die Verhältnisse im Heimatland ihrer Partnerin noch homophober waren. Hier fand sie Kontakt zu deutschen Lesben, die sie zunächst mit offenen Armen aufnahmen und unterstützten.
Betty musste in einer heruntergekommenen Sammelunterkunft bleiben, sie vertrug das deutsche Essen nicht, erhielt aber nur Sachleistungen und kein Geld, um sich zu kaufen, was ihr gut getan hätte.
Die Aussichten des Asylverfahrens waren wenig hoffnungsvoll, da sie keine Beweise für ein im Herkunftsland drohendes Strafverfahren hatte und das eingeforderte Gutachten über ihre irreversible Homosexualität (auch in Hinblick darauf, dass sie bereits eine Tochter hatte) nur schwer zu erbringen war.
Betty ging es körperlich und psychisch bereits schlecht, als sie die Nachricht erhielt, dass ihre Partnerin bei einem Autounfall tödlich verunglückt war. Sie suchte Trost im Alkohol und in der afrikanischen Community.
Als mich ihre Nachricht erreichte: „The full catastrophy – I am pregnant“, zweifelte ich zunächst an meinem Englisch.
Aber Betty hatte Glück, die verschwurbelten nationalistischen deutschen Gesetze halfen ihr.
Betty, die in ihrer Heimat nicht bleiben konnte, weil sie eine Frau liebte, Betty, die in Deutschland kaum eine Chance hatte, wegen ihrer sexuellen Orientierung Asyl zu bekommen, war nun schwanger von einem afrikanischen Mann, dessen Fluchtgründe den deutschen Behörden einleuchtender erschienen waren als ihre und der mittlerweile sogar die deutsche Staatsbürgerschaft besaß.
So konnte Betty in Deutschland bleiben, nicht als verfolgte Lesbe, nicht als Zuflucht suchende Frau, aber als Mutter eines deutschen Kindes.
Der größte Teil ihrer lesbischen Unterstützerinnen allerdings ließ Betty umgehend fallen wie eine heiße Kartoffel.
Bis auf wenige und viel zu geringe Ausnahmen fehlen bislang tragfähige Strukturen, die homo- und bisexuellen oder Transgender (LGBT)-Flüchtlingen Halt und Hilfestellung nach ihrer Ankunft im Zufluchtsland und während des Asylverfahrens geben. (1)
Im Gegenteil müssen die Betroffenen auch bei den unterstützenden Freundeskreisen, die oft aus bürgerlich-konservativen und kirchlichen Kreisen kommen, eine Ablehnung ihrer sexuellen Orientierung fürchten.
Wagen sie sich in die gay-community, was schon allein aus finanziellen Gründen während des Asylverfahrens schwierig ist, so erfahren sie auch hier oft Ausgrenzung als Fremde oder eine besondere Be(ob)achtung als exotisches Beiwerk, ohne die Möglichkeit, Kontakte auf Augenhöhe zu bekommen.
Hieran muss dringend gearbeitet werden. Spezifische Hilfsangebote für LGBT-Flüchtlinge, angefangen vom persönlichen Kontakt über die Begleitung zu Behörden bis hin zur Hilfestellung im Asylverfahren sind ein weißer Fleck auf der Landkarte, den es zu füllen gilt.
(1) In Deutschland gibt es gerade mal sechs bis sieben Gruppen von Queeramnesty. Kontakt: http://queeramnesty.org/
Weitere Infos
Kontakt zum Aufbau von Unterstützungsangeboten von LGBTIQ-Flüchtlingen über
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E-Mail: braigm@t-online.de