Als vor einigen Jahren der sehr sehenswerte Ken Loachs Film „Land and Freedom“ in den Kinos zu sehen war, griff ihn der ehemalige Spanienkämpfer und orthodoxe Kommunist Fritz Teppich als „antikommunistisch“ an.
Dabei basierte der Film, wie damals weithin bekannt war, auf George Orwells Buch Mein Katalonien und damit auf Orwells Erfahrung als Kämpfer der unabhängig-marxistischen Kleinpartei POUM (Arbeiterpartei der marxistischen Einheit). Diese Wut auf antiautoritäre SozialistInnen ist typisch für Teppich und andere autoritäre Kommunisten.
Das andauernde Misstrauen von AnarchistInnen und undogmatischen oder dissidenten KommunistInnen gegenüber dem orthodoxen Kommunismus gründet auf der konkreten, bitteren historischen Erfahrung des Mai 1937 in Barcelona, die der politisch relativ unbedarft nach Spanien gekommene George Orwell (richtiger Name: Eric Arthur Blair) hautnah miterlebte und die sodann sein politisches Leben sowie auch seine schriftstellerische Arbeit mit den beiden weithin bekannten Romanen Farm der Tiere (1945 veröffentlicht) und 1984 (1949 veröffentlicht) prägten.
Die Erfahrung Orwells in Katalonien 1936/37
Das erste Kapitel von Gills Buch ist eine historische Einführung und kann von Leuten, die sich bereits intensiver mit der Spanischen Revolution beschäftigt haben, auch übersprungen werden.
Die Erlebnisse Orwells, der am 26.12.1936 in Barcelona eintraf, kommen dann ab dem zweiten Kapitel ins Spiel. Gill beschreibt die Veränderungen des Lebensgefühls von der erlebten, wirklichen Gleichheit zwischen den Menschen, als Orwell in Barcelona eintraf, bis hin zur Rückkehr zu den Unterschieden der bürgerlichen Klassengesellschaft, als er kurz vor dem Mai 1937 von seinen Fronteinsätzen in den POUM-Milizen in die Stadt zurückkehrte.
Die Monopolisierung der sowjetischen Waffenlieferungen sowie die konträr zur kommunistischen Ideologie stehende prokapitalistische Politik der katalanischen und gesamtspanischen KP erhöhten deren Mitgliederzahl (vor allem durch Mittelständler und Grundbesitzer) und damit die Bedeutung der ParteikommunistInnen in den Regierungen von Barcelona und in Madrid. In der Folge konnten sie bzw. auch eingetroffene sowjetische Geheimdienstleute ihre eigene, von der Regierung nicht kontrollierte Polizei und ihre eigenen Gefängnisse aufbauen. All jene emanzipatorisch denkenden AntikommunistInnen, die zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg vor einer sowjetischen Machtübernahme in westeuropäischen Staaten warnten, hatten diese Machtübernahme der KP innerhalb der spanischen Republik noch im Gedächtnis.
Das dritte Kapitel beschreibt die Repressionskampagnen vor allem gegen POUM-AktivistInnen und auch gegen AnarchistInnen. Hierbei kann nicht vergessen werden, dass zur selben Zeit die schlimmsten Schauprozesse gegen DissidentInnen in Moskau abliefen.
Die alte Garde und KP-DissidentInnen wurden aus der Geschichte wegretouchiert.
In Moskau wurden absurde Geständnisse von Taten, die zum Teil niemals begangen wurden, durch eine raffinierte Mischung aus Folter und tödlicher ideologischer Logik erzwungen – eine Geständnislawine, die zur selben Zeit gegen die POUM in Spanien nicht gelang: Die POUM-Gefangenen blieben in der Regel prinzipienfest. Alle wurden, in Moskau wie in Barcelona, des Trotzkismus – und damit auch gleich der Kollaboration mit den Franco-Faschisten – angeklagt, obwohl Gill gut aufzeigt, dass die POUM sehr pluralistisch war und etwa Gründer Andrés Nin längst mit Trotzki gebrochen hatte und zwischenzeitlich CNT-Aktivist gewesen war.
Doch die Wahrheit interessierte die KP nicht und die historische Lüge wurde so lange propagiert, bis sie von autoritätshörigen Mitgliedermassen geglaubt wurde. Am absurdesten wurde die ständige Umschreibung der Geschichte schließlich während der Geltungszeit des Hitler-Stalin-Pakts.
Die Schlussfolgerungen Orwells: Wahrheit oder postmoderne Toleranz?
In den Kapiteln vier und fünf werden die politischen Lehren Orwells aus seinen Erlebnissen aufbereitet, die dann zu seinen Romanen führten. Die politischen Aufsätze Orwells aus jener Zeit spielen dabei eine große Rolle. Gestreift werden auch zeitgenössische Kritiker des Staatssozialismus sowjetischer Prägung wie etwa André Gide oder Orwells Freund Arthur Koestler mit seinem Roman Sonnenfinsternis, die alle für Orwell eine gewisse Bedeutung hatten. Insgesamt lassen sich m.E. zwei Strömungen des Antikommunismus feststellen, die ich den emanzipatorischen und den reaktionären Antikommunismus nennen möchte. Manche KritikerInnen wie etwa Simone Weil oder auch Orwell selbst blieben ihren sozialistischen Überzeugungen durch ihre Kritik hindurch im Wesentlichen treu, andere wie Koestler oder auch James Burnham, der ebenfalls im Buch behandelt wird, schlugen sich schließlich auf die Seite der anderen, prokapitalistischen Macht und ließen sich bei den antikommunistischen Kampagnen des CIA in der Nachkriegszeit sogar von ihr einspannen.
Das Buch reiht sich ein in die bedeutsamen Werke über die repressive und reaktionäre Politik der spanischen KP und des sowjetischen Geheimdienstes (NKWD) in der spanischen Republik, wobei für mich das beste Buch dazu immer noch Rainer Huhles 1980 erschienene Studie Die Geschichtsvollzieher ist. Die Person Orwell ist für diese Erfahrung zentral und seine von Gill aufgezeigte Reflexion widerspricht postmodernen Ideologien, die das Festhalten an einem Wahrheitsbegriff dem Zeitalter totalitärer Herrschaft zuweisen. Doch, so meint Gill anhand der Romane Orwells, „die Wahrheit ist dem Totalitarismus fremd. Die Lüge selbst ist zur Wahrheit geworden in einer Welt, in der es darauf ankommt […], die Vergangenheit zu kontrollieren, und folglich neu zu erschaffen, um die Zukunft kontrollieren zu können.“ (S. 102)
Emanzipatorische AntikommunistInnen haben deshalb auf der Wahrheit von historischen Fakten und Tatsachen immer bestanden, etwa der Existenz sowjetischer Gefangenenlager – ein Wahrheitsanspruch, der heute leider gerade vom Postmodernismus über Bord gekippt wird.
Das Buch liest sich flüssig und wurde von Michael Halfbrodt gut übersetzt. Orwells Reflexionen und die von Gill in den Romanen aufgezeigten literarischen Verarbeitungen sind aufschlussreich, auch wenn Orwell mit manchen Schlussfolgerungen m.E. daneben lag. So kultivierte er einen typischen Miliz-Mythos und propagierte sogar Bürgermilizen in nicht-revolutionären Situationen.
Seiner Meinung nach sei das im eigenen Haus in der Ecke stehende Gewehr eine individuelle Garantie gegen totalitäre Systeme – als seien solche Systeme nicht dazu fähig, den Geist so zu präparieren, dass ein Gewehr jederzeit in der Ecke stehen kann und niemals eine Gefahr für das System, wohl aber für die Gesellschaft sein kann. Nicht erst die Amokläufe in den USA beweisen uns dies. Auch ist mir Gills Buch insgesamt ein wenig zu sehr aus trotzkistischer Perspektive geschrieben (das Spanien-Buch von Broué/Témime ist eine seiner wichtigsten Quellen); die Freundschaften Orwells zu britischen PazifistInnen und AnarchistInnen unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Spanien stellt er nicht umfassend genug dar.
Doch Orwells Erfahrung und Lebensweg ist ein faszinierendes und unbedingt zu berücksichtigendes Vermächtnis.
Das könnte künftig durch eine Übersetzung von Jean-Claude Michéas Buch Orwell, anarchiste tory (1995) oder etwa von George Orwell at home (and among the Anarchists) (Freedom Press, 1998) noch vervollkommnet werden (vgl. auch „George Orwell und der Anarchismus“, in: GWR 236, Febr. 1999).
Louis Gill: George Orwell. Vom spanischen Bürgerkrieg zu 1984, Verlag Edition AV, Lich 2012, 165 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86841-066-2