Dass ein "Alternativer Nobelpreis" keine schlechte Idee wäre, zeigen einige Friedensnobelpreisverleihungen der letzten Jahre, etwa an die kriegführenden Staatenvereinigungen USA (Obama) und EU. Seit 1980 gibt es ihn schon, den "Right Livelihood Award", den der schwedisch-deutsche Philantroph Jakob von Uexkull stiftete und immerhin ein Preisgeld von 200000 Euro verteilt. Doch die Tatsache, dass der alternative Preis im schwedischen Parlament und von schwedischen ParlamentarierInnen nur einige Tage vor dem traditionellen Nobelpreis verliehen wird, zeigt bereits an, dass es mit dem Alternativen und Oppositionellen bei diesem Preis nicht allzu weit her ist.
2012 erhielt ihn der weltweit bekannte Theoretiker der gewaltfreien Aktion, Gene Sharp (geb. 1928).
Die Website des Right Livelihood Award feiert Sharp bei der offiziellen Begründung für den Preis bereits im zweiten Absatz als „Machiavelli der Gewaltfreiheit“. Offensichtlich ist das positiv gemeint, doch in Wirklichkeit war Niccolò Machiavelli (1469-1527) Regierungsberater und trat für eine zynische Machtpolitik unter Ausnutzung aller Mittel, der guten wie der schlechten, zum Nutzen des „Fürsten“, d.h. des Staates ein.
Dass die Preisverleiher selbst diese Bezeichnung für Sharp wählten, ohne jedoch anscheinend die damit angedeutete Problematik zu überblicken, deutet auf die Ambivalenz hin, die hier thematisiert werden soll.
Die offizielle Begründung des Alternativen Nobelpreises wirft dann einen langen Blick auf Sharps Lebenslauf. Er verweigerte den Kriegsdienst für die USA im Koreakrieg und verbrachte dafür neun Monate im Gefängnis. Sein erstes Buch über Gandhi schrieb er mit 25 Jahren. In Norwegen befasste er sich von 1957-60 mit dem norwegischen zivilen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. So weit so gut.
1983 gründete Sharp die Albert Einstein Institution in Boston. In der Folgezeit gehörte er mehr und mehr zu denjenigen Theoretikern der gewaltfreien Aktion wie Jean-Marie Muller in Frankreich oder Theodor Ebert in Deutschland, die die gewaltfreie Aktion mit einer „guten“ nationalen Regierung und seinem Militär koppeln wollten, ohne diese hochgradig gewaltsamen Institutionen (nach Gandhi die gewaltsamsten überhaupt) jedoch grundsätzlich anzugreifen oder abschaffen zu wollen.
Sharp beschritt diesen Weg von allen am konsequentesten: 1990 beriet er das schwedische Verteidigungsministerium, um eine Komponente des zivilen Widerstands in die bestehende Verteidigungspolitik Schwedens zu integrieren. 1991 wurde Sharps Buch Civilian-based defence von der litauischen, lettischen und estnischen Regierung im Prozess der Separation von der Sowjetunion gelesen und benutzt.
Der litauische Verteidigungsminister, so liest man in der Begründung des Right Livelihood Award, soll gesagt haben: „Ich würde lieber dieses Buch besitzen als die Atombombe.“
1992 reiste Sharp illegal durch Burma und führte Workshops in gewaltfreier Aktion für StudentInnen, Demokratie-AktivistInnen und Ex-Guerillakämpfer der Karen durch. Das machte Sharp jedoch nicht mehr allein, was die Preislaudatio geflissentlich verschweigt: Der an die Albert Einstein Institution abgestellte CIA-Oberst Robert Helvey begleitete ihn und öffnete ihm die logistischen Türen zur burmesischen Illegalität. (2)
In Burma wurde Sharp gebeten, eine spezifisch auf die burmesische Situation zugeschnittene Analyse für zivilen Widerstand zu schreiben.
Daraus wurde dann das weltweit erfolgreiche, inzwischen in mehr als 34 Sprachen übersetzte und tausendfach heruntergeladene Buch From Dictatorship to Democracy, das 1993 erschien und auch in deutscher Sprache erhältlich ist – unter dem Titel Von der Diktatur zur Demokratie. Ein Leitfaden zur Befreiung. (3) Das Buch habe bis heute, so die Begründung des Right Livelihood Award, zu den Demokratiebewegungen von Otpor/Serbien, Kmara/Georgien, KelKel/Kirgisistan, Zubr/Weißrussland, der iranischen Oppositionsbewegung von 2009, der Orangenen Revolution in der Ukraine sowie zur Bewegung des 6. April in Ägypten 2011 entscheidend beigetragen. Interessanterweise begann die Finanzierung all dieser Gruppierungen mit riesigen Mengen an Geldern aus westlichen Regierungsprogrammen und Think Tanks genau mit Otpor/Serbien.
Die Frage ist, inwiefern all diese Bewegungen und die damit zusammenhängenden, tatsächlich gewaltfrei oder gewaltarm verlaufenden Umstürze ursächlich, allein oder prägend auf diese initiierenden, von Sharp beeinflussten Gruppen zurückgeführt werden können.
Für Burma gilt z.B., dass es bereits 1988 einen gewaltfreien Massenaufstand ganz ohne Sharp gab, Aung San Suu Kyi bereits lange vor Sharp Gewaltfreiheit propagierte und diese Philosophie in landeseigenen buddhistischen Traditionen stark verankert war.
Die Sharp-Euphorie übersieht so was leicht. Was in jedem Fall bleibt ist jedoch, und darauf hinzuweisen hat Sharp immer Wert gelegt, die enorme Wirksamkeit und das Ausweitungspotential gewaltfreier Massenbewegungen und ihrer Aktionsformen in einer gesellschaftlichen Situation, die dafür offen ist. Es ist sozusagen der Erfolg der gewaltfreien Aktion, der auch das Interesse der Geheimdienste und Regierungen geweckt hat: Für eine billigere Form der Interessendurchsetzung einer US-Außenpolitik, die sich auf Dauer teure Kriege wie im Irak und in Afghanistan, noch dazu mit unsicherem Ausgang, nicht leisten kann.
Über Sharps Verstrickung mit diesen und über die Komplementarität dieser Interessen ist in der Laudatio des Right Livelihood Awards leider nichts zu lesen.
(1) Siehe www.rightlivelihood.org/sharp.html
(2) Vgl. www.voltaire.org/article15870.html, Thierry Meyssan: L'Albert Einstein Institution : la nonviolence version CIA