Deutschland und Russland müssen gemeinsam Verantwortung zeigen für den deutschen Atommüll in Angarsk.
Ich lebe in der russischen Stadt Angarsk. 7000 Kilometer liegen zwischen Gronau und Angarsk.
Auch in meiner Heimatstadt gibt es, wie in Gronau, ein Werk für Urananreicherung.
Doch das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit zwischen unseren Städten.
Zwischen 1996 und 2009 hatte die Firma Urenco abgereichertes Uran nach Russland geliefert, unter anderem auch nach Angarsk. Dieses strahlende Material wird in unserer Stadt unter freiem Himmel gelagert.
Durch die gemeinsamen Bemühungen von UmweltschützerInnen aus Deutschland und Russland konnte eine Verlängerung dieser Verträge verhindert werden.
Derzeit gibt es in dieser Fabrik in Angarsk zwei Produktionslinien. Bei der ersten Produktionslinie wird Natururan in Uranhexafluorid umgewandelt, bei der zweiten Produktionslinie Uran angereichert.
Rosatom hat bereits verkündet, dass es 2016 die erste Produktionslinie einstellen will.
Die Bewohnerinnen und Bewohner meiner Stadt vermuten, dass anschließend auch die Urananreicherung geschlossen werden wird.
Doch selbst wenn dieses Werk vollständig geschlossen werden sollte, bleibt die Frage, was mit dem Atommüll geschehen soll. Niemand kann eine Antwort auf die Frage geben, was mit dem unter freiem Himmel gelagerten abgereichertem Uran dann geschehen soll.
Die Meinungen über die geplante Schließung des Werkes gehen in der Bevölkerung von Angarsk auseinander. Einige, wie ich z.B., begrüßen diese Entscheidung, bedeutet sie doch, dass zumindest kein neuer Müll mehr produziert werden wird.
Doch die Urananreicherung in Angarsk ist ein Werk, von dem die Wirtschaft der gesamten Stadt abhängt. In dieser Fabrik sind 1500 Personen beschäftigt.
Deswegen gibt es auch viele Menschen, die fürchten, durch eine Schließung des Werkes würde die Wirtschaft der gesamten Stadt leiden.
Doch unsere Wirtschaft leidet schon jetzt. Immer mehr Menschen ziehen aus Angarsk weg, wollen nicht mehr in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Atomfabrik leben, haben Angst vor den hohen Krebsraten. Die Erkrankung an Krebs ist in Angarsk höher als in anderen Städten des Gebietes Irkutsk. Und die Vermutung liegt nahe, dass der in Angarsk gelagerte Atommüll schuld an diesen Krebsraten ist.
2011 lagen die Neuerkrankungen an Krebs bei 506 pro 100.000 BewohnerInnen in Angarsk.
Zum Vergleich: im Gebiet Irkutsk sind es 410 Neuerkrankungen pro 100 000 Personen und in Russland insgesamt liegt diese Zahl bei 365 pro 100.000.
Das Werk für Urananreicherung und die hohen Krebsraten in unserer Stadt sind nicht nur ein Problem von Angarsk.
Genauso wenig wie Fukushima nur ein Problem von Japan und Tschernobyl ein Problem der Ukraine ist.
Das sind Probleme, die die ganze Welt betreffen.
Es kann nicht sein, dass man auf der einen Seite erklärt, man würde aus der Atomenergie aussteigen und man auf der anderen Seite Uran für andere Länder anreichert.
Man muss vollständig aus der Atomenergie aussteigen, überall und sofort.
Swetlana Slobina ist Journalistin und Aktivistin der russischen Umweltbewegung. Sie hielt sich im März 2013 auf Einladung der Rosa Luxemburg Stiftung in Deutschland auf, wo sie für eine Übereinkunft zwischen russischer und deutscher Regierung zur Einrichtung einer unabhängigen Kommission warb, die den Zustand der Fässer von Atommüll in Angarsk untersuchen solle.
Übersetzung aus dem Russischen: Bernhard Clasen