Leo Tolstoi, Clara Wichmann, Elisée Reclus, Magnus Schwantje u.a.: Das Schlachten beenden! Zur Kritik der Gewalt an Tieren. Anarchistische, pazifistische, feministische und linkssozialistische Traditionen, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2010, 192 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-939045-13-7
„Barbaren greifen sich den Hund, …sie nageln ihn auf einem Tisch fest und zergliedern ihn lebendig, um dir die Gekrösenerven zu zeigen. Du entdeckst in ihm all dieselben Organe der Empfindung wie sie in Dir vorhanden sind. Antworte mir, Maschinist, hat die Natur in diesem Tier all die Sprungfedern der Empfindung zu dem Zweck eingerichtet, dass es nichts spürt? Hat es Nerven, um unempfindlich zu sein? Glaube doch nicht an einen derart frechen Widerspruch der Natur.“ (Voltaire)
Dieses, mit einer eindeutigen Aufforderung betitelte Buch erschien 2010 im Verlag Graswurzelrevolution und beleuchtet fünf historische Positionen, die auf anarchistische, feministische, pazifistische und linkssozialistische Weise Gewalt an Tieren verurteilen. Jede der fünf Argumentationen wird durch ein kommentiertes Vorwort eingeleitet und in den historischen Kontext eingebettet.
Das Buch entstand aufgrund einer in der Graswurzelrevolution geführten Diskussion , die zeigte, dass die Geschichte der Tierrechtsbewegung nur ungenügend bearbeitet ist. Auftakt der Kontroverse war Rüdiger Haudes Artikel „Anti-Speziesismus? Schmeckt mir nicht!“, der im Sommer 2009 in der Graswurzelrevolution Nr. 340 erschienen ist.
„Das Schlachten beenden!“
Das Vorwort von Lou Marin und Johann Bauer gibt eine Übersicht über die in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts entstandene Tierrechtsbewegung, die einen Einfluss auf die heutige vegetarische oder vegane Lebensweise vieler Gruppen hat. Ziel der Auseinandersetzung sei es, einen Überblick über einige der historischen Vorläufer anhand von Texten von Leo Tolstoi, Eliseè Reclus, Magnus Schwantje, Clara Wichmann und dem ISK zu geben.
Schonungslos beschreibt Tolstoi in seiner detaillierten Schilderung der damals neuen Schlachthäuser das Sterben der Tiere, welche auf angeblich schmerzfreiere Art und Weise getötet werden sollen. Er negiert damit die Frage, ob ein tiergerechtes Schlachten möglich ist. Beim Lesen stellte sich ein bitterer Nachgeschmack ein aufgrund der Beschreibung der gleichgültigen Schlachter.
Es drängt sich einem förmlich die Frage auf: Ist eine Abstumpfung bezüglich des natürlichen Mitleids nicht zwangsweise nötig, um zu solchen Handlungen fähig zu sein?
Der Anarchist und sich selbst als „Légumiste“ (Gemüseesser) bezeichnende Reclus legt den Schwerpunkt seiner Argumentation auf seine eigenen persönlichen Erfahrungen, genauer auf sein Entsetzen in seiner Kindheit, als er Zeuge der barbarischen Schlachtung eines Schweins wurde.
Mit Fassungslosigkeit betrachtet er das Verhalten der Menschen, die aus Gewohnheit und Erziehung dieses Mitleid „überwinden“ und überträgt es auf Greueltaten, zu denen auch Menschen untereinander fähig werden: „… von der Schlachtung des Ochsen bis zur Tötung eines Menschen ist es nur ein kleiner Schritt – besonders dann, wenn der Befehl des Anführers ertönt oder der gekrönte Meister von weit her gebietet: ‚Lasst keine Gnade walten‘.“
Der Pazifist Schwantje ist Begründer des Begriffes „Ehrfurcht vor dem Leben“, der heutzutage vor allem mit Albert Schweitzer in Verbindung gebracht wird. Um Leid zu vermeiden, war eine seiner zentralen Forderungen ein vegetarisches Leben. Er bringt dafür das heute als „Speziesismus“ bekannte Argument vor.
Clara Wichmann versucht den Tieren eigene Rechte zuzusprechen, die nicht erst von dem Menschen abgeleitet werden müssen. Dabei greift sie auch auf religiöse Argumente zurück.
Der gewählte Textausschnitt behandelt die besondere Situation der Haustiere: „Und all die … ungeheuren Mißstände in der ‚Rechts‘-stellung der Haustiere kommen daher, daß man ihnen gegenüber (wie früher gegenüber Sklaven und in einem weiteren Sinne auch gegenüber den Frauen) von der Fiktion ausgeht, sie wären Sachen.“
Als fünfte Position wird der Internationale Sozialistische Kampfbund (ISK) vorgestellt, der zwischen 1926 und 1945 existierte und eine vegetarische Lebensweise aus Gründen der „Verrohung der menschlichen Sensibilität“ propagierte.
Besonders interessant ist der Abschnitt über die Gründung von vegetarischen Gaststätten, die zu einer Vernetzungsfunktion im Widerstand gegen den Nationalsozialismus wurden.
Die Verbindung zwischen einem gewaltfreien Leben unter Menschen und dem Verzicht auf Fleisch als Nahrungsmittel wird deutlich herausgestellt: „Wer die Forderung der ausbeutungsfreien Gesellschaft ehrlich zu Ende denkt, wird Vegetarier.“
All den Positionen ist gemeinsam, dass sie das Leid der Tiere ins Zentrum stellen. Beeindruckend ist, dass die Argumente der Autorinnen und Autoren bis heute ihre Gültigkeit in keiner Weise verloren haben. Das Buch stellt eine hervorragende Ergänzung zu der aktuell andauernden Tierrechtsdebatte dar, die sich vor allem um Vertreter wie den umstrittenen Utilitaristen Peter Singer, Tom Regan und die Philosophie der Ehrfurcht von Albert Schweitzer rankt. Dabei wird häufig die lange Geschichte des Vegetarismus außer acht gelassen.
Auch wenn das Buch aufgrund seiner ausschließlich historischen Positionen vielen Vorwürfen, die heutigen Tierrechtlern gemacht werden (wie der im Vorwort erwähnte hinkende Holocaust-Vergleich) nichts entgegnen kann, so zeigt es auf eine sehr gut lesbare und informative, sogar spannende Art und Weise die Ursprünge der Tierrechtsbewegungen auf. So findet neben der Bearbeitung von eher unbekannten Texten auch der historische Kontext der jeweiligen Zeit Beachtung.