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Gewalterfahrungen von Flüchtlingen in Sri Lanka und Deutschland

| Horst Blume

Ranjith Henayaka: "Mit dem Wind fliehen", Horlemann Verlag, Bad Honnef 2010, 320 Seiten, 19,90 Euro

Zur katholischen „Tamilenwallfahrt“ kommen jedes Jahr etwa achttausend BesucherInnen nach Kevelaer.

Ebenso beteiligen sich jährlich bis zu 25.000 Menschen aus Sri Lanka am großen Umzug rund um den hinduistischen Sri Kamadchi Ampal-Tempel in Hamm, der neben dem stillgelegten Atomreaktor THTR in einem Gewerbegebiet liegt.

Der nur hundert Meter weiter befindliche Großschlachthof Westfleisch (1) scheint die tamilischen Vegetarier nicht sonderlich zu stören.

Der größte südindische Hindutempel Europas in Hamm ist fester Bestandteil der Werbestrategie für eine weltoffene und interessante Stadt des örtlichen Marketings.

Mehrsprachige Infobroschüren und eine positive Mediendarstellung sollen für eine attraktive Außendarstellung sorgen.

Der bunte Festumzug mit karnatischer Musik, an dem sich auch zig Büßer mit Metallhaken im Rücken selbst kasteien, lockt inzwischen zahlreiche wild um sich knipsende, nach Exotik lechzende deutsche BürgerInnen an. Im Alltag zwischen den Festen erklärt nach vorheriger Absprache ein pensionierter grüner Lehrer vor Ort höchst kompetent der CDU-Frauenunion und ähnlichen Vereinen die Tempelanlage und den Hinduismus. Er wirbt für religiösen Pluralismus und Verständnis.

Staunend und barfuss tasten sich die Neugierigen an die ungewohnte Umgebung heran; es ist wahrlich ein Bild für die Götter.

Die festlichen Umzüge und die geschmückten Tempelanlagen ließen jedoch für viele BeobachterInnen die 30jährige Bürgerkriegssituation, das Morden und die etwa 800.000 Binnenflüchtlinge in Sri Lanka all zu oft in den Hintergrund treten.

Wer jedoch wissen will, was diese Menschen bisher durchgemacht haben, erfährt es in Ranjith Henayakas Roman „Mit dem Wind fliehen“ in schonungsloser Offenheit.

Die seit Jahrzehnten von der singhalesischen Regierung drangsalierte Minderheit der Tamilen setzte sich für einen eigenen Tamilenstaat im Norden und Osten von Sri Lanka ein.

Nathan und seine Frau Kamala, die beiden Hauptfiguren des Romans, unterstützten eine der vielen mit Waffengewalt agierenden Guerillagruppen, bis das bisher Unvorstellbare eintritt. Eine besonders brutal agierende, konkurrierende tamilische Terrororganisation überfällt das Nachbardorf und versucht zuerst die Widersacher innerhalb der eigenen Ethnie zu vernichten.

Der Romanautor bezeichnet die Angreifer als Tamilische Befreiungsfront (TBF), aber es ist offensichtlich, dass er die berüchtigte Liberation Tigers Tamil Eelam (LTTE) meint, die zwar die Worte Befreiung und Sozialismus im Munde führte, aber für die Durchsetzung ihrer nationalchauvinistischen Ziele auch innerhalb der tamilischen Gemeinde über Leichen ging. Nach diesem Überfall gerieten Nathan und seine Gruppe so massiv unter Druck, dass sie nur noch im Verborgenen agieren konnten. Nathans Frau wurde von den Kämpfern der konkurrierenden Guerilla vergewaltigt und gedemütigt, seine Mutter umgebracht.

Auch Nathan geriet in diesem Zwei-Fronten-Krieg bei seiner Flucht in die Hände von folternden singhalesischen „Sicherheitskräften“. Einem befreundeten singhalesischen Publizisten in der Hauptstadt Colombo gelang es, Nathan freizubekommen, aber der unabhängige Vertreter der Zivilgesellschaft wurde selbst später ermordet.

Diese Geschichte wird spannend in einer direkten und schnörkellosen Sprache erzählt.

Die Figuren der tamilischen KontrahentInnen sind meiner Meinung nach etwas zu stark im schwarz/weiß-Schema gezeichnet worden. Die einzelnen Personen werden sogleich von den LeserInnen den „Guten“ oder den „Schlechten“ zugeordnet.

Gab es in diesem Konflikt keine Ambivalenzen, keine schwankenden Charaktere, keine Zwischentöne? Etwas seltsam sind ebenfalls einige im Internet und in der Vierteljahreszeitschrift „Südasien“ (2) zu findende Buchbesprechungen, in denen die Figur Nathan durchweg als „Freiheitskämpfer“ positiv dargestellt wird, obwohl auch er und seine FreudInnen als Guerillagruppe mit Waffengewalt das Leben anderer Menschen ausgelöscht hatten.

Erst im Laufe der Geschichte, so erzählt es der Schriftsteller Henayaka, wurde dem Protagonisten Nathan immer klarer, dass Gewaltanwendung die Probleme in Sri Lanka nur noch vergrößert.

Im zweiten Teil des Romans wird die Flucht Nathans nach Deutschland beschrieben. Unter unwürdigen Bedingungen muss er jahrelang sein Leben in Asylantenheimen fristen und wird von Behörden schikaniert.

Er darf keiner Arbeit nachgehen und seinen neuen „Heimatort“ München nicht verlassen.

Er lernt Afrikaner in den Heimen kennen, denen es auch nicht besser geht und versucht sich so gut es geht zu wehren. Unfassbar war für ihn, wie ein wirtschaftlich prosperierendes Land wie die BRD mit hilfesuchenden Flüchtlingen umging und sogar Nazis und Rassisten die Asylanten attackierten.

Seine Frau und sein kleines Kind konnten erst Jahre später durch eine abenteuerliche und lebensgefährliche Flucht über Russland in die Bundesrepublik gelangen. Viele TamilInnen sind durch die Grausamkeit des Bürgerkrieges in Sri Lanka und die schwierige Flucht mit Hilfe von gewissenlosen Schleuserbanden traumatisiert hier angekommen. Ranjith Henayaka hat in seinem Roman diesen geschundenen Menschen eine Stimme gegeben.

Bemerkenswert ist, dass er selbst Singhalese ist und sich für die tamilische Minderheit und für eine Versöhnung der Volksgruppen einsetzt. Henayaka gehörte ab 1971 zur linksradikalen Jugendbewegung, die gegen die Politik der regierenden sozialistischen Sri Lanka Freedom Party (SLFP) und ihren kleineren trotzkistischen Koalitionspartner rebellierte.

Bis zu 12.000 Jugendliche wurden im Zuge dieser Auseinandersetzung durch die Regierung ermordet. Die realsozialistisch orientierte bundesdeutsche Presse schwieg dazu. Lediglich wenige Medien (3) der undogmatischen Linken berichteten über den Massenmord des „sozialistischen“ Regimes kritisch. Ranhjith Heynayaka musste mehrere Jahre lang ins Gefängnis und konnte 1980 nach Deutschland auswandern.

2009 kam es in der Endphase des Bürgerkrieges zu massiven Menschenrechtsverletzungen seitens der singhalesischen Regierung. Die Militarisierung des Alltags und Diskriminierung der tamilischen Minderheit besteht weiterhin. Die TamilInnen in der BRD wollen aus nachvollziehbaren Gründen hier bleiben. Deswegen ist es wichtig, dass möglichst viele Menschen über die Hintergründe der Konflikte in Sri Lanka Bescheid wissen. Denn es ist in diesem wirtschaftlich erfolgreichen Land immer noch schwierig, Verbündete für eine menschenfreundliche Asylpolitik zu finden.

Wie schlecht es um die Flüchtlingspolitik bestellt ist, sieht man auch daran, dass eine Politikerin wie Claudia Roth zum moraltriefenden Vorwort in diesem Buch ausholen kann, obwohl ihre eigene Partei in der Bundesregierung sieben Jahre lang mitverantwortlich für eine ähnliche Asylpolitik war, wie sie in diesem Roman zu Recht angeprangert wird.

(1) Horst Blume, "Arme Schweine" in "Schwarzer Faden", Nr. 8, 3/1982

(2) Michael Schirmer, "Südasien" Nr. 3, 2011

(3) Fred Halliday: "Aufstand in Ceylon" in "Sozialistisches Jahrbuch", Wagenbach, Nr. 4, 1972

"Ceylon - die "rote" Konterrevolution" in "Der Metzger", Nr. 21, 1973

"Ceylon 1973" in "Links. Sozialistische Zeitung", Nr. 47, 1973

"'Sozialistische' Konterrevolution in Ceylon" in "Der lange Marsch" Nr. 5, 1973
"Nationale Befreiungsbewegung oder Sozialismus?", "Schwarze Protokolle" Nr. 124, 1974

"Aufstand auf Ceylon: Über dessen Ursache, Verlauf und Niederlage" von Solidarity London, MaD Flugschrift, 1974, 82 Seiten

Anmerkungen

Die vollständigen libertären buchseiten 2012 gibt es auch als PDF zum Download.