Paul Mattick: Business as usual. Krise und Scheitern des Kapitalismus. Edition Nautilus, Hamburg 2012, 160 Seiten, 12,90 Euro, ISBN 978-3-89401-754-5
„Gerade das wiederholte Auftreten von Krisen in regelmäßigen Abständen […] schließt […] die Vorstellung aus, ihre letzten Gründe in der Rücksichtslosigkeit einzelner zu suchen“, schrieb Karl Marx 1857, mitten in der ersten großen Wirtschaftskrise des Kapitalismus, in einem Beitrag für die New York Daily Tribune.
Man mag heute ein wenig mit den Augen rollen, wenn im Zusammenhang mit der aktuellen Krise zum x-ten Mal der Hinweis kommt, die Kritik an Banksters und Spekulationen sei eine „verkürzte Kapitalismuskritik“, eine „Personalisierung“ oder ähnliches. Heißt das, „Profitgier“ spiele keine Rolle?
Im Gegenteil, so Paul Mattick, der mit „Business as usual“ auf den Spuren seines rätekommunistischen Vaters wandelt.
Gerade weil Gier das „Grundmotiv kapitalistischer Investitionsentscheidungen“ (S.76) ist und schon immer war, gerät er immer wieder in Krisen.
Matticks gleichnamiger Vater, Aktivist der Räterevolution 1919, später Mitglied verschiedener rätekommunistischer und syndikalistischer Organisationen in Deutschland und den USA, hat während der für die aktuelle Krise ursächlichen krisenhaften Ereignisse der späten 1960er und der 1970er Jahre das theoretische Fundament gelegt, auf das sein Sohn heute aufbaut.
In erster Linie ist dies Matticks „Marx und Keynes. Die Grenzen des ‚gemischten Wirtschaftssystems'“ – eine dezidierte Untersuchung, in der Mattick den Keynesianismus als unzureichend kritisiert, bevor er mit der „Stagflation“ der 1970er Jahre offiziell als gescheitert gilt.
Keynes‘ Ansatz, den Staat antizyklisch investieren zu lassen, um die ‚freie‘ Wirtschaft anzukurbeln, habe so nie funktioniert. Mattick jr. nennt zahlreiche Beispiele dafür. Das Problem liege darin, dass zusätzliche Wirtschaftsmittel die Wirtschaft eben nicht ankurbeln würden, sondern dies letztendlich nur durch Profitaussichten geschehe. Die Staaten pumpten also letztlich nicht nur kurzfristig Geld in die Wirtschaft, sondern waren gezwungen, dabei zu bleiben. Die „keynesianische Karte“, so schlussfolgert Mattick jr., ist „bereits weitgehend ausgespielt“ (S.129).
Letztlich sind aber die Vorschläge von links, die aktuelle Krise betreffend, zumeist nur ein Neuaufguss dieser keynesianischen Denkweise.
Mattick jr. diagnostiziert dementsprechend eine Krise der Linken, denn „nirgends treten die Linken mit dem Anspruch auf, potenziell eine neue Gesellschaft zu begründen“ (S.124). Im Gegenteil sieht er in „linke(n) Organisationen, die sich und ihren Einfluss als zentral für den Erfolg jedes revolutionären Kampfes betrachteten“ (S.136), als Hindernis. Andererseits: „Sich selbst überlassen, verspricht der Kapitalismus auf Jahrzehnte hinweg wirtschaftliche Schwierigkeiten“.
Der Widerstand dagegen resultiert nicht automatisch aus der Krise, Zyklen des Abschwungs sind seit 1800 in jedem Jahrzehnt zu finden und nur in einigen Fällen mit Revolten verbunden. „Die größte Unbekannte, wenn man über die Zukunft des Kapitalismus nachdenkt, ist die Hinnahmebereitschaft der Weltbevölkerung […]“ (S.134).
Paul Matticks Zukunftsperspektive liegt daher auch nicht in irgendeiner Rettung dieser Ökonomie, sondern darin, „im Angesicht einer Katastrophe gegenseitige Hilfe zu organisieren“ (S.137).
Paul Mattick jr. distanziert sich zwar von allen politischen Strömungen und Ideologien, aber gerade darin liegt seine anarchistische Denkweise begründet: „Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun“, heißt es im Liedtext der „Internationale“ und „Es kann die Befreiung der Arbeiterklasse nur die Sache der Arbeiter sein“ dichtete Bertolt Brecht in Anlehnung an die Statuten der Ersten Internationale.
In dieser Tradition von Selbstorganisierung und Gegenseitiger Hilfe stehen Mattick sr. und jr.
„Business as usual“, das wesentlich leichter verdaulich ist als die wissenschaftlichen Arbeiten Mattick sr., ist so außerordentlich lesenswert, weil er die Krise nicht als Ausnahmeerscheinung, sondern als ganz normalen Kapitalismus entlarvt. Sie ist eine zu dieser Zeit notwendige Intervention, die nicht zuletzt dazu anregt, die Klassiker seines Vaters wieder zu lesen.
Anmerkungen
Die vollständigen libertären buchseiten 2012 gibt es auch als PDF zum Download.