nachruf

Nachruf auf Nils Koppruch

| Baxi

Er kam allein auf die Bühne, nur seine Gitarre um den Hals gehängt, und - oh Wunder! - es regnete nicht. Nicht, dass der Himmel jedes Mal in Tränen hätte ausbrechen müssen, wenn Nils Koppruch seine Lieder sang. Ganz im Gegenteil: In Wahrheit hätte jedes Mal die Sonne aufgehen müssen. Aber in Beverungen, einem verlorenen Nest am Ufer der Weser, wurde man damals fast misstrauisch, wenn das Gelände nicht innerhalb von Stunden in Wasser und Schlamm versank. Ein Festival für Wetterfeste.

Ich hatte Koppruch bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gesehen, geschweige denn gehört. Von Fink, seiner ersten, 1996 gegründeten Band, hatte ich Freundinnen und Freunde zwar sprechen hören. Aber wirklich lockend waren ihre Erzählungen für mich nicht gewesen: Eine Roots-Country-Combo mit deutschen Texten? Ich hörte im Geiste schon Schreckgespenster wie „Ein Junge namens Susi“ mir heulend den Schlaf rauben und war entschlossen, diesen Fink nebst seinem Leadsänger möglichst lange auf dem Baum hocken zu lassen (dass „Fink“ ein amerikanisches Slang-Wort für „Verräter“ ist, erfuhr ich erst viel später).

Aber dann sang Koppruch. Und mir blieb der Mund offen stehen. Nicht, weil er mit virtuoser Krafthuberei zu beeindrucken versucht hätte. In manchen seiner Lieder hätte man Gitarrentöne und Worte an zwei Händen abzählen können, und erst beim letzten Song des Konzerts, einer Coverversion von Leadbellys „In the pines“, hörte man, wie gründlich dieser Mann seine Vorbilder studiert hatte. Auch markige Posen waren ihm fremd. Er stand einfach da, ein hagerer Hamburger in verschossener Lederjacke, damals noch ohne seinen typisch borstigen Was-weiß-ich-wie-viel-Tage-Bart, und spielte, mal schelmisch lächelnd, mal fast wie verlorengegangen zwischen all den Scheinwerfern und Verstärkerkästen, seine einzigartigen Lieder.

Sein Gesang war eine Mischung aus warmem Mittentimbre und Sprechgesang, aus Treue zur Melodie und gesungenen Fragezeichen. Es war, als spräche er durch seine Musik mit dem Publikum, über Trauriges und Fröhliches, Hoffnungsvolles und Verzweifeltes, Vergangenes und Zukünftiges. Nie war seine Musik aufdringlich, nie wurde ihr Ton schulmeisterlich oder phrasenhaft.

Jedes seiner Lieder war eine Einladung zu freiem, eigenständigem Träumen. Und immer wieder holte einen ein leises Lachen in die Wirklichkeit zurück. Ich habe selten einen so eigenständigen deutschsprachigen Künstler erlebt. Es war ein magischer Moment, und von diesem Tag an war ich ein Koppruch-Fan.

Allerdings kein blinder oder, besser gesagt, tauber Fan: Die alten Fink-Alben, die ich mir im Laufe der Zeit aus den Grabbeltischen wühlte, verstaubten – abgesehen vom Debut-Album: „Vögel beobachten im Winter“ – bald wieder in irgendwelchen Winkeln. Auch Koppruchs Muse brauchte offenbar ihre Auszeiten und ab und an einen längeren Urlaub. 2006 kehrte er, nach der Auflösung von Fink, mit seinem ersten Soloalbum „Den Teufel tun“ zurück.

Spätestens jetzt war klar: Koppruch ist einer der Meister deutschsprachiger Songkunst. „Und die, die ich vergessen hab’/ die fall’n mir wieder ein/ und die, die ich vergessen will/ soll’n mir dafür verzeih’n“.

Koppruch, der auch ein äußerst produktiver Maler war, hat einmal gesagt, mit Farben arbeite er intuitiv. In seinen Texten aber stehe jedes Wort, wo es hingehöre. Die Tour zu „Den Teufel tun“ allerdings war vom Pech verfolgt. In Münster, wo ich ihn wiedersah, wurde der Abend zu einem einzigen Kampf gegen die Technik. Er und seine Band rackerten sich tapfer über die Bühnen, Clubs und Festivals der Republik, sie spielten sogar in Moskau. Aber auch, wenn Koppruch sicherlich nichts die Liebe zur Musik hätte vergällen können: Es war ein hartes Brot. In seinem Song „Caruso“, dem Titelsong seines 2010 erschienenen zweiten Solo-Albums (1), heißt es gallig: „Der Clubchef hat deinen Namen vergessen/ und will ihn wohl auch gar nicht wissen/ im Mantel sitz ich da und denk:/ ‚Caruso hätt‘ sich aufgehängt'“.

Und das ist, wenn man so will, die Tragik des Musikerlebens von Nils Koppruch: In einem Land, dessen Teenager Tag und Nacht den Silbermond anheulen und dessen etablierte Musikkritik Herbert Grönemeyers Album „Mensch“ für ein literarisches Großereignis hält, bekam er nie die Anerkennung, die einem Künstler seines Ranges zusteht. Er nahm es mit grimmigem Lächeln, trockenem Humor und poetischer Leichtigkeit.

Sein jüngster Versuch, aus dem Käfig der Ignoranz und Ahnungslosigkeit auszubrechen, war das Gemeinschaftsprojekt Kid Kopphausen mit seinem Kollegen Gisbert zu Knyphausen; ein eher schlampiges Album, das in Nichts neben „Caruso“ bestehen kann.

Das Schmerzlichste aber ist: Es war sein letzter Auftritt. Nils Koppruch starb völlig überraschend am 10. Oktober 2012 in seiner Heimatstadt Hamburg. Er wurde nur 46 Jahre alt.

(1) Vgl.: Ein Meisterwerk. Nils Koppruch, "Caruso" [Grand Hotel van Cleef, 2010], Concert for Anarchy, Artikel von Baxi, in: GWR 351, September 2010, www.graswurzel.net/351/koppruch.shtml