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Ding Dong

Maggie Thatchers Ableben und die Folgen. Ein Nachruf

| Rüdiger Haude

Margaret Hilda Thatcher, britische Premierministerin von 1979 bis 1990, starb am 8. April 2013, 87jährig, an einem Hirnschlag. Wenn man sich an die Maxime halten würde, dass über Verstorbene nur Gutes gesagt werden darf, dann wäre dieser Nachruf an dieser Stelle zu Ende.

Aber es hat schon seine Gründe, dass beim Bekanntwerden der Todesnachricht hunderte junge Leute im Londoner Stadtteil Brixton eine spontane Straßen-Party steigen ließen, der landesweit viele weitere folgten; oder dass eine Facebook-Kampagne dafür sorgte, dass der uralte Film-Schlager „Ding dong, the witch is dead!“ („Ding dong, die Hex ist tot!“) an die Spitze der Download-Charts geklickt wurde. Von der Anarcho-Band Chumbawamba aus dem englischen Leeds wurde postwendend eine bereits vor Jahren eingespielte CD an alle versendet, die dafür vorher subskribiert hatten; auch darin wird das langersehnte Dahinscheiden der „Eisernen Lady“ gefeiert.

Woher kommt diese Freude am Tod eines Menschen?

Nun, die Verblichene hat einiges dafür getan. Sie ist ein Symbol für, aber sie war auch ein mächtiger Akteur bei der Renaissance des Raubtier-Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten. „Maggie“ Thatcher wurde berühmt für die Umkremplung Großbritanniens: die brutale Zerschlagung der Arbeiterbewegung, die rücksichtslose Vernichtung der traditionsreichen Bergarbeiter-Kultur in England, die Privatisierung staatlicher Unternehmen zu Schleuderpreisen, die Abschaffung der in Großbritannien ohnedies schwachen Ansätze eines Sozialstaats.

Schon als Kulturministerin hatte sie sich in den 70er Jahren den Beinamen „Thatcher the Milk-Snatcher“ (Thatcher, die Milch-Diebin) verdient, als sie das Recht der GrundschülerInnen auf eine Flasche Gratis-Milch abschaffte.

Das historische ‚Verdienst‘ dieser Politikerin besteht darin, bereits vor 30 Jahren gezeigt zu haben, wohin jene neoliberale Politik führt, die heute den Planeten weitgehend im Griff hat: zu Massenarbeitslosigkeit und Massenverarmung. Ihr Lieblingssatz „There is no alternative“ („Es gibt keine Alternative“) hat mit dem Siegeszug ihrer Wirtschaftspolitik weltweit auch zu einer Entdemokratisierung der politischen Systeme beigetragen.

Zweifellos, einen wirkungsvolleren Staatsfeind hat das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts nicht gekannt. Was bedeutet das für die Staatsablehnung des Anarchismus? Sind die Zerstörungen von Möglichkeiten staatlichen Handelns nicht zu begrüßen? Bollocks! (Um Pete Postlethwaite’s große Anti-Thatcher-Rede aus dem Film „Brassed off“ zu zitieren.) AnarchistInnen wollen den Staat zugunsten einer freien Gesellschaft abbauen; sie streben Gleichheit und Gerechtigkeit an.

Zur Gesellschaft sagte Margaret Thatcher in einem weiteren berühmt gewordenen Statement: „… who is society? There is no such thing!“ („Wer ist diese Gesellschaft? Es gibt kein solches Ding!“)

Es gab für sie nur Individuen, die hemmungslos Reichtümer anhäufen durften, in der Not aber im Stich gelassen werden sollten. Egoismus war ihr Mantra. Diese Staatsfeindschaft läuft auf das Gegenteil von Anarchie hinaus: auf Sozialdarwinismus. Als sie ihr politisches Lebenswerk mit der „Kopfsteuer“ krönen wollte, die auf der Idee einer gleich hohen Besteuerung jedes Menschen, unabhängig von Einkommen oder Vermögen, basierte, hatte sie den Bogen endlich überspannt: Die stark anarchistisch gefärbten „poll tax riots“ von 1990 trugen dazu bei, dass Thatcher von ihrer eigenen Konservativen Partei fallengelassen wurde und noch im selben Jahr zurücktreten musste.

Der Staat Großbritannien hat der Verstorbenen Thatcher auf ihr vorab erteiltes Geheiß hin nun quasi ein Staatsbegräbnis gegönnt – mit militärischen „Ehren“ und großem Pomp.

Die StaatsmännerInnen dieser Erde übertrafen sich in salbungsvollem Gesülze über das wohltuende Wirken dieser Frau. So bezeichnete US-Präsident Obama Thatcher als „eine der großen Verfechterinnen der Freiheit und wahre Freundin Amerikas“.

Bundesaußenminister Westerwelle meinte, ihr Name stehe „für die unerschütterliche Kraft der Freiheit“.

Solche Würdigungen sind wesentlich unappetitlicher als die anfangs geschilderten Heiterkeitsausbrüche der Thatcher-GegnerInnen, weil sie nämlich die Opfer der Thatcher’schen Politik noch mit Hohn überschütten. Jeder einzelne englische Kumpel, der in den 80er Jahren vom Thatcherismus in den Suizid getrieben wurde (und es waren viele!), hat mehr Mitgefühl verdient als diese eiskalte Vollstreckerin!

In den Diskussionsforen des Internet wurde treffend bemerkt, das Begräbnis der Verstorbenen wäre ihr nur dann angemessen gewesen, wenn seine Durchführung unter privaten Bestattern ausgeschrieben und an den billigsten Anbieter vergeben worden wäre. Wenn der von Thatcher so übel zugerichtete britische Staat das (für 10 Mio. Pfund Steuergelder) übernahm, dann drückte er, nein: drückte die Staatenwelt damit aus, wie wichtig Thatchers politisches Vermächtnis ihr ist: Mit der Selbstauslieferung der Staaten an die ökonomisch Mächtigen haben sie sich in eine Situation manövriert, in der es für sie anscheinend wirklich „no alternative“ mehr gibt.

Das muss mit immer absurderen Äußerungen ideologisch verbrämt werden: Nun wird also „Thatcher the Milk-Snatcher“ als Freiheitskämpferin belobhudelt. Kapital ist ja so ein scheues Reh; es will bei Laune gehalten werden. Deshalb regiert ‚Thatcher‘ in Wahrheit auch noch nach ihrem Abgang.

Bei früherer Gelegenheit habe ich schon einmal auf die alte Skat- und Doppelkopf-Weisheit hingewiesen, wonach ein „scheues Re(h)“ mit einem „energischen Kontra“ beantwortet werden sollte. Das täte heute not. Der Thatcherismus, der z.B. bei der europäischen Finanzkrise durchgesetzt wird, ist in jedem Punkt so wirtschaftspolitisch falsch, wie er unmoralisch ist. Es gilt ihn zu bekämpfen – ob die Eiserne Lady nun, wie in ihren letzten dementen Tagen, im Ritz-Hotel liegt, oder unter der Erde.

Religiöse Menschen meinen, Thatcher sei jetzt mit ihrem 2006 verstorbenem Freund, dem chilenischen Menschenschlächter Augusto Pinochet, vereint.

Andere argumentieren, dort unten in der Unterwelt gebe es noch viel zu tun für die Eiserne Lady. Man rechnet mit einer Privatisierung der Hölle und der Stilllegung unrentabler Feuerungsanlagen. Wieder andere haben ihren poetischen Elan in einen pietätvollen Abschiedsgruß gesteckt, dem ich mich gerne anschließe: „Iron Lady – Rust in Peace!“