„Wenn das Wort Nationalsozialismus nicht die schlimme Bedeutung bekommen hätte“, schrieb Helmut Rüdiger im Juli 1936 an Rudolf Rocker, „würde ich sagen, dass die CNT eine nationale sozialistische Bewegung darstellt; ihre Bindung an den internationalen Anarchosyndikalismus ist rein formal.“
Was Rüdiger und mit ihm viele andere ausländische Anarchisten beklagten, den Nationalismus der spanischen Genossen, findet in der Arbeit von Martin Baxmeyer eine Bestätigung auf der Ebene der literarischen Produktion.
„Die anarchistische Bürgerkriegsliteratur war nicht die Verwirklichung der kulturellen Utopie der Anarchisten im Sinne einer neuartigen, freien und kollektiven Praxis, die anarchistische Ideologeme aktualisierte und verbreiten half. (…) Inhaltlich und formal (..) entfernte sich die libertäre Bürgerkriegsliteratur in signifikanter Weise von ihren ideologischen ‚Wurzeln‘. Sie näherte sich statt dessen der profranquistischen Bürgerkriegsliteratur an, aktualisierte nationalistische, kolonialistische und sogar rassistische Theoreme und schuf ihren eigenen Spanienmythos“ (S. 30).
Diese These belegt Baxmeyer dann auf den folgenden 500 Seiten, in dem er zunächst die Vorstellungen der Anarchisten zur Literatur diskutiert, dann die Bedingungen der Produktion und Rezeption der anarchistischen Bürgerkriegsliteratur herausarbeitet und schließlich das Spanienbild der Bürgerkriegsliteratur analysiert.
Ein eigenes Kapitel widmet er der Frage, wie sich die literarische Selbstdarstellung einer Bewegung innerhalb kürzester Zeit so tiefgreifend wandeln konnte. Als mögliche Erklärungen für das nationalistische Spanienbild der Anarchisten nennt er, die propagandistische Delegitimierung des Kriegsgegners, den Konformitätsdruck innerhalb der republikanischen Zone, die Selbstlegitimierung und Distanzierung von anderen politischen Fraktionen, die philonationalistischen Traditionen innerhalb der anarchistischen Bewegung und die Ansprüche an eine literatura de combate (S. 478-519).
Leserinnen und Leser, die kein literaturwissenschaftliches Studium haben und der spanischen Sprache nicht mächtig sind, werden von Baxmeyer mitunter auf eine harte Probe gestellt.
Sie müssen sich durch literaturwissenschaftliche Theorien „quälen“ und das Übersetzungsprogramm des Computers in Gang setzen; entschädigt werden sie aber durch die interessanten Ergebnisse der Studie und ein sehr originelles Kapitel – Der Anarchismus – Versuch einer Definition (S. 60-89).
Man kann Baxmeyer nur wünschen, dass seine sehr gute Arbeit breit rezipiert wird.
Er wird sich mit diesem Werk nicht nur Freunde machen und nicht immer auf Verständnis stoßen, wovon sich der Verfasser auf einer Konferenz in Glasgow ein Bild machen konnte.
Denn nicht nur seine Ergebnisse, sondern auch die von ihm nicht mehr diskutierte Frage, „welche politischen Folgen das nationalistische Spanienbild der anarchistischen Bürgerkriegsliteratur für die Bewegung des spanischen Anarchismus gehabt haben könnte“ (S. 524), könnte ihm von dogmatischen Anarchisten und Anarchistinnen leicht als Nestbeschmutzung ausgelegt werden.
Martin Baxmeyer: Das ewige Spanien der Anarchie. Die anarchistische Literatur des Bürgerkriegs (1936-1939) und ihr Spanienbild, edition tranvia Verlag Walter Frey, Berlin 2012, 599 S., 36 Euro, ISBN 978-3-938944-64-6