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Wer verfolgt wird, gilt als paranoid

| Detlev Beutner

Als WikiLeaks-Mitgründer Julian Assange am 19. Juni 2012 in die ecuadorianische Botschaft floh und in der Folge am 16. August dort Asyl erhielt, wurde seit längerer Zeit wieder etwas breiter über den Fall in den Tagesmedien berichtet. Allerdings ist die Stimmung gegenüber Assange hochgradig gereizt, die Journaille zeigt sich genervt: Der Mann sei "Paranoiker" (1), er ziehe eine "Farce", ein "Schmierentheater" (2) ab, er bastele an seinem "Mythos" (3). Nicht die Verfolger werden Verfolger genannt, sondern der Verfolgte gilt als eingebildeter Verfolgter, als paranoid, als wichtigtuerischer Spinner. Differenzierung - Fehl am Platz.

Natürlich ist die Geschichte um Julian Assange reich an Lehrmaterial, wie man es nicht macht.

Ohne zu den vielen einzelnen mehr ins Persönliche zielenden Vorwürfen (etwa durch Ex-Kompagnon Daniel Domscheit-Berg) Position beziehen zu müssen, lässt sich zumindest aussagen, dass die Fixierung einer Institution – WikiLeaks – auf eine („schillernde“ dürfte kaum zu nahe gehen) Person Gefahren für das Projekt mit sich bringt, die sich in diesem konkreten Fall praktisch alle manifestiert haben.

Insbesondere ist die „Causa Assange“ dazu geeignet, den Fokus der Berichterstattung wegzulenken vom politischen Hintergrund der Organisation wie auch jetzt vom Verfolgungswillen der US-amerikanischen Behörden.

Ob Assange oder die Verfolger dabei den größeren Anteil an dieser Fokus-Verschiebung haben, kann ebenfalls dahingestellt bleiben. Es bleibt aber bei all dieser Kritik wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Hintergründe der Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen – und diese sind und bleiben höchst politisch.

So ist etwa die Frage, ob die gegen Assange vorgebrachten Vorwürfe der Sexualdelikte gegen zwei Schwedinnen haltlos oder vollumfänglich zutreffend sind, in diesem Kontext (!) ebenfalls vernachlässigbar; damit soll nicht gesagt werden, dass diese Frage für die betroffenen Frauen vernachlässigbar sei, aber die Ebenen müssen im Kopf zunächst getrennt werden, um anschließend analysieren zu können, wer konkret welches Spiel spielt.

Denn unabhängig von den zur Diskussion stehenden strafrechtlichen Vorwürfen und deren Hintergrund ist es nun einmal auffällig, dass Schweden hier einen Ermittlungseifer an den Tag legt, den sich von sexuellen Übergriffen betroffene Schwedinnen ansonsten nur erträumen können.

Hierauf weisen etwa die „Women Against Rape“ in ihrer Stellungnahme hin, in der sie den Vorrang des politischen Verfolgungseifers gegenüber den Ermittlungen zu Sexualdelikten analysieren und sich vor diesem Hintergrund gegen die Auslieferung Assanges aussprechen. (4)

Das Tauziehen um Julian Assange wird in den Medien vor allem an diesen Vorwürfen festgemacht, da diese auch den „technischen“ Hintergrund der bisherigen und zukünftigen Aktionen darstellen: Liefert England nach Schweden aus? Und wenn ja, was droht Assange dann? Fühlt er sich nur verfolgt oder wird er verfolgt?

Dabei übertreffen sich die KommentatorInnen gegenseitig in ihrem Optimismus, dass es sich doch „nur“ um die Sache mit dem Sexualdelikt handele – niemand anders wolle Assange, nur dieser selbst stricke an einem Verschwörungs-Mythos. So weiß etwa die taz: „Wenn sich die [schwedischen] Vorwürfe als haltlos erweisen, ist er ein freier Mann“. (5)

Die Zeit spielt Rechtsberater und erklärt, „dass das Auslieferungsabkommen zwischen Schweden und den USA Geheimnisverrat als Grund gar nicht vorsieht.“

Kurzum: Der Patient bildet sich alles nur ein?! Dann ließen sich diverse Vorkommnisse der letzten Wochen eher schwer erklären: Nachdem Assange in die ecuadorianische Botschaft eingezogen war, schwadronierte England über die Möglichkeit einer Erstürmung der Botschaft durch die Polizei, später ließen sie den Plan fallen. PolizistInnen sichern das Gebäude dennoch weiter ab.

Schweden ließ Ende August verlauten, Assange „nicht an die USA auszuliefern, wenn ihm dort die Todeszelle drohe“; eine weitergehende Nichtauslieferungsgarantie, wie von Assange gefordert, sprach man allerdings nicht aus.

Wenn aber doch formal alles so klar wäre, wo läge dann das Problem einer solchen Zusage?

Eher dürfte diese Art des Versprechens eine inoffizielle Erklärung dahingehend sein, dass sich unter der Hand die Auslieferung selbstverständlich in Planung befindet.

Man muss Assange nicht mögen. Man muss Ecuador nicht mögen. Man kann viele Schachzüge dieses scheinbar personengebundenen Spiels irritierend bis verwerflich finden.

Aber man sollte Abstand davon nehmen, den politischen Hintergrund auszublenden und zu ignorieren, mit welch abgrundtiefen Hass die USA an der Verfolgung von Bradley Manning arbeiten, der ab dem 4. Februar 2013 – dann nach über zweieinhalb Jahren Haft – nun vor dem Kriegsgericht angeklagt stehen wird.

Auch bei diesem Verfahren ging und geht es durchgehend darum, Beweise gegen Assange zu sammeln. Und am Ende ist es egal, ob die Betroffenen Assange, Manning oder sonst wie heißen – wer die Informationshoheit kriegsführender Supermächte antastet, steht im Fadenkreuz. Hiergegen gilt es primär zu opponieren.

Anmerkungen

Anm. d.Red.: Zum Thema siehe auch Artikel auf Seite 18 in dieser GWR.