In Neuseeland ist im Juni 2012 der erste angebliche 'Terrorismus'-Prozess zu Ende gegangen. Allerdings war von 'Terrorismus' längst keine Rede mehr, als vier Aktivist_innen zu jeweils zweieinhalb Jahren Knast bzw. neun Monaten Hausarrest wegen Verstößen gegen das Waffengesetz verurteilt wurden. Im Hauptanklagepunkt der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung war es zu keinem Schuldspruch gekommen. Die Verteidigung ging in die Berufung und das Urteil wird in Kürze erwartet.
Die Terror-Razzien
Am 15. Oktober 2007 durchsuchten rund 300, zum größten Teil schwerbewaffnete und vermummte Polizist_Innen landesweit etwa 60 Häuser und verhafteten 17 Menschen.
Allen wurden Verstöße gegen das Waffengesetz vorgeworfen und gegen zwölf von ihnen sollte zusätzlich Anklage wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung erhoben werden.
Zu dieser Anklage kam es allerdings nie, weil dies vom zuständigen Solicitor General (etwa äquivalent zum Generalstaatsanwalt) aus Mangel an Beweisen nicht zugelassen wurde. Es wäre das erste Mal gewesen, dass die neuseeländischen Terrorismus-Gesetze zur Anwendung gekommen wären.
Den Angeklagten wird vorgeworfen, zwischen November 2006 und Oktober 2007 an mehreren angeblichen ‚paramilitärischen Trainingscamps‘ in den Bergen des Urewera-Waldgebiets im Osten der Nordinsel Neuseelands teilgenommen zu haben. Sie sollen dort mit Waffen und Molotow-Cocktails hantiert, sowie „Entführungen, Sabotage und den bewaffneten Kampf“ geplant haben, wie es in der Anklageschrift heißt.
Dabei fiel das besonders harte Vorgehen der Polizei während der Razzia in einem Ort auf: die entlegene Ortschaft Ruatoki im Urewera-Gebiet wurde für einen Tag komplett abgeriegelt. Sämtliche Fahrzeuge wurden durchsucht und die Personalien aller Insassen – widerrechtlich – festgestellt. Sogar ein Schulbus wurde von bewaffneten Einheiten durchsucht.
In dem Ort wurden lediglich zwei Menschen verhaftet, aber etliche Häuser durchsucht. Dabei wurden Kinder von ihren Eltern getrennt und in einem Fall über mehrere Stunden in einer Garage eingesperrt, während die Eltern verhört wurden. An keinem anderen Ort wurde so verfahren.
Ruatoki liegt in einem von Maori-Stamm der Tuhoe beanspruchten Gebiet.
Nachdem klar war, dass es keine Terrorismus-Anklage geben würde, wurde die Anklage auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung reduziert.
Nach jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Zulässigkeit von Beweismaterial wurden schließlich im September 2011 die Verfahren gegen die meisten Angeklagten eingestellt.
Übrig blieben noch Anklagen gegen vier Menschen, wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und je etwa einem Dutzend Verstößen gegen das Waffengesetz.
Einer der gleichfalls Angeklagten starb im Juli 2011. Die Anklage gegen ihn wurde allerdings nie eingestellt und alles Beweismaterial gegen ihn wurde auch weiterhin gegen die anderen verwendet.
Solidarität
Noch am Abend der Verhaftungen gründeten sich in mehreren Städten Soligruppen, die sich sowohl um Demos kümmerten, als auch für praktische Unterstützung der Gefangenen sorgten. In den folgenden Wochen, Monaten und Jahren gab es etliche Demos, Veranstaltungen und Konzerte in Neuseeland, sowie Soliaktionen weltweit, z.B. in Berlin, Hamburg, Athen, Basel und den USA.
2011 erschien der Dokumentarfilm „Operation 8“ zum Thema (1).
Erschwert wurde die Soliarbeit allerdings dadurch, dass sich keine_r der Angeklagten je öffentlich zu den Vorwürfen geäußert hat. Dadurch konnte mensch sich lediglich mit den Opfern staatlicher Repression solidarisieren, ohne sich zu den politischen Zielen der Angeklagten äußern zu können.
Hintergrund
Einer der jetzt Verurteilten, Tame Iti, ist Maori vom Stamm der Tuhoe, auf deren Gebiet die Camps angeblich stattgefunden haben. Zwei weitere sind ebenfalls Maori, während der vierte Europäer ist.
Tame Iti, dem die Organisation der Camps vorgeworfen wird, ist bekannter Aktivist und seit langem Kämpfer für die Selbständigkeit der Tuhoe und deshalb dem Staat ein Dorn im Auge. So drängt sich auch der Verdacht auf, dass die Razzien vom Oktober 2007 und die resultierenden Anklagen mehr mit der kolonialen Geschichte Neuseelands, als mit den tatsächlichen Ereignissen im Urewera-Wald zu tun haben.
1840 wurde der Vertrag von Waitangi zwischen der britischen Kolonialregierung und etwa 500 Maori-Stämmen geschlossen. Mit dem Dokument wurden alle Einwohner_innen Neuseelands zu britischen Untertanen und ließen sich im Gegenzug von der britischen Krone regieren. In diesem Punkt weicht die englische Fassung von der in Maori ab: während in der – von englischen Missionaren übersetzten – Maori-Fassung lediglich von der Übertragung der Regierungsgeschäfte auf die Briten die Rede ist, heißt es in der englischen Fassung, dass die Maori ihre Souveränität aufgeben – ein entscheidender Unterschied.
Die Kolonialherren beanspruchten damit das Recht auf sämtliche Ländereien und Bodenschätze. Über diese Diskrepanz wird seit 170 Jahren gestritten.
In den 1970er Jahren, als es eine wachsende Maori-Bewegung gab, hat die neuseeländische Regierung das sogenannte Waitangi-Tribunal eingerichtet.
Vor diesem Tribunal werden Entschädigungs- bzw. Rückgabeansprüche der Maori gehört und geprüft. Das Tribunal gibt dann eine Empfehlung an die Regierung, die allerdings nicht bindend ist. Viele solcher Ansprüche sind in den letzten 30 Jahren mehr oder weniger zufriedenstellend geregelt worden, wobei jedoch in den meisten Fällen lediglich Entschädigungszahlungen geleistet wurden, während das geraubte Land in Privatbesitz blieb.
Ein Stamm, dessen Unterschrift unter dem Vertrag von Waitangi fehlt, sind die Tuhoe. Diese Verweigerung sollte Konsequenzen haben. Unter dem Vorwand, der Stamm würde den Mörder eines Missionars verstecken, wurden sämtliche Küstenländereien konfisziert, womit den Tuhoe sowohl der Zugang zum Meer als auch fast alles fruchtbare Land geraubt wurde.
Zwei Jahre nach Beginn des ersten Weltkriegs ließ sich ein Mann namens Rua Kenana in den entlegenen Bergen des Urewera-Gebiets mit einer Gemeinde von Kriegsdienstverweigerern nieder. Er wurde wegen Hochverrats angeklagt, sein Sohn und ein weiterer Mensch getötet und die Siedlung zerstört.
Tuhoe Autonomie
Seit vielen Jahren gibt es unter den Tuhoe Bestrebungen, nicht nur ihre Ländereien zurückzubekommen, sondern auch einen bestimmten Grad an Autonomie zu erreichen. Dabei geht es im Wesentlichen um den Erhalt der Sprache und Kultur. Viele Tuhoe sprechen Maori als erste Sprache und haben eine starke kulturelle Identität, die verbunden ist mit dem Gebiet, das sie ‚Te Urewera‘ nennen – das Land des Nebels.
„Der Begriff ‚Tuhoe-Nation‘ beschreibt die Kultur, Sprache und Identität von Leuten, die durch überlieferte Traditionen immer noch eine lebendige Erinnerung an die vor-europäische Zeit haben und sich daran erinnern, dass freie Menschen nicht freiwillig Sklaven werden“, sagt Tamati Kruger, ein Sprecher der Tuhoe.
Die Tuhoe haben in ihrem Kampf um Unabhängigkeit oft unkonventionelle Aktionsformen gewählt. Diese reichten von Straßenblockaden bis hin zu einer beeindruckenden Inszenierung zur Begrüßung einer Delegation des Waitangi-Tribunals im Jahr 2004. Die Delegation wurde mit einer Pferdekutsche abgeholt und die Straße war gesäumt von brennenden Autowracks, um die Atmosphäre der Politik der verbrannten Erde beim Landraub im 19. Jahrhundert nachzustellen. Die Szenen sind festgehalten in dem Film „Tuhoe – a History of Resistance“ (2).
In den letzten Jahren hat es Verhandlungen der Tuhoe mit der Regierung gegeben, in denen es u.a. um die Rückgabe des Urewera-Nationalparks ging.
Ein Aspekt muss dabei der Regierung besonders unangenehm gewesen sein: einer der Verhandlungsführer war der jetzt verurteilte Tame Iti.
Operation 8
Anfang 2006 erfuhr die neuseeländische Polizei durch Zufall von einer Gruppe Menschen, die angeblich im Waldgebiet hinter der Ortschaft Ruatoki Schießübungen machten.
Dies war der Beginn einer langen Überwachungs- und Bespitzelungsoperation, genannt ‚Operation 8‘. Viele Monate lang wurden Wohnungen und Autos abgehört, Videokameras installiert, Menschen observiert, Telefongespräche mitgeschnitten, Passwörter ausgespäht und Handy-Daten analysiert. Dabei nahm es die Polizei mit den Gesetzen nicht so genau – ein erheblicher Teil des belastenden Videomaterials war illegal erworben worden und konnte nur begrenzt verwendet werden, wie Neuseelands höchstes Gericht nach vier Jahren feststellte.
Schüsse im Wald zu hören ist in Neuseeland nichts Ungewöhnliches. Viele Menschen jagen Wildschweine oder Rehe und es ist in ländlichen Gegenden durchaus üblich am Wochenende mit Freunden auf Bierdosen zu schießen.
Auch nicht außergewöhnlich ist, dass dabei nicht immer alle Beteiligten die notwendigen Waffenscheine besitzen. Normalerweise stört sich keiner daran.
Nicht so in diesem Fall. Von der ersten Minute an wurde wegen der Schüsse im Wald mit hoher Priorität ermittelt.
Dies wird vermutlich sowohl mit dem Ort (Tuhoe-Land) und einem Teil der involvierten Personen (Tuhoe-Aktivist_innen) zu tun haben. Die anderen Verdächtigen waren teils Maori, teils Pakeha (also Neuseeländer europäischer Herkunft), die in verschiedenen politischen Initiativen involviert waren.
Eine der ursprünglich Angeklagten, eine weiße Neuseeländerin, ist überzeugt, dass ihre Verhaftung eine Alibi-Funktion hatte: „Durch die Verhaftung einiger Pakeha-Aktivist_innen konnte der Staat den Vorwurf entschärfen, dass es sich um eine gezielte Aktion gegen Maori handelte.“ Dabei hatte sie kurz vor den Razzien ein Buch über den ‚Krieg gegen den Terror‘ veröffentlicht (3), in dem sie vorhersagt, dass die neuen Anti-Terrorismus-Gesetze zuerst gegen Maori angewandt werden würden. „Ich saß in meiner Zelle und gratulierte mir dazu, Recht gehabt zu haben“.
Der Prozess
Als nach viereinhalb Jahren im Februar 2012 der Prozess begann, konnte sich kaum jemand mehr erinnern, um was es eigentlich ging.
Der Prozess vor einem Geschworenengericht in Auckland (ca. 400 km vom Ort des angeblichen Geschehens entfernt) war auf 60 Verhandlungstage angesetzt, war aber schon nach 21 Tagen vorbei. Keine_r der Angeklagten sagte vor Gericht aus.
Vorsorglich wies der Staatsanwalt gleich zu Anfang darauf hin, dass es sich nicht um einen politischen Prozess handelte – um anschließend eine Broschüre über Che Guevara und ein Buch des Anarchisten Noam Chomsky als Beweismaterial aufzutischen.
Dann wurden insgesamt über 80 Zeug_innen gehört und tagelang die illegal gemachten Überwachungsvideos gezeigt.
Damit versuchte die Staatsanwaltschaft, das Bild von drei Männern und einer Frau zu zeichnen, die – zusammen mit etlichen weiteren Personen, die entweder nie angeklagt, oder deren Verfahren mittlerweile eingestellt worden waren – dafür trainiert hätten, mit Waffengewalt das Land der Tuhoe zurückzuerobern. Von ernst zu nehmenden, konkreten Anschlagsplänen war allerdings nie die Rede.
Die Verteidigung schwankte zwischen der Darstellung der Angeklagten als netter Leute, die keiner Fliege etwas zuleide tun könnten und der bizarren Behauptung, die ‚Camps‘ hätten dazu gedient, für Security-Jobs im nahen Osten zu trainieren. Nur einmal wurde politisch argumentiert, als mehrere Zeugen dem Gericht die Geschichte des Landraubs an den Tuhoe erläuterten.
Die Geschworenen befanden die Angeklagten nach 20-stündiger Beratungszeit in etwa der Hälfte der Waffenbesitz-Anklagen für schuldig. Im Hauptanklagepunkt der kriminellen Vereinigung jedoch konnten sie sich nicht einigen. Die Staatsanwaltschaft hätte eine Neuauflage des Verfahrens betreiben können, verzichtete aber darauf. Damit sind alle Vier in diesem Punkt freigesprochen.
Als der Richter einen Monat später das Strafmaß bekanntgab, schien er sich allerdings über diese Tatsache hinweggesetzt zu haben. In der Begründung der relativ langen Haftstrafen nahm er explizit Bezug auf die Ziele der angeblichen Gruppe – also genau die kriminelle Vereinigung, für die sie nicht verurteilt worden waren.
Er maßte sich außerdem an, ein politisches Urteil über die Angeklagten zu fällen: er hätte ja Verständnis für den Wunsch der Tuhoe nach Autonomie, aber die Angeklagten hätten mit ihrem Handeln den Verhandlungsprozess boykottiert und dafür müssten sie bestraft werden.
Die Verhandlungen gingen trotzdem weiter und wurden vor Kurzem abgeschlossen. In dem Übereinkommen gibt die Regierung zum ersten Mal zu, dass vor hundert Jahren die „Ausrottung“ der Tuhoe und eine „Politik der verbrannten Erde“ betrieben wurde.
Neben der Zahlung von umgerechnet 100 Millionen Euro ist vorgesehen, den Nationalpark von einem gemeinsamen Gremium der Regierung und der Tuhoe verwalten zu lassen. Es ist auch sehr vage von Selbstverwaltung die Rede.
Das sind alles keine revolutionären Ergebnisse und es ist fraglich, ob der als der „Anstifter“ der Verhandlungen bezeichnete Tame Iti damit zufrieden ist. Aber aus dem Knast heraus lässt sich schlecht protestieren und es ist wesentlich mehr, als andere Stämme erreicht haben. Und wie Tuhoe-Sprecher Tamaki Kruger sagt, es ist noch nicht das Ende der Angelegenheit.
Nun warten die Gefangenen und Unterstützer_innen auf das Urteil im Berufungsverfahren, das im August stattfand.
(1) "Operation 8": www.cutcutcut.com/Operation8.html
(2) "Tuhoe - a History of Resistance": www.youtube.com/watch?v=8tAMw2nQwqo
(3) "Against Freedom": www.rebelpress.org.nz/publications/against-freedom