In Münster tobt seit Jahren ein Kulturkampf um die Umbenennung von Straßen, die die Namen von TäterInnen und UnterstützerInnen des NS-Regimes tragen/trugen.
Über den Konflikt berichteten u.a. Der Spiegel und die tagesthemen. Am 18. September schrieb Marcus Meier im Neuen Deutschland: „Münsters größter Platz wird auch weiterhin Schlossplatz heißen und nicht, wie von 1927 bis Anfang dieses Jahres, Paul von Hindenburg als Namenspatron haben. So entschieden die Münsteraner per Bürgerentscheid. Seit kurzem ist zudem ein Weg der Westfalenmetropole nach dem Antifaschisten Paul Wulf benannt.
Dem Ansinnen, den Schlossplatz bereits nach wenigen Monaten wieder nach Hitlers Steigbügelhalter rückzubenennen, erteilten am Sonntag fast 60 Prozent der Teilnehmer eines Bürgerentscheids eine Absage. Die Wahlbeteiligung lag mit über 40 Prozent im Vergleich hoch.“ (1)
40 Prozent für den Kriegsverbrecher Hindenburg
Das reaktionäre Potential, das sich für die Rückbenennung des Schlossplatzes in Hindenburgplatz ausgesprochen hat, ist zwar mit 40% der abgegebenen Stimmen erschreckend hoch, aber angesichts der massiven rechten Kampagne „Pro-Hindenburg“ war schlimmeres zu befürchten.
Die Initiative „Pro-Hindenburg“ vom rechten Rand der CDU hatte in wenigen Wochen mehr als 15.000 Unterschriften für einen Bürgerentscheid zur Rückbenennung des Schlossplatzes in Hindenburgplatz gesammelt. In Umfragen lagen die Fans des Militaristen und Hitlerfreundes monatelang vorne. Erst durch eine große Aufklärungskampagne der Schlossplatz-BefürworterInnen kippte die Stimmung. Dazu beigetragen hat sicher auch das politisierende Plakat, das den historischen Handschlag von Hitler und Hindenburg und die Botschaft „Nein zu Hindenburg!“ zeigt (siehe Abb.). Das Bündnis gegen die Umbenennung in Hindenburgplatz reichte von Teilen der Kirche, CDU über SPD, FDP, Grüne und LINKE bis zu libertären Kreisen.
Zur Vorgeschichte
Nachdem im Mai 2007 in der ZEIT und der Münsterschen Zeitung (MZ) über eine Doktorarbeit berichtet worden war, die die menschenverachtenden Machenschaften des NS-Eugenikers Karl Wilhelm Jötten beleuchtet, forderte ich als Sprecher des Freundeskreis Paul Wulf am 6. Juni 2007 in der MZ die Umbenennung des Münsteraner „Jötten Wegs“ in „Paul Wulf Weg“ und das Anbringen einer Informationstafel an der Straße, mit der sowohl über den NS-Eugeniker Jötten als auch über den 1938 im Alter von 16 Jahren von einem NS-Arzt aufgrund der Diagnose „angeborener Schwachsinn“ zwangssterilisierten Paul Wulf erinnert werden sollte.
Der 1991 für seine antifaschistische Aufklärungsarbeit mit dem Bundesverdienstkreuz geehrte Anarchist Paul Wulf war ein sehr guter Freund von mir. Nach seinem Tod 1999 hatte sich unser Freundeskreis Paul Wulf zusammengetan, um fortan die antifaschistische Aufklärungsarbeit im Sinne von Paul und der 350.000 NS-Zwangssterilisierungsopfer weiterzuführen. Wir haben z.B. Informationsveranstaltungen gemacht, 1999 die Broschüre „Paul Wulf. Antifaschist und Freidenker“ und 2007 das Buch „Lebensunwert? Paul Wulf und Paul Brune. NS-Psychiatrie, Zwangssterilisierung und Widerstand“ im Verlag Graswurzelrevolution herausgegeben.
Eine „öffentliche Person“ wurde Paul Wulf erst posthum. Einer weltweiten Öffentlichkeit wurde er 2007 durch das gemeinsam von der Frankfurter Künstlerin Silke Wagner und unserem Umweltzentrum Archiv e.V. für die „skulptur.projekte“ entwickelte Projekt „Münsters Geschichte von unten“ (www.uwz-archiv.de) bekannt. Zu diesem politischen Kunstwerk gehört auch die Paul Wulf Skulptur, die 2007 von den LeserInnen der MZ zur beliebtesten Skulptur gewählt wurde. Ihr Erhalt konnte durch eine erfolgreiche Kampagne des Freundeskreis Paul Wulf und vieler MünsteranerInnen gegen den Willen von vielen CDU-PolitikerInnen durchgesetzt werden.
In Folge der Jöttenweg-Diskussion 2007 setzte der Rat der Stadt Münster eine Historikerkommission unter Vorsitz des christlich-liberalen CDU-Oberbürgermeisters Markus Lewe ein.
Die entschied, dass über 20 nach Nazis benannte Straßen in Münster umbenannt werden sollen, darunter auch der Jöttenweg. Und der Hindenburgplatz, der dann Ende 2011 in Schlossplatz umbenannt wurde. Mein Anfang 2011 schriftlich gestellter Bürgerantrag auf Umbenennung des Jöttenwegs in Paul Wulf Weg und Anbringung einer Informationstafel wurde im Mai 2012 von der Bezirksvertretung Münster-Mitte mit 18 zu 4 Stimmen bewilligt. Teile der CDU hatten bis zuletzt versucht den Paul Wulf Weg zu verhindern.
Am 29. August 2012 wurde der Jöttenweg in Paul Wulf Weg umbenannt. Am 4. September 2012 wurde auch mein Antrag auf Anbringen eines Informationsschildes von der Bezirksvertretung angenommen. Diese Tafel wird voraussichtlich in den nächsten Wochen an den Paul Wulf-Straßenschildern angebracht.
Fazit
Selbst in konservativ geprägten Städten sind Veränderungen von unten möglich, wenn viele Menschen an einem Strang ziehen. Libertäre Kommunalpolitik ist machbar, Frau Nachbar!