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Ein großer Menschenfreund

Am 9. Dezember 2012 wird der libertäre Filmregisseur Peter Lilienthal in Berlin mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille geehrt

| Winfried Bettmer, Filmwerkstatt Münster Dr. Bernd Drücke, Redaktion Graswurzelrevolution Isabel Lipthay, Schriftstellerin, Liedermacherin

Aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit der Filmwerkstatt Münster und der Redaktion Graswurzelrevolution mit Peter Lilienthal haben wir ein detailreiches Bild seines politischen Engagements bekommen und ihn der Internationalen Liga für Menschenrechte (ILM) für die Ossietzky-Medaille vorgeschlagen. Unser Vorschlagwurde von der ILM angenommen und Peter Lilienthal wird nun am 9. Dezember im Gripstheater Berlin mit der Carl von Ossietzky-Medaille geehrt (siehe Seite 4).

Peter Lilienthal wurde am 27.11.1929 in Berlin als Sohn jüdischer Eltern geboren. 1939 floh er mit seiner Mutter und Großmutter vor den Faschisten nach Uruguay. Er wuchs vaterlos in dem Hotel auf, das seine Mutter in Montevideo betrieb. Über die dort gestrandeten Exilanten kam er in Berührung mit den Geschehnissen in der Welt. Bereits in seinen Jugendjahren kam er über seinen Lehrer in Kontakt mit anarchistischen Theorien und entwickelte aus den häufigen Kinobesuchen seine Liebe zum Film. Er gründete einen Schmalfilmclub und unternahm erste Filmversuche. Nach einer Banklehre studierte er in Berlin im Nachkriegsdeutschland Film.

Beim SWF bekam er danach eine Anstellung und nutzte die damals noch vorhandenen Sendeplätze mit seinem Kollegen Michael Ballhaus, um mit experimentellen Versuchen die Möglichkeiten des Fernsehens intellektuell auszuloten.

Sein erster Kinofilm ‚Malatesta‘ skizzierte 1970 das Leben des berühmten italienischen Anarchisten im Londoner Exil und sorgte beim Sender SFB für einen Skandal – es war die Zeit der sogenannten ‚Studentenunruhen‘.

Auch seine nächsten Kinofilme hatten politische Inhalte. Sie spielten in Lateinamerika: über die Emanzipation einer jungen Chilenin in der Allende-Zeit (LA VICTORIA), über die Folgen des Militärputsches in Chile (ES HERRSCHT RUHE IM LAND) und über das Engagement eines Nationalgardisten für die sandinistische Revolution in Nicaragua (DER AUFSTAND).

Aus der Perspektive der Unterdrückten und hier meistens an den gebrochenen Biografien von Einzelschicksalen klagt er die Unterdrückung an, zeigt aber auch Handlungspotentiale auf. Seine Utopie: ein Leben ohne Herrschaft und Gewalt.

„Ich zeige die Geschichte von Menschen, die keine Heldenaureole um sich haben, die sich nicht äußern können, die stumm vor dem schrecklichen Geschehen stehen und eigentlich nichts zu sagen haben.“ (Peter Lilienthal, 1963)

In seinem 1979 mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten Film ‚DAVID‘ arbeitet er die Vernichtung der Juden im Nazideutschland auf und fragt nach den Ursprüngen von Rassismus und Hass. David ist 18 Jahre alt und Jude. Er lebt mit seiner Familie in Berlin. Am Tag nach der Reichspogromnacht wird sein Vater verhaftet, misshandelt und eingesperrt. Noch glaubt die Familie glimpflich davon zu kommen, doch dann werden Davids Eltern deportiert. David taucht unter, versteckt sich vor den Nazis und sucht verzweifelt einen Weg, um aus Deutschland zu fliehen. Lilienthals Film basiert auf Joel Königs autobiografischen Aufzeichnungen „Den Netzen entkommen“.

Auch in vielen Dokumentarfilmen wandte er sich den Unterdrückten, aber auch starken Charakteren zu, die ihr Leben selbst unter widrigsten Umständen zu meistern versuchen. In seinem letzten Film CAMILO wurde die Intention und das stetige Engagement dieses ‚rastlosen Nomaden‘ deutlich. Die ursprüngliche Fragestellung von Lilienthal in diesem Dokumentarfilm über zwei Soldaten aus dem Irakkrieg war: Warum schicken Väter ihre Söhne in den Krieg?

Anhand zweier Einzelschicksale wird die Möglichkeit aufgezeigt, sich staatlicher Herrschaft zu widersetzen. Gleichzeitig wird – im Subtext – die doppelte Ausbeutung lateinamerikanischer Staaten durch die USA aufgezeigt, die die mittellosen Söhne aus diesen Ländern mit Zukunftsversprechungen als Soldaten für ihre Kriege anwerben. CAMILO ist auch ein Blick auf das heutige Nicaragua, so weit weg von den sandinistischen Träumen aus DER AUFSTAND.

Zeit seines Lebens hat sich Lilienthal für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft eingesetzt. Mit seinen künstlerischen Mitteln versucht er aus der Perspektive der Unterdrückten Gewaltmechanismen aufzuzeigen und Menschen zu ermutigen, sich für eine bessere Gesellschaft zu engagieren. Jenseits von nationalstaatlichem Denken steht das Schicksal der Menschen in seinem Schaffen im Mittelpunkt der Reflexion.

Diese Haltung besticht auch in seiner pädagogischen Arbeit – erst in der DFFB und später als Gründungsdirektor der Abteilung Film in der Akademie der Künste, der er mit seinen internationalen Sommerakademien einen Stempel aufdrückte. Ebenso in den Seminaren, die er heute noch abhält. Er versucht seine KollegInnen zu organisieren (Filmverlag der Autoren) und in Netzwerken (Europäische Filmakademie) deren Interessen zu stärken. In anderen Netzwerken (Connection e.V., Graswurzelrevolution, DFG-VK u.a.) engagiert er sich – in der Tradition von Carl von Ossietzky – als konsequenter Pazifist gegen Militarismus und jegliche Form von Militarisierung.

Peter Lilienthal ist ein großer Menschenfreund. Es ist schön, dass ihm nun für sein Lebenswerk und sein konsequentes Handeln für die Menschenrechte die Ossietzky-Medaille verliehen wird.

Peter, wir gratulieren Dir ganz herzlich!

Anmerkungen

Festakt der Medaillenverleihung am Sonntag, 09.12.2012, 11:00 - 13:00 Uhr im GRIPS Theater, Altonaer Straße 22, 10557 Berlin direkt am U-Bhf. Hansaplatz (U9)

Weitere Informationen

www.ilmr.de
www.graswurzel.net/296/lilienthal.shtml
www.graswurzel.net/324/camilo.shtml