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Topf & Söhne

Hausbesetzung auf einem Täterort

| Rahel

Das war das Besetzte Haus für mich

Ein Ort auf Spende.
Ein Ort zum Verstecken.
Ein Ort für Jung und Alt.
Ein Ort zum anders sein.
Ein Ort, der immer aufhat.
Ein Ort zum Rappen auf der Bar.
Ein Ort zum Urlaub machen.
Ein Ort für selbstgestaltete Partys.
Ein Ort für meine schlechte Musik.
Ein Ort zum Scheißen ohne 50 Cent.
Ein Ort für genussvollen Wodkarausch.
Ein Ort für Glitter, Handschellen und Schwarz.
Ein Ort für Kommunikation, Austausch und Vernetzung.
Ein Ort, an dem auch mal eine Grenze übergangen wurde.
Ein Ort für Auseinandersetzung.
Ein Ort, an dem nackt auf einem kleinen Dreirad gefahren wurde.
Ein Ort, an dem mensch im mobilen Pool Sangria schlürfen konnte.
Ein Ort zum Loslassen.
Ein Ort, an dem ich acro sein konnte.
(Acro, S. 96)

Von Frühjahr 2001 bis Frühjahr 2009 sind Teile des Geländes der ehemaligen Fabrik von Topf & Söhne in Erfurt besetzt. Das Haus ist im In- und Ausland unter Linksradikalen, Autonomen und Punks bekannt. Aber auch Israeli, denen Topf & Söhne allen ein Begriff ist, lassen sich von den Besetzer_innen über das Gelände führen.

Topf & Söhne war ein Familienunternehmen, 1887 gegründet. Im Nationalsozialismus stellte die Firma u.a. Gaskammerentlüftungsanlangen und Krematorien für die KZ in Buchenwald und das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau her.

Die Auseinandersetzung mit diesem Täterort prägte die Besetzung und macht sie dadurch einzigartig. Und sie war dennoch mehr als das.

Der Buch- und Bildband, herausgegeben im Oktober 2012 von Meyerbeer und Späth im Verlag Graswurzelrevolution, verknüpft die politische und kulturelle Geschichte der achtjährigen Besetzung mit dem Ort.

Hingeführt wird mit einem Überblick früherer Besetzungen in Erfurt von 1985 bis 2001.

Dies ist historisch spannend, zeigt es uns eine bunte, über subkulturelle Milieus übergreifende Szene an Hausbesetzer_innen und ihren vielfältigen Motiven. Aber auch, was in der DDR und besonders in den Jahren nach der Wende möglich war. Mehrere Besetzungen erreichten eine Legalisierung mit all den bekannten Vor- und Nachteilen.

Auf dem Topf & Söhne Gelände war alles anders, die Eigentumsverhältnisse bis kurz vor der Räumung über Jahre unklar und somit bestand die Möglichkeit, eigene Räume zu gestalten ohne die Normalisierungen und Normierungen von Projekten mit Vereinsstruktur.

Das riesenhafte Gelände bot Wohnraum, die Möglichkeit, Wagen aufzustellen, Konzerträume. Es war Treffpunkt für viele Gruppen, für Punks, für Sprayer_innen, für Menschen, die selbstbestimmt linksradikale Politik und Kultur gestalteten.

Das Buch lässt Besetzer_innen wie auch Besucher_innen zu Wort kommen und gibt damit einerseits einen Einblick in die Kämpfe, die internen Streitigkeiten wie auch in die Vielfalt der Projekte auf dem Gelände. Vor allem aber spricht aus den Beiträgen die Kraft und der Spaß, dort gelebt, gefeiert und gestritten zu haben.

Dabei gab es heftige Debatten u.a. um die Definitionsmacht von Betroffenen sexualisierter Übergriffe, zur Solidarität mit Israel und dem Antisemitismus innerhalb linker Bewegungen oder zum Umgang mit den städtischen Behörden. Doch bot das Gelände und das Konzept eines regelmäßigen Hausplenums so viele Möglichkeiten, dass im Laufe der Besetzung Vielfältiges entstand: In einer Chronologie am Ende des Buches sind die Veranstaltungen, Festivals, Demonstrationen und Aktionen des Hausplenums mit vielen Plakaten dokumentiert.

Das autonome Bildungskollektiv machte es sich zur Aufgabe, zu dem Gelände als Täterort zu recherchieren. Es entwickelte öffentliche Rundgänge über das Gelände. Täterort nicht nur wegen des Gebrauchs der Öfen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern, sondern auch weil Firmenleitung, die beteiligten Ingenieure, aber auch die Monteure vor Ort, also Auschwitz, und weitere aus der Verwaltung Kenntnis davon hatten, dass in den Krematorien Menschen vergast und anschließend verbrannt wurden.

Die Verknüpfung zwischen dem heutigen Kampf gegen Ausbeutungs- und Ausgrenzungspolitiken und der Aufarbeitung des Täterortes „Topf- und Söhne“ war gewollt. Subkulturell interessierte Jugendliche wurden mit der Geschichte des Ortes konfrontiert, die historisch Interessierten mit politischen Auseinandersetzungen.

Der Band schafft es, in kurzen Artikeln die Geschichte des Geländes wieder zu geben und ist damit weit mehr als das x-te Buch einer Hausbesetzung.

Nur leider ist auch das besetzte Haus zur Geschichte geworden. Bei der Räumung kam noch einmal alle Wut und der Wille zum Widerstand hoch, doch ist am Ende auch Resignation zu spüren.

Aber allen, die einmal oder mehrfach im Besetzten Haus gewesen sind, fallen beim Stöbern in dem Text- und Bildband ihre eigenen Begegnungen, Konzerte oder Diskussionen dort ein.

Das übersichtliche Layout unterstützt das Blättern, so dass der Band nicht unbedingt von vorne nach hinten zu lesen ist, sondern die Betrachter_in ihren eigenen Weg finden lässt.

Und so wächst, ob je dort gewesen oder nicht, mit dem Lesen dieser Dokumentation die Lust auf freie selbstgestaltete und selbstorganisierte Räume!

Meyerbeer/Späth (Hg.). Topf & Söhne - Besetzung auf einem Täterort, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2012, 187 DIN A 4-Seiten, 205 Abb., 12,90 Euro, ISBN 978-3-939045-20-5