transnationales

Italien nach der Wahl

Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung bekämpft den Berlusconismus auch mit Berlusconismus

| Lars Röhm (aus Rom)

"Fatti non foste a viver come bruti, ma per seguir virtute e conoscenza." (Nicht wardt Ihr gemacht um wie Bestien zu leben, sondern um der Tugend und der Erkenntnis zu folgen). Dies sind nicht etwa die Worte aus einem der Texte Errico Malatestas, Peter Kropotkins, Leo Tolstois oder gar Francisco Ferrers, sondern ein Verspaar aus Dantes "Divina Commedia" - geschrieben vor beinahe tausend Jahren. Das aktuelle Italien ist jedoch nicht nur durch den Lauf der Jahrhunderte weit von diesem Motto entfernt. Die Nation ehemals großer Kultur findet sich derzeit fest in der Hand der Krise: ökonomisch, sozial, kulturell und politisch. Das eine bedingt dabei unausweichlich das andere.

Wirtschaftlich gesehen schrappt das Land seit Jahren nur Haarscharf an der Pleite vorbei.

Dies betrifft nicht allein die Volkswirtschaft, sondern lastet besonders schwer auf kleinen und mittelständischen Unternehmen. Täglich ist in den Zeitungen von mindestens einem Selbstmord eines überschuldeten Kleinunternehmers oder Handwerkers zu lesen und die Zahl der Geschäftsschließungen liegt bei einem bisher ungesehenen Ausmaß.

Die neuesten Statistiken sprechen von gut 5,7 Millionen Arbeitslosen – ein Rekordniveau – von denen laut aktuellsten Veröffentlichungen des italienischen Statistikinstituts ISTAT erstmals mehr als die Hälfte zwar gern eine Arbeit hätten, jedoch jedwede Hoffnung aufgegeben haben, eines Tages wieder in Lohn und Brot zu kommen.

Rechnet man nun zu diesen Zahlen noch gut 600.000 Unterbeschäftigte, werden die Zahlen noch einmal dramatischer. Gleichzeitig regiert im Kulturbereich eisern der Rotstift (die Region Latium mit der Hauptstadt Rom steckt z.B. lediglich 0,01% ihres Haushaltes in die Kultur und auch in der Bildung sieht es nicht besser aus: in den letzten Jahren wurden 200.000 (prekäre!) Lehrstellen gestrichen und 4.000 Schulen geschlossen.

In den Oberschulen brechen 17,6% der SchülerInnen ihre Laufbahn ohne Abschluss ab, an den Unis bringt es nur jeder fünfte zum Abschluss.

Setzt man diese Zahlen nun in das Gesamtbild einer Rekordarbeitslosigkeit von 12% in der gesamten Eurozone, ergibt sich tatsächlich ein wenig rosiges Bild für die Zukunft. Dass eine derartige Situation ihren Einfluss auch auf eine politische Krise hat, sollte da kaum verwundern. Alleiniger Auslöser der politischen Krise ist die wirtschaftliche Misere jedoch nicht.

Politische (Schatten-)Ökonomie

Dass die italienische Politik alles in allem eher kapriziös ist, ist kein Novum. Auch wenn sich im deutschen Blätterwald gerade nach den letzten Parlamentswahlen die Schlagzeilen in Dramatik geradezu überschlugen: vom beinahe gemäßigten „Land der Unregierbaren“ bis zum Land im Würgegriff zweier „Clowns“ (BILD).

Was sich derzeit politisch in Italien abspielt, ist jedoch lediglich die Spitze des Eisberges. Die Ursachen dafür sind eben nicht nur in der Wirtschaftskrise und genauso wenig im Berlusconismus allein zu suchen. Vieles davon hat durchaus historischen Ursprung. Was allein gewiss ist, ist, dass es sich um eine tiefe Vertrauenskrise in die Politik handelt.

Wichtiger Ausgangspunkt hierfür sind vor allem politische Entwicklungen der 1960er und 70er Jahre. Die Geschehnisse um das Jahr ’68 haben in Italien tiefgreifendere Folgen und Veränderungen mit sich gebracht als in anderen (west-)europäischen Ländern.

Zum einen hat der alte Koloss PCI (Kommunistische Partei Italiens) durch das neuerstarken einer radikalen Linken einen ersten schweren Schlag erlitten. Und dies nicht etwa aus dem Blauen heraus: zu sehr hatte sich die Partei im Laufe der Nachkriegsjahre von der Arbeiterschaft entfernt, sich auf eine Elite aus Facharbeitern gestützt und durch parteieigene Akademien eine Kaderelite herausgebildet.

Ebenso hatte die parteiinterne Auslegung von Gramscis Theorien zur „Hegemonie“ dazu geführt, dass sich die Partei zwar nicht an Regierungen beteiligte, jedoch versuchte, im (mehr oder minder) Kleinen auf bürokratischer Ebene die Fäden in der Hand zu halten.

Letzteres hatte schlussendlich einen Klientelismus und eine Vetternwirtschaft unter „Genossen“ zur Folge, was von den einfachen WählerInnen zwar zunächst geschluckt, nicht aber unbedingt gebilligt wurde.

Dass „selbst die Kommunisten eine Wohnung mit zwei Bädern haben“, wird der Partei in Italiens Arbeitervierteln bis heute nicht verziehen.

Hinzu kommen die Wirren der sog. „Strategie der Spannung“ und die Putschpläne der Geheimloge P2 als Reaktion auf den aufkommenden linken Terrorismus.

Erstere basierte auf einer gezielten Zusammenarbeit der Geheimdienste mit rechten Terroristen, deren Attentate der radikalen Linken in die Schuhe geschoben werden sollten.

Die Attentate von Mailand und Bologna legen hiervon trauriges Zeugnis ab. Die Geheimloge P2 hingegen, der Personen aus Politik, Wirtschaft und öffentlichem Leben (u.a. Silvio Berlusconi) angehörten, scheute ebenso wenig den Kontakt mit notorischen Faschisten, um zur Stabilisierung des Landes ein autoritäres Regime zu errichten.

Auch vollzog sich in dieser Zeit ein wichtiger Generations- und Paradigmenwechsel innerhalb der italienischen Mafiaclans.

Dieser beinhaltete maßgeblich die Abkehr von klassischen Ehrencodes der alten Uomini d’Onore.

So krude dies für Außenstehende auch erscheinen mag, so gab es doch Dinge, die sich für den kriminellen „Ehrenmann“ kategorisch verbaten: vornehmlich der Handel mit Heroin als Droge mit zu desaströsen Auswirkungen und Verbindungen zur bzw. Einmischungen in die Politik.

Der Bruch der neuen Mafiosi mit den alten Dogmen sollte nicht nur das Land und vornehmlich dessen Jugend mit Heroin überschwemmen, sondern ebenso die Politik mit Korruption. Während spätestens in den frühen 1980ern das italienische ’68 als Bewegung durch Repression, Selbstisolierung und Drogen aufgerieben war, begann die Korruption in der Politik in nie da gewesenem Ausmaß zu florieren.

Fast zeitgleich sorgte der Ende der 1970er Jahre geschlossene sog. „Historische Kompromiss“ zwischen den ehemaligen Erzrivalen PCI und DC (Christdemokraten) zum „Wohle der Nation“ zu einer zunehmenden Verwässerung politischer Inhalte und der Herausbildung einer Kaste von Technokraten.

Zum Einsturz dieses Kartenhauses kam es Ende der 1980er, Anfang der 1990er mit dem Zusammenbruch des Ostblocks zum einen und dem Auffliegen des Korruptionsskandals „Tangentopoli“ zum anderen.

Der Zusammenbruch des Ostblocks führte zu einer Orientierungslosigkeit in einem Großteil der italienischen Linken, allen voran der PCI, die sich letztlich aufrieb und in diversesten Spaltungen auflöste.

Der moderate und technokratische Flügel der alten PCI ist mittlerweile mit einem Teil der sich ebenfalls aufgelösten DC zur Demokratischen Partei (PD) fusioniert.

Der minoritäre, linke Flügel hat sich nach kurzem Aufwind durch die Antiglobalisierungsbewegung in mindestens drei Teile gespalten.

Die heutige Demokratische Partei ist also letztlich nicht viel mehr als ein Sammelsurium von Büro- und Technokraten denen es an politischem Charisma und programmatischer Schärfe fehlt. Nicht umsonst steht die Partei dieser Tage vor der tatsächlichen Spaltung über die Frage ob und in wie weit sie mit Berlusconi in Fragen einer neuen Regierungsbildung zusammenarbeiten soll.

Nicht weniger verheerend waren die Auswirkungen des Korruptionsskandals „Tangentopoli“, der nicht nur alle Parteien, sondern gar den ehemaligen Regierungschef Craxi in seinen Sog zog. Um sich der gerichtlichen Verfolgung zu entziehen, floh dieser Hals über Kopf ins Exil.

Umso verwunderlicher scheint es, dass ausgerechnet Silvio Berlusconi damals als der starke Mann in der Krise seinen politischen Aufstieg begann.

Zwischen Bunga-Bunga und EZB zirpt die Grille

Was einen Berlusconi zunächst an der Macht gehalten hat, mag auf gewisse Art seine „Ehrlichkeit“ gewesen sein: wenn schon alle betrügen, mache ich es halt auch, nur eben offen. Was einen Berlusconi nicht nur an der Macht gehalten, sondern immer wieder an die Wasseroberfläche gespült hat, war die Macht und die Fähigkeit, sich und den eigenen Egoismus als role-model in die Gesellschaft zu exportieren.

Was diese Entwicklungen favorisiert hat, ist die Tatsache, die Zeichen der Zeit erkannt und für sich genutzt zu haben. Denn in einem Zeitalter, welches in der neueren französischen Philosophie zuweilen als „das Ende des Citoyen“, das Ende des sozialen Menschen, die Entwicklung hin zu überzogener Subjektivität und daraus resultierender Selbstgefälligkeit und Egoismus als falsch verstandener Freiheit und Selbstbestimmung, ist es nicht die mediale Macht allein, die derart verheerend wirkt.

Aufgabe einer Opposition wäre es an dieser Stelle gerade nicht als technokratische Statthalter Angela Merkels den Rotstift zu schwingen und damit hausieren zu gehen, was alles angeblich nicht möglich sei und damit – um mit Deleuze, Debord und Focault zu sprechen – das Mögliche einzusperren, sondern gerade zu zeigen, dass etwas anderes tatsächlich möglich ist.

Gerade diese Lücke schließt derzeit Beppe Grillo mit seiner Fünf-Sterne-Bewegung. Wenn auch auf nicht unzweifelhafte Art. Denn zum einen ist die Figur Beppe Grillo nicht viel mehr als ein Produkt des Berlusconismus: polteriger und populistischer Politstil, viel Show und ein Gespür für das Nutzen von Medien, Facebook gegen Fernsehen.

Andererseits gibt es in Italien einen sehr verbreiteten Wunsch, sowohl mit den alten politischen Kasten, als auch mit dem Berlusconismus zu brechen.

Aus Ermangelung an Alternativen und mit einer Regierung, die zuerst nicht einmal gewählt wurde und anschließend bei den Wahlen gerade einmal 10% Zustimmung bekam, ist die Bewegung Cinque Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung) durchaus ein Sammelbecken. Im Guten wie im Schlechten. Und sie ist neu, was in vielen das Interesse geweckt hat, ob sie auch halten, was sie vollmundig versprechen.

Gleichzeitig spielt die Bewegung mit dem Feuer. So sehr es zunächst verständlich sein mag, zu versuchen, einen Berlusconi nicht mit Farblosigkeit, sondern mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen, so sehr scheint dies auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt.

Man mag so zwar zunächst gegen geballte Mediengewalt (gefühlt oder real) leichter zu Menschen durchdringen.

Doch: wer Berlusconismus mit Berlusconismus bekämpft verlängert letztlich nur den Berlusconismus. Und dabei gibt es in Italien eine Vielzahl kleiner Bewegungen und initiativen, die ohne großes Tamtam Beachtliches leisten: von Komitees zur Besetzung von Wohnraum, besetzten und weitergeführten Kinos und Theatern, selbstorganisierten Bibliotheken, kostenfreien Arztkonsultationen, Sprachkursen bis hin zur solidarischen Direktvermarktung von Lebensmitteln.

Was fehlt ist die gemeinsame Bewegung. Als Gegensatz zu Beppe Grillo ist dies positiv, für das Land hingegen nicht.