antirassismus

„Bestandteil des Vorgehens gegen Piraterie“

Im "Piratenprozess" wurde nach 105 Verhandlungstagen das Urteil gesprochen

| Anita Friedetzky

Die EU Navfor Antipiraterie-Mission am Horn von Afrika mit dem harmlos klingenden Namen "Atalanta" gehört zu den "geheimen" Kriegen Deutschlands. Seit 2008 soll dieser erste gemeinsame europäische Militäreinsatz auch im Namen der UNO humanitäre Lebensmitteltransporte schützen und somalische "Piraten" aufbringen.

Inzwischen ist das „robuste Mandat“ (im Klartext: es kann auch getötet werden) auf den somalischen Küstenstreifen erweitert und das Operationsgebiet auf See sukzessive ausgedehnt worden.

Im Bundestag stimmen regelmäßig alle Fraktionen, außer der LINKEN, für die alljährliche Verlängerung. Die deutschen und europäischen Handelswege müssten „geschützt“ werden.

Im April 2010 „setzte“ die niederländische Fregatte „Tromp“ des Atalanta-Verbandes zehn Männer aus Somalia, darunter ein Kind und zwei Jugendliche, außerhalb des damaligen Einsatzgebietes „fest“. Die „Piraten“ hatten versucht, das unter deutscher Flagge fahrende Containerschiff „Taipan“, das eine israelische Firma von Haifa nach Mombassa gechartert hatte, unter ihre Kontrolle zu bringen. Bis heute ist der Inhalt der Container unbekannt.

Die Mannschaft der Taipan versteckte sich im „Saferoom“ und schaltete das Schiff manövrierunfähig. Die „Piraten“ suchten erfolglos nach ihr. Kapitän Eggers und seine Crew verließen den Sicherheitsraum erst, nachdem die niederländische Atalanta – Militärspezialeinheit die Kaperung vereitelt hatte.

In Absprache mit den politisch Verantwortlichen der Niederlande und der Bundesrepublik Deutschland wurden die Gefangenen, an Bord der Tromp gefesselt, Verhören durch den niederländischen Militärgeheimdienst unterzogen, danach in die Niederlande verbracht und später nach Deutschland ausgeliefert. In Hamburg, dem Sitz der betroffenen Reederei Komrowski, wurde ihnen ab November 2010 zwei Jahre und 105 Verhandlungstage lang der Prozess gemacht.

Auf der Webseite des Auswärtigen Amtes hieß es seit dem 27.12.2010: „Die Strafverfolgung mutmaßlicher Piraten ist wichtiger, abschreckender Bestandteil des Vorgehens gegen Piraterie.“

Die Botschaft, dass Deutschland jenen „Verbrechern“, die es wagen, den Besitz seiner nationalen Kapitaleigner anzugreifen, gnadenlos aber „rechtsstaatlich“ mit militärischen und „demokratischen“ Mitteln den Garaus machen würde, wurde international verbreitet.

Der Vorwürfe „Angriff auf den Seeverkehr“, „Erpresserischer Menschenraub“ und anfangs sogar noch „Mordversuch“ ließen hohe Strafen erwarten.

Dann kam alles etwas anders

Die jeweils zwei PflichtverteidigerInnen für jeden der zehn Somalier nahmen ihre VerteigerInnenpflichten ernst.

Bis zur Urteilsverkündung am 19.10.2012 kämpften sie – wenngleich erfolglos – für das Recht ihrer Mandanten auf Entlastung und Entlastungszeugen. Zu Beginn wurden viele Wochen „Altersgutachter“ gehört, die den 13jährigen Jungen älter und somit straffähig machten. Sonst hätte er gar nicht vor Gericht gestellt werden dürfen.

Aber das Gericht erkannte nichts aus Somalia an. Keine Urkunden, und vor allem keine Entlastungszeugen. Sie hätten keine ladungsfähige Adresse, hieß es. Faktisch lief das auf ein Recht zweiter Klasse – Kolonialrecht eben – hinaus.

Die Staatsanwaltschaft benannte nur Belastungszeugen. Einer „funktionierte“ aber auch nicht wie erwartet. Der deutsche Kapitän Eggers gab an, sein Leben nicht in Gefahr gesehen zu haben. Er hatte, bevor die Taipan auf den gefährlichen Teil der Schiffsroute kam, den polnischen Kapitän ersetzt. Piraterie sei alltäglich. Man sei darauf vorbereitet. Weshalb um diese „Piraten“ solch ein Gewese gemacht werde, sei ihm unverständlich.

Normalerweise würden sie in ihre Schnellboote zurückgebracht, diese mit Wasser gefüllt, um sie langsamer zu machen und ihnen genug Benzin für die Fahrt an Land gelassen. Einer der somalischen Jungen entschuldigte sich bei ihm und der erfahrene Seebär nahm die Entschuldigung an.

Vom Gericht bestellte europäische Sachverständige bestätigten das, was KritikerInnen und Verteidigung immer wieder angesprochen hatten: diese zehn halb verhungerten Männer und Jungen kamen aus einem Land, in dem seit 20 Jahren Bürgerkrieg das Recht des Stärkeren, Clangesetze und Hungersnöte die Menschen regierten. Ihnen ging es nicht um „Bereicherung“.

Ihnen ging es, als sie unter Einsatz ihres Lebens die Taipan mit Flip-Flops an den Füßen und ein paar veralteten Waffen enterten, um das bloße Überleben von sich und ihren Familien.

Bilder einer der größten Hungerkatastrophen Somalias gingen gleichzeitig um die Welt.

Es gäbe „Hintermänner“ der Piraterie, aber die säßen in London oder irgendwo. Fest stehe, dass auch europäische Fischfabriken die Küsten Somalias leergefischt hätten und dass der Tsunami 2004 nicht nur die Fischerhütten zerstört, sondern auch Giftmüll, der heimlich im somalischen Meer versenkt worden war, sprichwörtlich ans Licht gebracht hatte. Die Piraten verstünden sich auch als Küstenwache der ansonsten unbewachten Gewässer Somalias.

Das Gericht musste das zur Kenntnis nehmen. Auch, dass viele der Gefangenen schwer krank und nur unter Medikamentengabe den Prozess verfolgen konnten. Bei einem waren die Folgen des Hungers bereits irreversibel. Er flehte noch kurz vor Urteilsverkündung den Richter an, ihn nicht in die Isolierzelle zu stecken. Er werde nie wieder Selbstmord begehen wollen!

All das floss auch ein in die Urteilsbegründung, aber nur bedingt in die Strafhöhe (vgl. GWR 373). Letztlich übernahm die Kammer die inhaltliche Begründung der Staatsanwaltschaft – abgesehen vom „Mordversuch“ – halbierte aber zum Teil deren hohe Strafforderungen. Statt zwischen vier bis zwölf Jahren Haft verurteilte sie die Jugendlichen zu zwei und die Erwachsenen zu sechs bis sieben Jahren. Aufgrund der bereits verbüßten Haft konnten die Jugendlichen als Freie ohne jede Auflagen den Gerichtssaal verlassen.

Anfangs hatten alle außer der Staatsanwaltschaft und des „Kronzeugen“ Revision gegen das Urteil eingelegt. Inzwischen halten diese nur noch zwei Gefangene aufrecht. Sie sitzen weiter in U-Haft. Die anderen sind in den Normalvollzug verlegt worden. Nur der „Kronzeuge“ kam offenbar in „offenen Vollzug“. Was genau der Deal mit ihm war, bleibt das Geheimnis der Staatsanwaltschaft und wahrscheinlich des Gerichts.

Nur beim „Kronzeugen“ hielt es sich an das von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagene Strafmaß von sechs Jahren.

Der „Kronzeuge“ war ausgerechnet von den „Atalanta“-Geheimdienstoffizieren vor Gericht geoutet worden. Offenbar sollte er „weichgekocht“ werden, um weiter mit ihm operieren zu können. Es habe mit ihm bereits an Bord der Tromp mehrere Gespräche gegeben. Seine Angaben zur Piraterie seien sehr hilfreich gewesen. Die Protokolle dieser Gespräche unterlägen allerdings der Geheimhaltung.

Der „Kronzeuge“ funktionierte weiter. Er bestätigte die Sicht der Staatsanwaltschaft.

Kein Angeklagter sei zwangsrekrutiert oder irgendwie zum Angriff auf die Taipan gezwungen worden. Alle hätten sogar Verträge unterschrieben, in denen ihnen festgelegte Aufgaben zugewiesen wurden.

Alle außer ihm selbst seien Lügner. Das Gericht übernahm diese Sicht und sprach von „quasi militärischem Vorgehen“. Und: „Sie hätten wissen müssen, dass sie bei der Kaperung eines Schiffes auch festgenommen werden können“, sagte der Richter. Basta.

Wissen die „Piraten“ in Somalia es jetzt? Er verneinte dies selbst. Der Prozess habe keine abschreckende Funktion, löse nicht die Probleme der Piraterie vorm Horn von Afrika, diene nicht dazu, „Atalanta“ zu legitimieren, fungiere nicht als verlängerter Arm (Hamburger) Reeder, sei kein „nachkoloniales Herrschaftsgehabe“ (an dieser Stelle applaudierte eine Zuhörerin und wurde gerügt) – was war er dann? Das Gericht suchte offensichtlich nach einem faulen Kompromiss, der auch der Kritik an dem Verfahren den Wind aus den Segeln nehmen sollte.

Bei jeder Verhandlung saß mindestens ein/e ProzessbeobachterIn im Saal, wurde das Gesagte protokolliert. Es gab einen internationalen Blog. Veranstaltungsreihen, Hafenrundfahrten, ein Theaterstück und Expertenanhörungen zum Thema wurden organisiert.

Dabei wurden die „Piraten“ und Seeleute nie gegeneinander ausgespielt. Beim Auftakt und während des Prozesses forderten Menschen vorm Gerichtsgebäude die Freilassung der Angeklagten und prangerten die kriegslüsterne imperiale Haltung Deutschlands an.

Allein dass kein „kurzer Prozess“ gemacht wurde, hat dazu geführt, dass es wahrscheinlich keinen weiteren „Piratenprozess“ in Deutschland geben wird.

Aber die „Antipirateriemission Atalanta“ führt derweil im Namen auch des deutschen Volkes und öffentlich kaum wahrgenommen ihren Krieg gegen die somalische Bevölkerung weiter.