"Die in der Falle sitzende Regierungstroika spielt Verhandeln mit der Troika", titelte die genossenschaftliche Tageszeitung Efimerída ton Sintaktón am 6. April 2013. Die Ankündigung harter Neuverhandlungen des Sparmemorandums sei erneut nichts als heiße Luft gewesen.
Vor Ankunft der Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission in Athen eine Woche zuvor hatten die zwei sozialdemokratischen Regierungsparteien Pasok und Demokratische Linke (Dimar) die Backen aufgeblasen und dem konservativen Ministerpräsidenten Antónis Samarás (Néa Dimokratía) mit Aufkündigung der Koalition gedroht. „Entlassungen im Öffentlichen Dienst wird es mit uns nicht geben“, so Fótis Kouvélis, der Parteichef von Dimar.
Dann ging alles recht schnell.
Am Samstag, den 13. April trafen Samarás und seine Koalitionspartner zusammen und am Abend konnte Vollzug gemeldet werden. „Ich gehe davon aus, dass bis Montagabend die letzten Details geklärt sein werden“, erklärte der stellvertretende Finanzminister Chrístos Staikoúras im Fernsehen. Kouvélis: „Es muss eine Umstrukturierung geben“, und Pasok-Chef Evángelos Venizélos: „Es geht um die Reduzierung des Personals im staatlichen Bereich“, schlossen sich an. Intern war die Rede davon, man habe sich auf die Entlassung von 15.000 Staatsbediensteten bis Ende des Jahres geeinigt. Auch die umkämpfte Sondersteuer auf Haus- und Wohnungsbesitz bleibt und wird weiterhin über die Stromrechnung eingetrieben.
Da alles glatt lief, sollen bald die nächsten Kredittranchen in Höhe von 2,8 und 7,2 Milliarden Euro freigegeben werden. Der größere Betrag ist für die Rekapitalisierung der griechischen Banken gedacht.
Nationalbank und Eurobank sollen bei Entlassung Tausender Angestellter noch in diesem Jahr fusionieren.
Laut einer Studie des Instituts für Arbeit der beiden Dachgewerkschaftsverbände GSEE und ADEDY gingen von Anfang 2009 bis Ende 2012 mehr als 507.000 Arbeitsplätze in Griechenland verloren.
Auf den Barrikaden
„Sie kommen nicht durch“, skandieren die BewohnerInnen von Ierissós, die von MAT-Sondereinsatztruppen, vermummten EKAM-Terrorkommandos und Fernsehkameras umzingelten „Freien – Belagerten“, wie sie sich selbst bezeichnen.
Seit dem 10. April haben sie die Dorfeingänge mit Barrikaden dicht gemacht.
Während „Bürgerschutzminister“ Níkos Déndias und die großen Fernsehkanäle die dem geplanten Goldabbau Widerstand leistende Bevölkerung im Norden Chalkidikís als Terroristen bezeichnen, verstärken diese ihre Barrikaden.
Kinder, Eltern, Omas und Opas erklären entschlossen, keinen Schritt zurückzuweichen im Kampf gegen die Zerstörung der Natur und ihrer Dörfer.
Der umkämpfte Wald von Skouriés, in den Bergen oberhalb von Ierissós im Norden Chalkidikís gelegen, ist einer der wenigen verbliebenen ursprünglichen Primärwälder Europas.
Er besteht aus Buchen und Eichen, die teils älter sind als der griechische Staat. Die Gegend ist reich an Bodenschätzen, angeblich könnten über 100 Tonnen Gold gewonnen werden.
Die Mehrheit der dort lebenden Menschen geht allerdings davon aus, dass der geplante Abbau ein ökologisches Desaster verursachen wird.
Da ist zunächst die Fläche von 128 Quadratkilometern, die ausgebeutet, größtenteils abgeholzt und in einen riesigen Tagebau verwandelt werden soll.
Dann die großen Mengen an Wasser und Chemie, die benötigt werden um das Gold vom Gestein zu trennen. Und es ist völlig unklar, was mit dem giftigen Abraum und den giftigen Schlämmen passiert, die beim Auswaschen des Goldes anfallen.
Das Konsortium Hellas Gold, an dem der kanadische Konzern Eldorado Gold mit 95 Prozent und der griechische Baukonzern Aktor mit fünf Prozent beteiligt sind, behauptet, das Gold werde mit dem so genannten Schwebeschmelzverfahren extrahiert.
Dies gilt als vergleichsweise „umweltverträglich“, weil dabei kein Zyanid, die giftigste im Bergbau verwendete Substanz, eingesetzt wird.
Das Verfahren ist aber nur dann vergleichsweise sicher, wenn das behandelte Gestein weniger als 0,4 Prozent Arsen enthält. Der vorherige Besitzer der Mine, TVX Gold, hatte jedoch eine Arsen-Konzentration von elf Prozent ermittelt.
Bereits 2002 war TVX Gold auf Grund des massiven Widerstands gezwungen, den Betrieb einzustellen. 2003 kaufte der Staat die Minen für elf Millionen Euro, um sie am gleichen Tag zum gleichen Preis an Hellas Gold zu verkaufen. Eine erst zwei Tage zuvor mit nur 60.000 Euro Eigenkapital gegründete Gesellschaft.
Die damals alleinigen Eigentümer von Hellas Gold, die Großkapitalisten Leonídas Bóbolas und Dimítrios Koútras, gehören zum berüchtigten griechischen Interessengeflecht aus Wirtschaft und Politik. Sie verfügen über hervorragende Kontakte zu den beiden Staatsparteien Pasok und Néa Dimokratía, besitzen mit Aktor einen der größten Baukonzerne des Landes und betreiben mit dem TV-Kanal Mega, Radiostationen und den großen Tageszeitungen To Víma und Ta Néa Propaganda in eigener Sache (siehe GWR 376).
Eingefädelt wurde der Deal von Chrístos Páchtas (Pasok), dem korrupten damaligen Staatssekretär im Finanzministerium und heutigem Bürgermeister des betroffenen Gemeindeverbands Aristoteles. Sogar die EU-Kommission befasste sich mit diesem Schnäppchenkauf und entschied, er sei rechtswidrig begünstigend.
Als genüge nicht der lachhaft niedrige Kaufpreis (der Marktwert der Bodenschätze beträgt über 15 Milliarden Euro), wurden Hellas Gold auch die Übertragungsgebühren und die Anwaltskosten erlassen.
Deshalb wurde Hellas Gold verurteilt, dem griechischen Staat 15 Millionen Euro plus Zinsen zurückzuzahlen – wogegen nicht etwa Hellas Gold sondern der damalige Finanzminister Giórgos Papakonstantínou im Namen Griechenlands vor dem Europäischen Gerichtshof klagte. Als Papakonstantínou 2011 vom Finanz- ins Umweltministerium wechselte, unterzeichnete er 20 Tage nach Amtseinführung den 4000 Seiten starken geschönten und gefälschten Umweltreport von Hellas Gold und genehmigte den Beginn des Minenbetriebs.
Seine Vorgängerin, Tina Birbíli, hatte ihre Unterschrift wegen der offensichtlichen Mängel des Reports zwei Jahre verweigert.
Der seitdem wachsende Widerstand ähnelt anderen Kämpfen gegen umweltzerstörende Großprojekte in Europa.
Der ökosoziale Charakter, die Beteiligung breiter Teile der Bevölkerung, das Erfahren von Solidarität, die Selbstermächtigung und die Vielfalt der Aktionsformen erinnern an die Auseinandersetzungen um die geplante Mülldeponie in Keratéa bei Athen, den Bau der Hochgeschwindigkeitsbahntrasse TAV im Susa-Tal in Italien, den geplanten Großflughafen bei Lyon in Frankreich oder die Castor-Transporte im Wendland.
Als in der Nacht des 18. Februar eine Gruppe von ca. 40 Leuten die Absperrungen des geplanten Abbaugeländes überwand und nahezu alle Einrichtungen der Bergbaugesellschaft zerstörte und Baufahrzeuge abfackelte, war dies für den Staat der Vorwand zum Generalangriff. Private Security-Firmen und staatliche Behörden haben die Region in eine Art besetztes Gebiet verwandelt.
Checkpoints mit privaten Wachleuten im Wald, Stacheldraht, Kameras und Straßensperren rund um die Dörfer. Die MAT-Sondereinsatzkommandos schützen die Infrastruktur von Hellas Gold gegen die AnwohnerInnen und patrouillieren in den umliegenden Gemeinden.
Vermummte EKAM-Terrortruppen stürmen Häuser, treten Türen ein, nehmen die BewohnerInnen fest und erzwingen DNA-Proben.
Immer wieder werden Menschen stundenweise verschleppt, Protestkundgebungen mit Tränengas- und Blendschockgranaten auseinandergejagt.
Insgesamt 20 EinwohnerInnen verschiedener Dörfer sind inzwischen mit haarsträubenden Anklagen bis hin zum Mordversuch konfrontiert.
Ein landesweites Solidaritätsnetzwerk von Menschen, die gegen die Mülldeponie in Keratéa gekämpft haben, über anarchistische und ökologische Gruppen, die Linksallianz Syriza bis hin zur KKE, unterstützt die Kriminalisierten.
Am 9. März demonstrierten in Thessaloníki knapp 20.000 Menschen gegen die wochenlangen Repressalien der Polizei und den Goldabbau. Vom 13. bis 15. April fanden Tage des Widerstands mit Solidaritätsaktionen in ganz Griechenland statt. Am 17. April wurde bei Sonnenaufgang die Polizeiwache von Ierissós von Unbekannten in Brand gesteckt. Die Wache war bereits seit einer Woche nicht mehr in Betrieb, da aufgebrachte BürgerInnen sie schon mehrmals verwüstet und Materialien verbrannt hatten.
50 Jahre Knast für Mitglieder der Stadtguerilla
Mit fünf Verurteilungen und drei Freisprüchen endete am 3. April 2013 das erstinstanzliche Verfahren gegen acht angebliche Mitglieder der Stadtguerillaorganisation Epanastatikós Agónas (Revolutionärer Kampf). Die ab 2003 aktive Organisation verübte insgesamt 14 Anschläge gegen staatliche Einrichtungen, Banken, Botschaften und die Polizei.
Am 10. März 2010 hatten Polizeibeamte das Mitglied der Gruppe Lámbros Foúndas erschossen und in der Folge im April 2010, sechs der Angeklagten, die AnarchistInnen Nikos Maziótis, Kostas Gournás, Póla Roúpa, Sarántos Nikitópoulos, Christóforos Kortésis und Vangélis Stathópoulos festgenommen. Maria Beracha erhielt Haftverschonung, der als mutmaßliches Mitglied gesuchte Kostas Katsénas stellte sich kurz vor dem Prozeßbeginn.
Erstmalig trat der Revolutionäre Kampf im September 2003 mit einem Bombenanschlag auf das Gerichtsgebäude in Athen in Aktion. Internationale Beachtung erlangte die Organisation, als sie 2006 mit einem Raketenwerfer die US-Botschaft im Zentrum von Athen angriff.
Nach der Ermordung des 15jährigen Aléxandros Grigorópoulos am 6. Dezember 2008 durch die Polizei, schossen Mitglieder der Organisation im Januar 2009 mit einer Kalaschnikow auf Polizisten und verletzten einen Beamten schwer.
In ihren Texten wird der Aufbau einer ausbeutungsfreien Gesellschaft als Ziel benannt und dem bewaffneten Kampf eine Schlüsselrolle für den Sturz des herrschenden Systems zugewiesen.
Nach 52 Verhandlungstagen wurden Maziótis, Roúpa und Gournás, die die politische Verantwortung für die Organisation übernommen hatten, der „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ und ohne jeden Beweis, der Beteiligung an all ihren Anschlägen schuldig gesprochen und zu je 50 Jahren Gefängnis verurteilt.
Maziótis und seine Lebensgefährtin Roúpa haben sich dem Zugriff der Behörden entzogen und sind seit vergangenem Sommer abgetaucht.
Stathópoulos und Kortésis erhielten sieben Jahre und sechs Monate beziehungsweise sieben Jahre Gefängnis für die „Bildung einer terroristischen Vereinigung“. Die übrigen drei Angeklagten, Nikitópoulos, Katsénas und Gournás Partnerin Beracha wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Alle fünf hatten eine Mitgliedschaft im Revolutionären Kampf verneint. Die Verurteilten haben Berufung gegen die Entscheidung eingelegt.
Knastkämpfe und Hungerstreik inhaftierter MigrantInnen
„Die täglichen Festnahmen und brutale Behandlung „undokumentierter“ MigrantInnen, im Rahmen des griechischen Polizeimassenpogroms unter dem einladenden Namen „Xenios Zeus“ – welches Schläge, Erniedrigungen und Folter in Polizeibussen, in den Kerkern der Polizeistationen und den berüchtigten Internierungslagern beinhaltet – sind ein integraler Bestandteil des modernen Totalitarismus, der Armut und sozialen Kannibalismus auferlegt (…)“ (www.contrainfo.net)
Seit Monaten sind Tausende MigrantInnen inhaftiert und in den Polizeikerkern buchstäblich gestapelt. Sie bleiben monatelang inhaftiert und leiden unter den fürchterlichen Haftbedingungen wie dem Mangel an sanitären Anlagen, nahrhaftem Essen und Hofgang.
Gleichzeitig sind sie mit der brutalen, menschenfeindlichen und rassistischen Behandlung durch die Polizeibeamten konfrontiert. Ihr vorübergehender Gewahrsam wird alle drei Monate ohne jegliche formelle Begründung verlängert, weil sie keine Aufenthaltspapiere haben.
Seit Anfang 2013 kommt es deshalb immer wieder zu Knastrevolten und Hungerstreiks. So sind seit dem 13. März insgesamt 70 MigrantInnen im berüchtigten Polizeirevier von Drapetzóna in Piräus im Hungerstreik. Mehrere Hungerstreikende wurden inzwischen in andere Reviere verlegt.
Solidarität mit Indymedia Athen
Seit dem 11. April 2013 sind Indymedia Athen und der freie, subversive Radiosender 98FM staatlicher Repression und Zensur ausgesetzt.
Nach jahrelanger Hetze und starkem politischen Druck, kappte der Rektor des Athener Polytechnikums Simos Simópoulos ihre Internetverbindung, indem er den Zugang zu dem im Unigebäude untergebrachten Server abschaltete.
Für die Tage vom 15. bis 21. April wurde zu landesweiten und internationalen Solidaritätsaktionen aufgerufen.
Am 15. April besetzten Protestierende die Verwaltungsgebäude auf dem Campus und sendeten über die Internetverbindung der Verwaltung.
Als Antwort auf diese direkte Aktion wurde der Internetzugang des gesamten Campus des Polytechnikums gekappt.
Der Internetprovider des Polytechnikums ist die Telekommunikationsorganisation OTE, die der Deutschen Telekom (90 %) und dem griechischen Staat (10%) gehört. Indymedia Athen berichtet seit Längerem von ständigen Drohungen und außergerichtlichen Abmahnungen durch die OTE.
Bereits im Jahre 2009 drohte die Telekomtochter Indymedia Athen und dem damals noch existierenden Indymedia Pátras damit, sie vom Netz zu nehmen. Den Unis beider Städte sollten die Telefonverbindungen gekappt werden, wenn sie nicht innerhalb weniger Tage die Portale von Indymedia schlössen.
Der ebenfalls staatliche Netzwerkbetreiber lehnte die Maßnahme mit der Begründung ab, dass Zensur von Inhalten nicht in seinem Zuständigkeitsbereich läge.
Aktuell ist die Zensurmaßnahme leider erfolgreich, es muss auf das stark beschnittene, alternative Angebot http://indymedia.squat.gr/ zurückgegriffen werden.