Es ist immer traurig, wenn Leute, die einen mit ihrer Arbeit über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg erfreut, ermutigt, begeistert und unterhalten haben, eines Tages einfach damit aufhören. Während Mick Jagger wohl auch mit 95 noch auf der 23sten Abschiedstournee vor 10 Generationen Rolling Stones-Fans keine satisfaction kriegen wird, ist ein anderes Kapitel Popmusikgeschichte jetzt abgeschlossen. Immerhin hat auch dies 30 Jahre lang gedauert, eine gemessen an gewöhnlichen Band-Bestehenszyklen enorme Zeitspanne. Auf ihrer Homepage gaben Chumbawamba jetzt ihre letzten vier Auftrittstermine für 2012 und ihre Auflösung bekannt.
Anarchopop und Antifa
Beim Konzert, das Chumbawamba 2000 im Leipziger Club Ilses Erika unplugged spielte, stand die Agitation gegen den gerade in die österreichische Regierung gewählten Jörg Haider und gegen die europäischen Rechtsextremen ganz oben auf der Playlist.
Auf der winzigen Tanzfläche wurden Fäuste gereckt, bei „Bella Ciao“ grölte und kochte der Saal. Zum Einsatz kam selbst verständlich auch „Enough is enough“, der antifaschistische Song, der schon einer der Hits auf der 1994er Platte Anarchy war. „I wouldn’t piss on you if you are on fire“, niemand konnte das so schön harmlos trällern, wie die Sängerinnen der britischen Postpunk-Band. Aber die Band machte nie reine Politagitation. Schon sehr bald hatten Chumbawamba, deren Mitglieder in den frühen 1980er Jahren in der HausbesetzerInnenszene in Leeds aktiv waren, Affekt und Ausdruck programmatisch entkoppelt: Die Hardcore-Gleichung „Wut = Schrei“ wurde radikal durchkreuzt, für die empörendsten Inhalte konnten die süßlichsten Melodien eingesetzt werden, die Form hatte sich von der Autorität des contents losgesagt.
Dabei entsprach die im nordenglischen Burnley gegründete Band zunächst genau dem, was man sich unter einer Anarcho-Punkband vorstellt: Auftritte in kleinen Clubs und besetzten Häusern, meist in Solidarität mit irgendwelchen Kämpfen (streikende Minenarbeiter, Hausbesetzungen, Anti-Poll-Tax), musikalisch einfach, schräg und laut.
Das änderte sich im Laufe der Jahre – bis über den Top Ten Hit in UK- und US-Charts „Tubthumping“ (1997) (von der CD Tubthumper) hinaus – die anarchistische Grundhaltung blieb. Musikalisch wurde es harmonischer, die Mittel wurden vielfältiger: es wurde gesampelt und zitiert, Punk fast gänzlich durch poppige Rhythmen ersetzt, aufgehottet mit starken Folk-Elementen, aber auch Disco- und Elektro-Einsprängseln. Die LP Slap! (1990) war die erste, die sich von den allzu ruppigen und inkommensurablen, an der Musik von Anarchopunk-Legende CRASS angelehnten Tönen deutlich unterschied, sie wurde damals zu Recht vom Pop-Theoretiker Diedrich Diederichsen als die „beste dezidiert politische Platte“ der letzten Jahre beschrieben.
Es sind nun insgesamt 17 Alben, die in den vergangenen 30 Jahren mit unterschiedlichen Konzepten und Verkaufserfolgen, verschiedenen musikalischen Schwerpunkten und inhaltlichen Ausrichtungen entstanden sind. Und die die eingangs beschriebene Traurigkeit selbstredend etwas mildern helfen. Die letzten waren etwas ruhiger – besonders beliebt war die 1988 erstmals und 2003 neu aufgenommene a cappella Sammlung von English Rebel Songs 1381-1914 – aber deshalb nicht weniger zornig.
Letztlich hielten Chumabawamba die ganze Zeit über die Spannung zwischen politisch eindeutigen Statements etwa gegen die ideologische Scheinheiligkeit des Irakkrieges („Smart Bombs“), gegen Homophobie („Homophobia“) oder Hetero-Schönheitsideale („This Dress Kills“) auf der einen und wirklich lustigen Kommentaren zu Zeitgeistphänomenen auf der anderen Seite – wenn etwa der im Song „Add Me“ beschriebene Typ, der als 50jähriger noch bei seiner Mutter lebt, in Nazi-Uniform seinen Trick mit dem Ei vorführt und dann darum bittet, ihn im sozialen Netzwerk als Freund hinzuzufügen.
Durchbruch und Dilemmata
Anders als bei Stones-artigen Rockformationen, war Chumbawamba keine Band, die klassische Frontmänner und peinlich mit je kleinen Soli am Instrument vorgestellte Musikerheroen hervorbrachte und damit ihren Mitgliedern zu Starruhm verhalf.
Die wechselnden Mitglieder der Band pflegten stets Kollektivität als Band-Modell. Und anders als andere Bandprojekte mit dezidiert anarchistischen Ansprüchen wie etwa die deutsche 80er-Jahre-Folkband Cochise oder die spanische Hardcore-Combo Sin Dios blieben Chumbawamba nicht nur auf Polit- bzw. Punk-Milieus beschränkt.
Schon die Anarchy!-Platte brachte Charthits, über Tubthumper wurde dann immer vom „Durchbruch“ geschrieben. Kommerzieller Erfolg konnte aus libertärer Sicht natürlich kein Güte-Kriterium sein. Als sie 1997 vom Independent-Label One Little Indian zum Major EMI wechselten, wurde das von Teilen der puristischen anarchistischen Szene dementsprechend als Verrat empfunden. Die Band rechtfertigte den Wechsel damit, dass letztlich jede Plattenfirma unter kapitalistischen Bedingungen nach Profit streben müsse.
Damit war nur ein zentrales Dilemma von Pop-Aktivismus schlechthin benannt. Denn schließlich müsste der Widerspruch, wollte man ihn konstruieren, ja schon in dem Versuch gesehen werden, Anarchismus und Pop überhaupt zusammenzubringen. Weil Pop immer hybrid und (auch) unlibertär ist, also Kunst immer auch mit Kommerz und radikale queerness auch mit Sexismus verwoben sein können.
Chumbawamba wussten diese Dilemmata immer auch mit Humor zu nehmen und zu repräsentieren. Ihr Ansatz ließe sich nach einer Songzeile als vielgestaltiger Versuch beschreiben, den Mächtigen in den Wein zu pinkeln („When Fine Society Sits Down To Dine“). Aus Protest gegen die neoliberale Politik der New Labour-Regierung schüttete Chumba-Sänger Danbert Nobacon im Jahr der EMI-Vertragsunterzeichnung dem stellvertretenden Premierminister John Prescott öffentlich einen Eimer Wasser über den Kopf. Und ebenfalls 1997 forderte Sängerin Alice Nutter ihre Fans, die sich Chumbawamba-CDs nicht leisten könnten, in einer US-Talkshow auf, diese bei einer der großen Ketten wie Virgin Records oder HMV zu klauen – woraufhin Virgin Chumbawamba-CDs aus den Regalen nahm.
Ab 2002 veröffentlichten sie ihre Platten auf dem neu gegründeten, eigenen Label MUTT. Auch in diesem Jahr gab es Geraune wegen einer recht undogmatischen Verfahrensweise der Politband: Chumbawamba erlaubte General Motors, ihr Lied „Pass It Along“ in einen Auto-Werbespot zu benutzen.
Die dabei verdienten 100.000 US-Dollar spendete die Band an das alternative Medienportal Indymedia und an die konzernkritische Webseite CorpWatch.
Bands sind – ähnlich wie manche linke Zeitschrift oder bestimmte Kneipen – immer auch Kommunikationsmagneten, um die sich Leute versammeln, die sich zumindest in diesem einen Anziehungspunkt einer Gemeinsamkeit sicher sind.
So gesehen hat sich mit Chumbawamba nicht nur eine gute Band, sondern eines der wichtigsten anarchistischen Projekte der letzten Jahrzehnte aufgelöst. Konstatiert der distanziert interessierte Beobachter.
Der Fan hingegen gibt Chumbawamba in die iTunes-Suche ein, klickt ein paar der witzigen Balladen an – und schluchzt. Seit dem 8. Juli 2012 steht auf www.chumba.com: „That’s it then, it’s the end.“
Anmerkungen
Zuletzt bei Chumbawamba: Boff Whalley, Lou Watts, Jude Abbott, Neil Ferguson, Phil Moody. Frühere Bandmitgleieder: Danbert Nobacon, Alice Nutter, Dunstan Bruce, Harry Hamer, Dave Dillon, Paul Greco.
Von Boff Whalley ist das Buch "Anmerkungen: zu Chumbawamba und mehr" auf Deutsch (übersetzt von Katja Cronauer) 2009 im anarchistischen Verlag Edition AV erschienen.