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„Ein biblisches Alter für eine anarchistische Zeitung“

Die basisdemokratische Graswurzelrevolution wird 40. Die Leserschaft wächst. Ein Gespräch mit Bernd Drücke

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Vierzig Jahre Graswurzelrevolution – für eine Zeitschrift eine lange Zeit. Was kennzeichnet die Graswurzelrevolution, was hat sich gegenüber den Anfängen geändert?

Die Graswurzelrevolution ist immer noch das Sprachrohr der gewaltfrei-anarchistischen Graswurzelbewegung, aber auch anderer sozialer Bewegungen. Sie wurde zu einer Zeit gegründet, in der Anarchisten oft mit „Chaos“ und „Terror“ in Verbindung gebracht wurden. Unsere Zeitschrift wollte damals dazu beitragen, daß die anarchistische Bewegung gewaltfrei und die gewaltfreie Bewegung anarchistisch wird. Die wenigsten werden ihr eine lange Lebenszeit prognostiziert haben, aber 40 Jahre, das ist ein biblisches Alter für eine anarchistische Zeitung und selbstredend sehr erfreulich.

In welchem Zustand befindet sich die Zeitung heute?

Ich würde sagen, sie befindet sich in einem hervorragenden Zustand. Wir erleben derzeit, daß die meisten Zeitungen gerade schrumpfen, bei der Graswurzelrevolution verhält es sich umgekehrt: Wir verzeichnen einen stetigen Zuwachs an Neuabonnenten, was einfach auch damit zusammenhängt, daß es eben nicht mehr so viele anarchistische Zeitungen gibt und die Graswurzelrevolution, wenngleich sie keine Monopolstellung besitzt, sich sicherlich in herausragender Position befindet.

Ist denn die Leserschaft identisch mit der gleichnamigen Bewegung?

Nicht unbedingt. Insgesamt würde ich sagen, daß der Anarchismus einen weltweiten Aufschwung erlebt. Die Bewegung ist momentan sehr vital. Die Graswurzelrevolution geht allerdings weit über dieses Spektrum hinaus. Nicht wenige Abonnenten verstehen sich nicht unbedingt als Anarchisten. Viele Leser wollen ganz einfach eine Zeitung, die andere Positionen vertritt und die auch „Leute von unten“ zu Wort kommen läßt.

Welche gesellschaftspolitischen Ziele stellt sich die Bewegung, und auf welchem Wege sollen sie erreicht werden?

Das Ziel ist die Anarchie, also eine herrschaftsfreie gewaltlose Gesellschaft. Das liegt allerdings noch in weiter Ferne. Unabhängig davon lassen sich Erfolge benennen, an der die Graswurzelrevolution nicht ganz unbeteiligt war. Nehmen wir zum Beispiel die Anti­atombewegung. Noch in den 70er Jahren waren bis zu 200 Atomkraftwerke in Westdeutschland geplant, mittlerweile ist davon – nach dem Pseudoausstieg der Bundesregierung – nicht mehr viel übriggeblieben. An vielen Teilerfolgen sozialer Bewegungen war die Graswurzelrevolution beteiligt. Unser Konzept der direkten gewaltfreien Aktionen ist mittlerweile in den sozialen Bewegungen Konsens, nicht nur in der Antiatombewegung.

Die direkte gewaltfreie Aktion ist also das Kernelement dieser Bewegung?

Ja, genau. Allerdings sollten sich die Ziele bereits in den Widerstandsformen widerspiegeln: Das heißt, wir sind strikt dagegen, Gewalt gegen Menschen anzuwenden. Sabotageaktionen und Blockaden sind kein Akt der Gewalt. Eine Blockade ist unseres Erachtens keine Straftat, sondern oft eine wichtige und richtige Aktion.

Was spricht denn in Abgrenzung zu strafferen Organisationen für den Graswurzelansatz?

Im Falle der Zeitung spricht dafür, daß es seit 40 Jahren funktioniert. Sie ist basisdemokratisch organisiert, das heißt, es gibt einen Herausgeberkreis von etwa 40 Leuten. In der Zeitung drucken wir nur Artikel, zu denen es im Herausgeberkreis einen Konsens gibt. Wenn ein Mitglied gegen einen Artikel ein Veto einlegen würde, dann erschiene der Artikel auch erst mal nicht. Dann diskutieren wir weiter. Das ist ein großer Unterschied zu einer Zeitung, die einen Chefredakteur hat, der sagt, wo es langgeht. Bei uns gibt es einen Koordinationsredakteur, der im Konsens mit den anderen Herausgebern entscheidet. Libertäre Organisierung funktioniert auch in der Praxis.

Sie veranstalten aus Anlaß Ihres Jubiläums einen Kongreß – was wird der zu bieten haben?

Der bietet eine Menge: Es gibt etwa 25 Veranstaltungen, darunter Konzerte mit Klaus dem Geiger und Pit Budde (Cochise), viele spannende Vorträge, unter anderem mit dem ersten ägyptischen Kriegsdienstverweigerer. Weitere Informationen finden sich auf www.graswurzel.net. Ich empfehle wärmstens, da mal vorbeizukommen. Das wird sicher ein schöner Kongreß in Münster vom 7. bis 9. September in der ESG.

Interview: Daniel Bratanovic

Aus: junge Welt, 7.9.2012