Unter anderem, weil sich die Kriege in Afghanistan und im Irak, bei denen zeitweise jeweils deutlich über 100.000 Bodentruppen im Einsatz waren, aus Sicht der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten als Desaster erwiesen haben, setzen die USA mittlerweile verstärkt auf indirekte Interventionsformen. Dazu gehören neben Drohnen vor allem auch Spezialeinheiten, die in jüngster Zeit massiv aufgewertet wurden. (1)
Doch nicht nur in den USA, auch in den europäischen Staaten erfreuen sich Spezialeinheiten immer größerer Beliebtheit.
So waren (bzw. sind) etwa britische und französische Einheiten sowohl in Libyen als auch in Syrien aktiv und auch bei der französischen Mali-Interventionen spielen sie eine wesentliche Rolle. (2) Auch in Deutschland werden Spezialeinheiten sukzessive aufgewertet, wofür sie ab 2014 grundsätzlich reorganisiert werden sollen.
KSK: Speerspitze der Schattenkrieger
Die deutschen Spezialkräfte sind derzeit noch in der „Division Spezielle Operationen“ (Motto: „einsatzbereit – jederzeit – weltweit“!) organisiert, deren mit Abstand wichtigster und bekanntester Teil – die Speerspitze der deutschen Schattenkrieger – das „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) mit Sitz in Calw ist.
Der genaue Umfang der Truppe ist etwas unklar, da darüber seitens der Bundeswehr keine exakten Angaben gemacht werden. Er dürfte allerdings zwischen 1.100 und 1.300 Soldaten liegen. (3) Über das Aufgabenspektrum gibt das Weißbuch der Bundeswehr Auskunft: „Die Division Spezielle Operationen führt die im Kommando Spezialkräfte und in zwei Luftlandebrigaden zusammengefassten Spezial- und spezialisierten Kräfte des Heeres.
Das Einsatzspektrum der Spezialkräfte schließt die Gewinnung von Schlüsselinformationen, den Schutz eigener Kräfte auf Distanz, die Abwehr von und die Rettung aus terroristischer Bedrohung sowie Kampfeinsätze im gegnerischen Gebiet ein.“ (4)
Archaisch-rechte Kämpfer
Wortgewaltig hatte Hans-Otto Budde kurz vor seinem Amtsantritt als Generalinspekteur der Bundeswehr 2004 gefordert: „Wir brauchen den archaischen Kämpfer und den, der den High-Tech-Krieg führen kann.“
Die Zeitung Die Welt präzisierte daraufhin in eigenen Worten, was darunter genau zu verstehen ist: „Diesen Typus müssen wir uns wohl vorstellen als einen Kolonialkrieger, der fern der Heimat bei dieser Art von Existenz in Gefahr steht, nach eigenen Gesetzen zu handeln.“ (5)
Genau diese Vorstellungen werden augenscheinlich auch im KSK gehegt und gepflegt: es zeichnet sich durch ein ausgeprägtes Elitenbewusstsein aus und es existieren zuhauf Berichte über rechte Vorkommnisse innerhalb der Truppe. (6)
Wenig verwundern kann deshalb auch, dass diese „archaischen Kämpfer“ nicht gerade zimperlich im Ausland agieren. Der bekannteste Fall von Misshandlung ist bislang der des Bremers Murat Kurnaz, der seinen (glaubhaften) Angaben zufolge im Januar 2002 von Angehörigen des KSK im afghanischen Kandahar getreten und verhöhnt wurde.
„Da Kurnaz nach dieser ‚Begegnung‘ viele Jahre in Guantánamo interniert worden war, konnte er seine Vorwürfe über Mißhandlungen durch KSK-Soldaten erst sehr viel später öffentlich machen. Erst im Januar 2007 begannen Ermittlungen wegen möglicher Körperverletzung durch Bundeswehrangehörige.
Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch zahlreiche Dokumente des damaligen KSK-Einsatzes verschwunden oder ‚versehentlich‘ gelöscht worden. Politisch Verantwortliche, die in zwei Untersuchungsausschüssen des Bundestags befragt wurden, erinnerten sich an nichts oder waren nie über Details informiert worden, so daß wohl nie endgültig zu klären ist, was damals in Kandahar geschehen ist.“ (7)
Allerdings dürfte es sich hierbei lediglich um die Spitze des Eisbergs handeln: „Über den Fall Kurnaz hinaus gab es nach Aussagen eines nicht genannten KSK-Offiziers weitere Vorfälle, bei denen Kommandosoldaten sogenannte ‚illegale feindliche Kämpfer‘ gefoltert haben. Wörtlich kommentierte jener Offizier: ‚Es ist berauschend, Macht darüber zu haben, wer lebt und wer stirbt.'“ (8)
Spezialkrieger im Einsatz
Das KSK operierte bereits in den 1990ern in Bosnien und im Kosovo, der größte Einsatz findet bis heute aber in Afghanistan statt. Zuerst geschah dies ab November 2001 im Rahmen der US-geführten „Operation Enduring Freedom“ (OEF), an der 100 KSKler beteiligt waren. Seit 2008, als die deutsche OEF-Beteiligung endete, wird unter der Flagge der NATO-Truppe ISAF weitergekämpft.
Den traurigen vorläufigen Höhepunkt des KSK-Engagements in Afghanistan stellt die Beteiligung am Massaker von Kunduz dar: „Im September 2009 bombardierten US-Kampfflugzeuge auf Geheiß des deutschen Oberst Georg Klein Tanklastzüge in der Nähe von Kunduz, nach NATO-Angaben wurden 142 Menschen getötet und verletzt – darunter auch viele Kinder.
Im Rahmen der Untersuchungen dieses Massakers wurde bekannt, dass Oberst Klein aus einem Kommandostand der ‚Task Force 47‘ heraus agierte. Die Aufgaben und auch die Zusammensetzung dieser Task Force wurde erst im Verlauf der Untersuchung bekannt: es handelt sich um eine Einheit bestehend aus Soldaten des KSK und der Division Spezielle Operationen, die vom Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst unterstützt wird.“ (9)
Immer wieder unterstützte die KSK die USA bei ihrer Kriegsführung, unter anderem durch die Mithilfe bei der Erstellung von „Todeslisten“. Menschen, die sich auf diesen Listen wiederfinden, werden buchstäblich zum Abschuss freigegeben.
Zwar beeilte sich die Bundeswehr nach Bekanntwerden dieser Listen zu versichern, ihre Angehörigen würden „nur“ Verhaftungen vornehmen – was andere mit diesen Daten tun, steht aber auf einem völlig anderen Blatt: „Die Nato-Truppen in Afghanistan benutzen geheime ‚Todeslisten‘ mit den Namen von Taliban-Führern. Diese gilt es aufzuspüren, gefangen zu nehmen oder auch zu liquidieren. Dabei werden amerikanische Spezialeinheiten von deutschen Elitesoldaten des KSK unterstützt. Was die Kommandotrupps in der Gegend um die Stadt Kundus tatsächlich treiben, bleibt den Politikern in Berlin verborgen. […] Die Existenz dieser Listen haben dem stern vier voneinander unabhängige Informanten bestätigt. Und weil die Listen allen Isaf-Elitetruppen zugänglich sind, muss es nicht unbedingt bei einer Festnahme bleiben. Amerikaner, Australier, Engländer machen nicht nur Gefangene.“ (10)
Augenscheinlich schreckt die Truppe aber auch nicht davor zurück, selbst tätig zu werden und tatsächliche oder mutmaßliche Feinde zu eliminieren: „Die Bundesregierung leugnet beharrlich, daß KSK- oder andere Einheiten der Bundeswehr in Afghanistan an ‚gezielten Tötungsaktionen‘ beteiligt seien. Dies sei mit deutschem Recht nicht vereinbar. In einem Tagesspiegel-Interview sprach Brigadegeneral Josef Dieter Blotz 2010 allerdings davon, ‚daß Extremisten, deren Hauptbeschäftigung darin besteht, unsere Soldaten zu erschießen und in die Luft zu sprengen, verfolgt und bekämpft werden müssen‘. Verfüge man über entsprechende Informationen, ‚wo solche Extremisten zu finden sind‘, müsse versucht werden, ‚diese auszuschalten‘. Dies sei, so der General wörtlich, ‚im Wesentlichen die Aufgabe von Kräften, die speziell dafür ausgebildet, ausgerüstet und trainiert sind‘.“ (11)
KSK abseits parlamentarischer Kontrolle
Es ist klar, dass eine wesentliche „Attraktivität“ von Spezialkräften die Tatsache darstellt, dass sie ggf. ohne öffentliche Aufmerksamkeit eingesetzt werden können. Um zu verhindern, dass die Bundesregierung ihre Schattenkrieger nicht beliebig in der Welt herumschickt, hat – eigentlich – der Bundestag ebenso die Pflicht wie die Befugnis das diesbezügliche Treiben der Regierung zu kontrollieren.
Für die Einsätze von Spezialkräften ist diese Befugnis aber faktisch außer Kraft gesetzt, weil sich die Bundeswehr anmaßt, darüber zu befinden, welche Informationen einer von ihr definierten Geheimhaltungspflicht unterliegen: „Der Informationsanspruch des Parlaments findet dort eine Grenze“, formuliert es die Bundeswehr, „wo das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Informationen das Wohl des Bundes […] sowie die Sicherheit der bei einer Operation eingesetzten Soldaten oder deren Angehörigen gefährden kann.“ (12)
Wohlgemerkt, das Parlamentsbeteiligungsgesetz aus dem Jahr 2005 lässt zwar Ausnahmen bzw. eine eingeschränkte Informationen des Parlamentes zu, allerdings nur bei „Einsätzen von geringer Intensität und Tragweite“. (13) Dennoch werden lediglich die Obleute im Verteidigungs- und Auswärtigen Ausschuss über das Agieren der Spezialkräfte unterrichtet – und auch die erhalten häufig vollkommen unvollständige Informationen. Insofern ist der bundeswehreigenen Zeitschrift für innere Führung nur zuzustimmen, als sie schon vor einigen Jahren unter Verweis auf Aussagen von IMI-Vorstand Tobias Pflüger kritisch feststellte: „Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Obleute der Bundestagsfraktionen im Verteidigungsausschuss jeweils darüber informiert. Dies geschah und geschieht aber auf freiwilliger Basis. Es war und ist damit Ermessenssache. […] Da Information noch längst nicht mit Einfluss gleichzusetzen ist, darf darüber nachgedacht werden, ob an der Feststellung [von] Tobias Pflüger, ‚die vielbeschworene Parlamentsarmee ist in Sachen KSK außer Kraft gesetzt‘ etwas dran ist und es sich nicht doch eher ‚um eine Truppe der Exekutive‘ handelt.'“
Generalumbau: Division Schnelle Kräfte
In den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom Mai 2011 wurde eine Reorganisation der Bundeswehr beschlossen, die auch die künftige Organisation der Spezialeinheiten betrifft.
Im Kern sollen dabei am 1. Januar 2014 die „Division Spezielle Operationen“ (und damit u.a. das KSK) und die „Division Luftbewegliche Operationen“ (Motto: „Nach vorn!“) zur neuen „Division Schnelle Kräfte“ (DSK) verschmolzen werden. „Taktisch voll beweglich, rasch verlegbar und ausgesprochen robust projektiert, wird die Bundeswehr mit der Neuaufstellung der DSK bald über einen jederzeit alarmierbaren Eliteverband verfügen, der durch sein hoch professionelles Kräfteportfolio, mit hoher einsatzspezifischer Flexibilität, schneller Verfügbarkeit und überragender Durchsetzungsfähigkeit in allen militärischen Intensitätsstufen sowohl in multinationaler Einbindung als auch im autarken Rahmen ausgesprochen vital und kampfstark agieren kann.“ (14)
Insgesamt soll die neue DSK über 8.600 SoldatInnen verfügen, dabei soll u.a. „eine Operation gegen Irreguläre Kräfte oder eine Schnelle Anfangsoperation oder eine Operation in der Tiefe durchgeführt werden können.“ (15)
Dem militär- und rüstungsnahen Newsletter Verteidigung ist seine Begeisterung für die neue Einheit sichtlich anzumerken: „Noch gibt es den kommenden deutschen Eliteverband der Bundeswehr, die ‚Division Schnelle Kräfte‘, nur auf dem Papier. Gewissermaßen eine Geisterdivision, könnte man etwas salopp sagen. Doch ab 2014 wird sich unter dem Dach des deutschen Heeres ein höchst schlagkräftiger, reaktionsschneller und robuster Unikatverband formieren, der in der weltweiten MilitärCommunity mit höchst anzunehmender Sicherheit bereits vor seinem ersten scharfen Einsatz für Furore sorgen wird. Mit der Aufstellung der ‚Schnellen Division‘ wird eine ultimative Spezialtruppe zusammengeschweißt, in der erstmals das geheimnisumwitterte Kommando Spezialkräfte, die mittlerweile legendären, weil kampferprobten spezialisierten Fallschirmjäger und die luftbeweglichen Profis der feuerstarken wie lufttransportierenden Heeresfliegertruppe überaus synergetisch zu einem innovativen, weltweit einsetzbaren Kampfverband fusionieren.“ (16)
Was in diesem Zusammenhang besonders Besorgnis erregend stimmen muss, ist, dass im selben Artikel des Newsletter Verteidigung einerseits die Versuche der Bundesregierung, immer mehr Ausnahmetatbestände zu schaffen, um hierdurch mehr und mehr Einsatzarten der Zustimmungspflicht des Bundestages zu entziehen, flammend gegen jede Kritik verteidigt werden. Andererseits wird darauf verwiesen, die Aufstellung der DSK müsse zum Anlass genommen werden, grundsätzlich über diverse sicherheitspolitische Aspekte nachzudenken: „Ob damit auf Bundesebene gegebenenfalls hochprofessionelle Doppelstrukturen entstehen, die zu einer Konkurrenzsituation zwischen Spezialkräften der Bundeswehr und ebenso hochspezialisierten GSG 9-Beamten führen könnten, bei der die Bundeswehr wegen der mehrheitlich als unpopulär wahrgenommenen Auslandseinsätze in die zweite Reihe gerückt werde, wie man kritisch resümieren könnte, wird in einem NV-Folgebeitrag beleuchtet. Hierbei wird es um Fragestellungen zu Themen, wie ‚Mischformen neuer Bedrohungsszenarien‘, ‚transformiert sich die GSG 9 zur internationalen Sondereingreiftruppe‘ und um auch darum gehen, ob zum nachhaltigen Schutz Deutschlands die Beibehaltung des sogenannten ‚Trennungsgebots von Polizei und Militär‘ angesichts wachsender hybrider, irregulärer Gefahrenlagen im Inland langfristig ein nicht mehr durchzuhaltender Anachronismus ist. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz und die daraus resultierende Unberechenbarkeit deutscher Verteidigungspolitik, wie Bündnispartnern konstatieren, jedenfalls wird mit Blick auf multinationale Militäroperationen der post-afghanischen Ära und mit Hinweis auf den Libyen-Einsatz längst als sicherheitspolitischer Hemmschuh eingestuft.“ (17)
(1) Vgl. hierzu Wagner, Jürgen: Die Rückkehr der Schattenkrieger. Spezialeinheiten als neue Speerspitzen des Interventionismus, in: IMI (Hg.): Entdemokratisierung und Krieg, Tübingen 2013.
(2) Marcus, Jonathan: French success in Mali may herald 'war of the shadows', BBC, 30.01.2013.
(3) Wikipedia: Kommando Spezialkräfte.
(4) Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, 2006.
(5) Winkel, Wolfgang: Bundeswehr braucht archaische Kämpfer, Die Welt am Sonntag, 29.02.04.
(6) Vgl. Teidelbaum, Lucius: Braunzone Bundeswehr. Rechtsum in der Männertruppe, Münster 2012.
(7) Haydt, Claudia: Raus aus Afghanistan: Chronik einer angekündigten Niederlage, junge Welt, 20.09.2008.
(8) Rose, Jürgen: Ernstfall Angriffskrieg. Frieden schaffen mit aller Gewalt?, Hannover 2009, S. 234.
(9) IMI (Hg.): Rüstungsatlas Baden-Württemberg, Tübingen 2012, S. 14.
(10) Rauss, Uli u.a.: Geheimkrieg: Bundeswehreinsatz in Afghanistan, stern.de, 20.01.2012.
(11) Strutynski, Peter: Spirale der Gewalt. Afghanistan: Wieder ein Taliban-Führer "ausgeschaltet", junge Welt, 29.10.2012.
(12) Rauss u.a. 2012.
(13) Parlamentsbeteiligungsgesetz vom 18. März 2005 (BGBl. I S. 775).
(14) Schubert, Volker: Geisterdivision‹ rettet deutsche Staatsbürger, Newsletter Verteidigung, 22. Januar 2013, S. 1-8, S. 1.
(15) Schneider, Jörn/Ritter, Thomas: "Nach vorn!" - "einsatzbereit - jederzeit - weltweit"! Hardthöhenkurier 2/2012, S. 3439, S. 38.
(16) Schubert 2013, S. 4.
(17) Ebd., S. 8.
Der Autor
Jürgen Wagner ist Politikwissenschaftler und geschäftsführender Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI, www.imi-online.de) in Tübingen.