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Die Rendite ist sicher

Privatisierende Rentenpolitik als großkoalitionäres Projekt

| Arno Klönne

Armut im Alter ist zum öffentlichen Thema geworden. Das immerhin kann man Ursula von der Leyen als Verdienst zuschreiben. Und da im nächsten Jahr Bundestagswahlen anstehen, wetteifern die beiden "Volksparteien" darin, sich Kompetenz in dieser Sache zuzuschreiben, Hilfsbereitschaft auch für "Geringverdiener" zu demonstrieren. So ganz wollen sie die Unterschicht als Teil des Wahlvolkes nicht außer Betracht lassen. Die CDU-Bundesarbeits- und Sozialministerin hat eine "Zuschussrente" vorgeschlagen, die das Schlimmste verhüten soll, der SPD-Parteivorsitzende eine "Solidarrente" zu demselben Zweck. Beide Konzepte sind auch in ihren Herkunftsparteien umstritten. Die SPD will sich auf ihrem Parteitag im November noch einmal mit der Rentenpolitik beschäftigen - es bahne sich "eine Lösung an, mit der jeder wird leben können", sagt der Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Im Blick hat er dabei freilich nicht den "Geringverdiener" im Ruhestand, sondern die VertreterInnen der sogenannten Flügel in seiner Partei.

Was die rentenpolitische Grundlinie angeht, so handelt es sich bei den konzeptionellen Anstrengungen von ChristdemokratInnen und SPD-GenossInnen um eine Scheinkonkurrenz, die dem Wahlmarketing entspringt.

Die Bundeskanzlerin hat jüngst beim Deutschlandtag der Jungen Union exakt das Prinzip benannt, in dem CDU/CSU und SPD übereinstimmen: „Das private Element bei der Rente muß gestärkt werden.“

Wer zukünftige Rentnerinnen und Rentner dahin drängen will, sich rechtzeitig den kommerziellen Versicherungsunternehmen zuzuwenden, kann nur daran interessiert sein, dass die Gesetzliche Rentenversicherung zunehmend in Misskredit gerät. Nach der neuesten, von „Focus“ in Auftrag gegebenen Umfrage haben sich bereits 51 Prozent der deutschen Bevölkerung damit abgefunden, dass die Leistungen aus dem öffentlichen Rentenfond weiter absinken, Existenzsicherung im Alter also durch dieses System nicht mehr zu erwarten ist.

Ein deutlicher Erfolg der indirekten Werbung, die zahlreiche prominente PolitikerInnen für das Angebot der privaten Versicherungswirtschaft seit Jahren übernommen haben, vor allem aber ein Effekt der Demontage, die unter Regie von CDU/CSU und SPD gesetzgeberisch am Leistungssystem der Gesetzlichen Rentenversicherung betrieben wurde und weiterhin geplant ist, vor allem durch Absenken des Rentenniveaus und Heraufsetzen des Eintrittsalters in die Rente.

Ein kurzer Blick zurück

Die Einführung einer umlagefinanzierten Gesetzlichen Rentenversicherung, bei der Kapital und Arbeit gleichermaßen zu Beiträgen herangezogen werden sollten, war die wichtigste sozialpolitische Errungenschaft der Alt-Bundesrepublik.

Dieses Rentensystem war darauf angelegt, die Altersexistenz materiell vollständig zu sichern, durch einen „Generationenvertrag“ und auf der Grundlage der ökonomischen Produktivität der gesamten Gesellschaft.

Durchgesetzt wurde diese Gesetzliche Rente vom Kanzler Konrad Adenauer, gegen den Willen seines Wirtschaftsministers Ludwig Erhard und gegen die FDP, aber mit Zustimmung der SPD, die sich damals in der Opposition befand.

Dass Adenauer sich so intensiv um die RentnerInnen kümmerte, hing auch mit dem Kalkül zusammen, auf diese Weise lasse sich für seine Partei die Bundestagswahl 1957 leichter gewinnen.

So kam es dann auch, was jedoch der Vernünftigkeit des Konzepts keinen Abbruch tut. „Diese Rente ist sicher“, versprach noch Jahre danach der CDU-Prominente Norbert Blüm und glaubte das auch. Er hatte seine Rechnung ohne die Wirte gemacht.

Kapital sucht stets nach neuen, gewinnträchtigen Verwertungsmöglichkeiten

Spätestens seit der Endphase der Regierung von Helmut Kohl ist die Gesellschaft der Bundesrepublik in eine systematische Privatisierung bis dahin öffentlicher Einrichtungen und Dienstleistungen hineingeführt worden, und mit dem Versicherungswesen bietet sich ein großflächiges und lukratives Geschäftsfeld zur Erschließung an, sofern die politischen Bedingungen dafür hergestellt werden. Dies haben CDU/CSU und SPD arbeitsteilig, in einer formellen oder informellen Großen Koalition besorgt, und beide Parteien sind gewillt, ihr rentenpolitisches „Reform“- Werk fortzusetzen.

Bei der FDP fanden und finden sie dabei anfeuernde Zustimmung, die Grünen verhalten sich mitlaufend. Die personelle Verflechtung zwischen führenden ParteipolitikerInnen und der privaten Versicherungswirtschaft ist eng. Der sozialdemokratische Rentenreformer Walter Riester ist ein Beispiel dafür, aufschlussreich ist auch die politikberatende Rolle des „Rentenpapstes“ Bert Rürup (SPD), der dann von der fachlichen Expertise zum direkten Business in der Branche überwechselte.

Die gegenwärtig vorgelegten Rentenpläne, ob aus der CDU/CSU oder der SPD kommend, stimmen bei all ihren Unterschieden im Detail in einem Grundsatz überein: Niemand soll sich jetzt und in Zukunft bei seiner Altersvorsorge auf das System der umlagefinanzierten Gesetzlichen Rentenversicherung verlassen, die kapitalgedeckte private Versicherung sei generell und zwingend notwendig.

Auch die politisch geförderte Betriebsrente ist diesem Muster der Kapitalisierung zugeordnet. Und die Vorschläge für eine „Zuschuss“- oder „Solidarrente“ sind verknüpft mit der Voraussetzung, dass sich die EmpfängerInnen auch auf „private Altersvorsorge“ einlassen.

Die Hinwendung der herrschenden Politik zur privaten Versicherungswirtschaft wurde und wird unentwegt mit einem „demographischem Sachzwang“ begründet, interessengeleitet ist dabei die Möglichkeit verschwiegen, das umlagefinanzierte öffentliche Rentensystem funktionsfähig zu halten durch eine Ausweitung der Beitragspflicht und auch dadurch, dass die Kapitalseite dort, wo sie nicht personalintensiv wirtschaftet, für die Rentenfinanzierung herangezogen wird.

Die regierungs- und parteienoffiziellen Dienstleistungen für die Versicherungsbranche gehen einher mit zwei großangelegten Täuschungen des Publikums:

Erstens wird die Illusion geweckt, auch „Geringverdiener“ könnten sich, wenn sie nur endlich von ihrer jetzt vielbeklagten „Vorsorgemuffelei“ ablassen, durch private Zusatzversicherungen einen schönen Lebensabend vorbereiten.

Diese Werbebotschaft ist fernab der Realität, wenn man bedenkt, mit welchen Beträgen, wenn überhaupt, Minijobber, Fristarbeiter, mies bezahlte Scheinselbständige, zeitweilig Arbeitslose etc. sich in eine private Rente einkaufen können.

Und das Konzept der Betriebsrente geht völlig vorbei an der Tatsache, dass die „Stammbelegschaften“ immer kleiner werden. Das „Normalarbeitsverhältnis“ mit gutbezahlter Facharbeit und stetiger Erwerbsbiographie ist immer weniger die Normalität; bei den weiblichen Beschäftigten war es diese noch nie.

Zweitens wird fälschlicherweise die kapitalgedeckte Rente als „sicher“ hingestellt. Sie ist dies keineswegs, die schleichende Inflation mindert ihren Wert, und Turbulenzen im Finanzmarkt können sie ganz hinfällig machen.

Populär ist das Argument, das System der Gesetzlichen Rentenversicherung sei ungerecht im Generationenverhältnis, die jetzt jungen Leute müssten immer höhere finanzielle Lasten für die Alten übernehmen, da sei doch die private Versicherung für sie eine Alternative. Dem steht als Realität entgegen: Die Demontage der umlagefinanzierten öffentlichen Rente erzeugt extreme Armutsrisiken im Alter gerade für die jetzt nachwachsende Generation.

Ein bedrückendes Fazit:

Die beiden großen Parteien sind sich einig in einem rentenpolitischen Diskurs, der keine Lösung für das Problem massenhafter Armut im Alter erbringen kann. Bestens brauchbar ist er allerdings als Werbemaßnahme für eine Expansion der Renditen in der Versicherungsbranche.

Anmerkungen

Arno Klönne (* 4. Mai 1931 in Bochum) ist emeritierter Professor für Soziologie (Uni Paderborn), Autor u.a. des Standardwerks "Jugend im Dritten Reich - Die Hitler-Jugend und ihre Gegner" und Mitherausgeber der Zweiwochenschrift OSSIETZKY.