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Es ist nie zu früh

P.M.s neuer Roman: Manetti lesen - oder: Vom guten Leben

| Jochen Knoblauch

Die Zürcher Szene in der Gegenwart: Irgendetwas stimmt nicht mit den posthum herausgegebenen Notizbüchern des Alt-68er Roberto Manetti. Menschen verschwinden nach dessen Lektüre. Und der Erzähler Paul Meier (P. M.) macht sich auf die Suche kreuz und quer durch die Welt – und durch gelebte Alternativen zum gerade über die Klippe rutschenden Kapitalismus – nach den Verschwundenen. Am Ende wartet eine Überraschung.

So in etwa kann in groben Zügen der Inhalt des siebten P. M.-Romans seit 1980 beschrieben werden. P.M. setzte mit seinem bolo’bolo (1983 ff.) Maßstäbe, weil Utopien nicht mehr in eine entrückte Ferne geschoben wurden, sondern etwa im heutigen Projekt „KraftWerk1“ (*) in Zürich umgesetzt werden (sollen). Die Romane von P. M. waren eigentlich immer eine spielerische Reflexion seiner Sachbücher, in denen er häufig von ideologischen Klammern und Begriffen abweicht. Das gute Leben sollte für alle Menschen erreichbar sein, und wenn wir uns einig sind dies erreichen zu wollen, dann macht P. M. dazu Vorschläge, wie wir dorthin kommen könnten. KritikerInnen sehen in den Büchern von P. M. meistens Anleitungen. Von einer Ideologie ist er aber weit entfernt, was manche GegnerInnen dann auch schon mal dazu hinreißt die krudesten Vorwürfe zu konstruieren – von CIA-Agent bis Ökofaschist.

„Es ist nie zu früh“ schrieb P. M. in mein Exemplar von Manetti lesen, und das ist der springende Punkt. Wir warten ständig auf etwas, aber die einzige Intention, die P. M. treibt, ist, dass wir uns einfach bewegen, dass wir handeln… und das nicht nach seinen Vorgaben, sondern nach gemeinschaftlichen Ideen, die es auszuprobieren gilt.

Nun haben Menschen, die seit ca. 50 Jahren politisch aktiv sind, schon einiges ausprobiert, und bisher war der „goldene Weg“ nicht dabei. Den wird es auch nie geben, und wer ihn in den Büchern von P. M. sucht, ist hier schlichtweg an der falschen Adresse.

In Manetti lesen geht die Fiktion mit der Realität Hand in Hand: Szenegrößen tauchen durchaus mit ihren realen Namen auf, andere bekommen Pseudonyme.

Die Zürcher HausbesetzerInnen-Szene der 1980er Jahre – der ja auch P. M. entspringt – taucht hier mit einigen bekannten AktivistInnen wieder auf.

Und auf der Suche nach den Verschwundenen begegnet der Erzähler diversen Alternativ-Ideen, die sich seit jener Zeit entwickelt haben, und längst nicht mehr nur einem linksradikalen Gedankengut entspringen.

Auch das BürgerInnentum möchte heute ein gutes Gewissen haben, wenn MillionärInnen in Deutschland nach der Reichensteuer betteln, oder etwa Pariser Nobelquartiere verwaisen, weil dessen BewohnerInnen sich auf dem Land um biologisch angebautes Gemüse kümmern. Ein besseres Leben jenseits von Kapitalismus und Ungerechtigkeiten führen zu wollen, ist längst nicht mehr ein „Vorrecht“ linksradikaler und/oder libetärer IdeenträgerInnen. Es breitet sich über verschiedene Gesellschaftschichten in unterschiedlichen Ansätzen aus – und das ist gut so.

Manetti lesen ist nicht der großen Offenbarungs-Roman, dies würde auch den Intentionen des Autors widersprechen.

Er ist eine gute Ergänzung zum ebenfalls gerade neuerschienen Sachbuch Kartoffeln und Computer. Märkte durch Gemeinschaften ersetzen (Edition Nautilus, Hamburg 2012, 80 S. 6,90 Euro, siehe Rezension in GWR 372 – ein hervorragendes Verschenkbuch), und eine spielerische Auseinandersetzung mit den Fragen: Wo stehen wir? und: Wie weiter?

JedeR muß sich diese Fragen selbst beantworten.

(*) Zur Utopie gehört es auch, dass sich Projekte wie KraftWerk, die sich um gemeinschaftliches Wohnen und Arbeiten drehen, von alleine reproduzieren. So entstanden in der Zwischenzeit KraftWerk2 (KraftWerk3 scheiterte - aber auch das gehört dazu) und KraftWerk4 ist in Arbeit.

P. M., Manetti lesen oder: Vom guten Leben. Roman. Edition Nautilus, Hamburg 2012, 285 Seiten, 19,90 Euro)