Die Gruppe „Krisis“ arbeitet sich seit Jahren an der Kritik von Kapitalismus und traditionellem Marxismus ab. Ihre Kritik gilt sowohl dem Wertbegriff wie der Arbeit. 1999 legte sie mit dem „Manifest gegen die Arbeit“ eine glänzend geschriebene Streitschrift vor, die die Zumutungen der herrschenden Arbeitsmoral und ihre zerstörerischen Folgen treffend auf den Punkt bringt.
In ihrer Zeitschrift krisis unternehmen sie es vor allem, die Absurdität der herrschenden Zustände darzustellen.
Daneben gibt es eine weitere Zeitschrift, an der viele von ihnen mitwirken, die Streifzüge, die in Wien herauskommt. Diese versucht sich an positiven Entwürfen, ihre Seele ist der Österreicher Franz Schandl, und Themenhefte wie „Gutes Leben“, „Freundschaft“ oder „Living Room“ zeigen ihren Mut, auch im Falschen Modelle für ein besseres Leben darzustellen.
Das neue Buch nun versucht, die gegenwärtige Megakrise des Kapitalismus in einen systematischen und historischen Zusammenhang zu stellen.
Es beschreibt anschaulich die verschiedenen Wellen der kapitalistischen Konjunktur seit dem 19. Jahrhundert, über die kleinteilige Rationalisierung des Fordismus nach dem 2. Weltkrieg bis zur sog. „Dritten industriellen Revolution“, die mit der massenhaften Anwendung von Informationstechnologien einsetzte.
In alledem wirkt der inhärente Widerspruch, dass die Bemühungen zur Rationalisierung der Arbeit die Grundlage der Wertproduktion unterminieren.
Die Autoren setzen sich intensiv mit der herrschenden Volkswirtschaftslehre auseinander, die etwa das Geld nur als neutrales Tauschmittel ansehen will, aber inzwischen zugeben muss, dass sie versagt, vor allem bei ihren Prognosen.
Allerdings kritisieren die Autoren auch die fetischistische Überhöhung der Arbeit, wie sie oft bei MarxistInnen anzutreffen ist. Die Billionen an Spekulationsgeldern, die stündlich über den Globus hin- und hergeschickt werden, repräsentierten keineswegs irgendeinen Wert, der auf Arbeit zurückgehe (wie manche MarxistInnen behaupten). Der Boom der Finanzwirtschaft in den vergangenen 30 Jahren wird beschrieben als ein Ausweichen in Zukunftserwartungen, um die definitive Verwertungskrise des Kapitalismus aufzuhalten; aber diese Erwartungen werden immer brüchiger. Plausibel wird erklärt, warum die Aufblähung der Finanztitel bisher noch die allgemeine Geldentwertung aufhalten konnte, aber dass irgendwann damit Schluss sein muss.
Den Autoren sind systematische Darstellungen auch deshalb so wichtig, weil sie wahrnehmen, dass die Versuchung groß ist, Sündenböcke zu suchen, „die faulen Griechen“ oder auch „die Spekulanten“. Ihr Problem ist vielleicht die, sagen wir, apokalyptische Grundüberzeugung: Ihrer Meinung nach muss der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form in absehbarer Zeit zusammenbrechen. Nur: Sagen das nicht viele schon seit über hundert Jahren?
Aber wie könnte ein Übergang in eine andere, weniger zerstörerische Wirtschaftsordnung aussehen?
„Es gibt keinen Masterplan für diese gesellschaftliche Alternative. Sie kann nur von sozialen Emanzipationsbewegungen entwickelt werden, die sich als Opposition zur Krisenverwaltung formieren“ (293). Damit geben die Autoren die Initiative an die Aktionsgruppen zurück, die schon immer mit Herrschaft, Polizei und Repression zu tun hatten, aber auch mit den Nischen, in denen bisher allein Alternativen gedeihen können.
Natürlich bekommen diese Bewegungen auch einige Ratschläge mit auf den Weg, was sie auf jeden Fall nicht machen dürfen. Vor allem sollen sie der Versuchung widerstehen, Problemursachen zu personalisieren.
„Der wahre Skandal ist nicht die Konzentration von Geldmitteln in den Händen weniger – so widerlich das auch ist – , sondern die Tatsache, dass eine Gesellschaft, die Reichtumspotentiale wie keine zuvor entwickelt hat, an diesen zugrunde geht, statt sie in den Dienst konkreter Bedürfnisbefriedigung zu stellen.“ (ebd.) „Wenn Ressourcen stillgelegt werden sollen, weil „das Geld fehlt“, müssen diese eben angeeignet und in bewusster Frontstellung gegen die fetischistische Logik der modernen Warenproduktion transformiert und betrieben werden.“
Das sind die Projekte, an denen speziell die LeserInnen der Graswurzelrevolution arbeiten.
Ernst Lohoff & Norbert Trenkle (Gruppe Krisis): Die große Entwertung. Warum Spekulation und Staatsverschuldung nicht die Ursache der Krise sind. Unrast-Verlag, Münster 2012, 303 S., 18 Euro