Wie aus vielen anderen Regionen Lateinamerikas und der Welt bekannt, steht die Inwertsetzung von Natur oft über den Interessen der ortsansässigen Bevölkerung. Häufig werden die Menschen weder in die Planungen einbezogen noch über die sozialen und ökologischen Auswirkungen informiert, so auch in Chiapas, Südmexiko. Dies war der Anlass, weshalb sich 2012 ein Team vom Forschungs- und Bildungsverein Zwischenzeit e.V. zu einer Recherchereise nach Chiapas aufmachte. Mehrere Monate lang wurden verschiedene Regionen des südmexikanischen Bundesstaates besucht, um zahlreiche Interviews zu führen und die aktuellen Entwicklungsprojekte und deren Folgen für Mensch und Umwelt zu dokumentieren.
Monokulturen
Zu den untersuchten kommerziellen Vorhaben gehören erstens die Erweiterung der Ölpalmenplantagen an der südlichen Pazifik-Küste, in der nördlichen Region um Palenque sowie in Marqués de Comillas an der östlich gelegenen guatemaltekischen Grenze.
Die Monokulturprojekte werden von linken Organisationen stark kritisiert, da sie die Menschen, die hauptsächlich von Subsistenzwirtschaft leben, dazu drängen, anstelle von Mais, Bohnen und Gemüse ein marktförmiges Produkt anzubauen, was sie an den Tropf des Weltmarkts hängt und von staatlichen Hilfsprogrammen extrem abhängig macht.
Zudem werden die negativen Umweltauswirkungen angeprangert, da der Anbau in Monokulturen einen hohen Einsatz von Agrarchemikalien erfordert und so die reiche Biodiversität der Region attackiert.
Die heutige Anbaufläche von rund 45.000 Hektar soll auf bis zu 900.000 Hektar erweitert werden – ein Szenario, das UmweltaktivistInnen alarmiert, die eine weitere Dezimierung der letzten intakten Bestände des Lakandonischen Regenwalds befürchten.
Juan Gómez, pro-zapatistischer Kleinbauer aus San Sebastián Bachajón, lehnt den Anbau der Ölpalme radikal ab: „Dieses Projekt der Monokultur bringt nur Krankheiten hervor, außerdem schädigt es die Biodiversität und den Boden, dieses Produkt hat keinen sozialen Vorteil, sondern bringt nur Nutzen für die Unternehmen. Wir müssen ein Bewusstsein im Hinblick auf dieses Programm schaffen – was passiert, wenn wir aufhören Mais anzubauen und stattdessen im Bereich der Afrikanischen Palme arbeiten. Es erzeugt Unzufriedenheit, soziale Instabilität, denn die Mehrheit der Menschen ist es nicht gewohnt, diese Pflanzungen zu betreiben. Sie bearbeiten die Erde, sähen ihren Mais, ihre Bohnen, ihre Kürbisse, alles, was gebraucht wird, um zu überleben, um mit der Familie über die Runden zu kommen. Aber die Regierung, die aktuell dieses Programm durchsetzt, manipuliert die Leute, sie lässt sie glauben, dass diese Art von Unterstützung, diese Art von Programmen und Projekten einen Weg aus der Armut bieten. Aber wir wissen, dass dieses Programm nur unsere Gesundheit, unserer Mutter Erde und die Biodiversität schädigt“.
Tourismusprojekte
Ein zweites Entwicklungsprojekt ist der Tourismussektor, der ausgebaut und auf „Weltklasseniveau“ gehoben werden soll, wie der neue Gouverneur Manuel Velasco Coello von der Grünen ökologischen Partei Mexikos (PVEM), die der autoritären Institutionellen Revolutionären Partei (PRI) nahe steht, ehrgeizig in seinem Regierungsplan für 2012-2018 verkündet.
Die von Vertreibung bedrohten und betroffenen Siedlungen sind mit diesen Luxusprojekten nicht einverstanden, denn sie spalten die Gemeinden, da in aller Regel nur wenige Familien vom Tourismus profitieren.
Luis Hernández Navarro, Chef der Meinungsseite der Tageszeitung La Jornada erläutert im Interview, wie die Tourismusprojekte die Dörfer ausbeuten und den sozialen Zusammenhalt in den Gemeinden belasten: „Wir sprechen hier von Projekten, deren zentrales Element der Raub von natürlichen Ressourcen und Territorien in den Gemeinden ist, um Geschäfte zu machen, die nur einer kleinen Gruppe von Personen zugute kommen. Das heißt, der Reichtum, der in diesem Ausbeutungsprozess generiert wird, bleibt nicht in den Gemeinden, er verlässt die Region. Bestenfalls können einige Angehörige der Gemeinden unter Umständen Arbeit im Rahmen dieser Projekte finden, eine Einkommensquelle. Natürlich ist ein Projekt dieser Art ein Vorhaben, dass plötzliche Auswirkungen auf das Gemeindeleben hat. Es tendiert dazu, die Beziehungen der Kooperation, der Loyalität, der Solidarität, die unter ihren Angehörigen existieren, zu durchbrechen, um letztendlich das Gesetz des Stärkeren zu etablieren. Wenn diese Projekte außerdem mit Werbung für den Tourismus verbunden werden, bringen sie auch die Entwicklung von Praktiken wie Prostitution oder die weitere Verbreitung von alkoholischen Getränken mit sich, all das, was mit Zeitvertreib assoziiert wird, was wiederum Auswirkungen auf den kommunitären Zusammenhalt hat.“
Zwangsumsiedlung in Landstädte
Drittens sollen weitere sogenannte „nachhaltige Landstädte“ errichtet werden, in denen die Bevölkerung mehrerer Siedlungen und Dörfer im Namen von Armutsbekämpfung und Fortschritt konzentriert wird.
In Chiapas gibt es über 14.000 Gemeinden mit weniger als 100 BewohnerInnen – in der Logik der Regierung ist es unmöglich, derart dezentral eine Basisversorgung sicherzustellen, deshalb argumentiert sie mit ökonomischer Unterstützung für Landstädte. Nach mehrjähriger Recherche wurde jedoch deutlich, dass die Armutsbekämpfung nur ein Feigenblatt für Projekte dahinter ist.
Nach Analysen der Politologin Mariela Zunino geht es bei den Landstädten um eine territoriale Neuordnung. Gemeindeländereien sollen entvölkert und der Privatwirtschaft zur Verfügung gestellt werden. Die Territorien seien schon längst ins Visier der Viehzucht-, Palmöl-, Minen-, Agrarsprit-, Tourismus- und Bauunternehmen geraten. Arbeitskräfte für die agrarindustrielle Produktion und andere ökonomische Sektoren fänden die Unternehmen bei Bedarf direkt in den neuen Städten.
Bisher gibt es zwei realisierte Landstädte, Nuevo Juan de Grijalva und Santiago el Pinar, die inzwischen massiv kritisiert werden, vor allem von den Menschen, die mit Versprechungen auf prosperierende ökonomische Projekte und eine spürbare Anhebung ihres Lebensstandards dorthin gelockt wurden.
So berichtet Reina Sánchez aus Nuevo Juan de Grijalva: „Was die Arbeit für die Leute angeht, wir sind allesamt Bauern, Menschen, die es gewohnt sind auf dem Feld zu arbeiten. Und sie haben uns von unseren Feldern, unserer Erde, die wir zum Unterhalt unseres Lebens, unserer Familien benötigen, entfernt. Das ist etwas, das wir hier nicht haben. Hier wurden uns viele Projekte versprochen, genug Arbeit für alle und so weiter. Aber das stimmt nicht. Die Projekte, die begonnen wurden, als sie uns hierher brachten, funktionieren nicht. Und Arbeit für die Leute? Nein, es gibt keine Arbeitsplätze! Hier gibt es absolut keine Arbeit, um die Familie zu ernähren. Hier muss man einfach alles kaufen! Angefangen beim Trinkwasser, das Essen, alles. Denn auf dem Hof wo man lebt, nun ja, lebte, da waren die Leute es gewohnt, Mais und Bohnen anzubauen und Tiere zu halten. Alles, was die Regierung versprach, war falsch, nichts ist so, wie sie es versprochen hat. Und noch viel weniger als in den Medien, dort oben, wo sie uns was vorgegaukelt haben, dass es uns gut gehe, dass uns nichts fehle. Alles Lüge, denn hier fehlt es uns an allem. Wir leben hier in einem Haus, das einer Familie nicht würdig ist. Wir leben schlechter als vorher. Das ist die Realität. Ich sehe keinen Vorteil, weil ich nichts unternehmen kann, was mir gefällt, an was ich gewöhnt bin. Das geht hier nicht. Es ist, als ob ich im Gefängnis bin. Ich fühle mich so als wäre ich in einem Käfig“.
Dokumentation von Kritik und Alternativen
Das Team von Zwischenzeit e.V. interviewte im Rahmen der Forschungsreise viele betroffene Menschen, darüber hinaus wurden zahlreiche Foto- und Filmaufnahmen realisiert.
Auch die Menschen, die sich gegen die zerstörerischen Projekte wehren, kommen mit ihren Ideen und Vorschlägen zu Wort. Sie setzen auf eine außerparlamentarische Selbstorganisation und eine zumindest partielle Fortführung der Selbstversorgungswirtschaft.
Das Material von Zwischenzeit e.V. bildet die Grundlage für einen Dokumentarfilm, eine Ausstellung und eine Broschüre, die bis zum Sommer 2013 fertig gestellt werden. Der Verkauf der Filme in Europa dient dann der Finanzierung der Gratisverteilung der Dokumentation auf Spanisch in Mexiko, um den dortigen antikapitalistischen Widerstand zu unterstützen.
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