Der erste Charterflug mit 107 von 5.000 syrischen Flüchtlingen, deren Aufnahme im März 2013 verkündigt wurde, ist vor wenigen Tagen in Hannover gelandet. Angesichts der über 2 Millionen Menschen, die aus Syrien in die Nachbarstaaten geflohen sind und der vielen Flüchtlinge, die vor Europa auf verschlossene Grenzen stoßen, ist das deutsche Aufnahmeprogramm bescheiden. PRO ASYL fordert eine Öffnung der Grenzen für syrische Flüchtlinge.
Um die Verhältnisse deutlich zu machen: 5.000 ist die Größenordnung, in der die Menschen derzeit täglich aus Syrien fliehen. Nach UN-Angaben sind insgesamt mehr als zwei Millionen Menschen geflohen, über vier Millionen innerhalb Syriens vertrieben. Mehr als 97% der Flüchtlinge haben Zuflucht in den Nachbarsstaaten gefunden. Doch dort wird die Situation immer prekärer. Konflikte um Ressourcen drohen zu eskalieren. Kinder, die die Hälfte der Flüchtlinge ausmachen, drohen neben traumatischen Gewalterfahrungen nun auch noch Opfer von Menschenhandel, Kinderarbeit und sexueller Ausbeutung zu werden.
Grenzen öffnen – Menschenrechte einhalten!
Die europäischen Staaten sollten, wie UN-Flüchtlingskommissar António Guterres fordert, unbegrenzt syrische Flüchtlinge aufnehmen. Ein großzügiges europäisches Aufnahmeprogramm, das Flüchtlinge evakuiert und sie menschenwürdig aufnimmt, muss jetzt aufgelegt werden. Zur Erinnerung: Im Kosovokrieg 1999 haben die EU-Staaten in einer konzertierten Aktion 90.000 Flüchtlinge aufgenommen. Während des Bosnien-Kriegs fanden allein in Deutschland knapp 330.000 Menschen Zuflucht, weil die Einreisebedingungen vergleichsweise großzügig gestaltet waren. Aber Europa hat im dritten Kriegsjahr in Syrien nicht mal einen Plan A, geschweige denn einen Plan B, sondern sitzt diese humanitäre Katastrophe aus, die sich unmittelbar vor ihrer Grenze abspielt. Es sind nur einige Kilometer von Zypern bis zur syrischen Küste. Diese Untätigkeit ist zutiefst beschämend.
Die EU ist zwar bereit, humanitäre Hilfe vor Ort zu gewährleisten und appelliert ständig an Syriens Nachbarstaaten: Haltet eure Grenzen auf, eröffnet den syrischen Flüchtlingen einen Fluchtweg. Aber zugleich hat die EU gigantische Summen investiert, um die europäische Außengrenze gegenüber Schutzsuchenden zu verschließen. Europa lässt die syrischen Flüchtlinge im Stich. Schutzsuchende aus dem Bürgerkriegsland sterben in der Ägäis und im Mittelmeer oder sie werden in lebensgefährdender Weise von der griechischen Küstenwache wieder in türkische Gewässer zurückgedrängt.
Dies ist ein glatter Völkerrechtsbruch. Für diese schweren Menschenrechtsverletzungen trägt Europa die Mitverantwortung.
Der Staatenverbund finanziert diese menschenverachtende Politik Griechenlands und schweigt zu den täglichen Zurückweisungen. Ein europäisches Rettungsprogramm für syrische Flüchtlinge muss einhergehen mit einer Politik der Einhaltung der Menschenrechte an den EU-Außengrenzen. Anstatt Flüchtlinge menschenrechtswidrig abzuwehren, muss Europa endlich seine Grenzen öffnen.
Deutschland muss mehr tun
Das bislang beschlossene deutsche Kontingent von 5.000 ist beschämend gering. Die Bundesregierung muss die Initiative für ein großzügiges, gemeinsames EU-Aufnahmeprogramm ergreifen und das deutsche Kontingent deutlich zu erhöhen.
Beendet werden muss auch die unwürdige Praxis der Nichtzuständigkeitserklärungen für Asylsuchende im Dublin-System. Wenn syrische Flüchtlinge Verwandte oder Bekannte in einem bestimmten EU-Staat haben, sollen sie dorthin weiterreisen und dort Schutz finden. Bislang sitzen zahlreiche syrische Flüchtlinge – auch solche mit Anknüpfungspunkten nach Deutschland – oft unter katastrophalen Bedingungen in EU-Randstaaten wie Griechenland fest.
Von wegen „unbürokratische Hilfe“
In Deutschland leben rund 40.000 syrische Staatsangehörige mit Aufenthaltserlaubnis. Viele von Ihnen versuchen händeringend Angehörige aus der Krisenregion zu sich zu holen. Doch der Familiennachzug scheitert in vielen Fällen an hohen bürokratischen Hürden.
Bislang haben zwar die meisten Bundesländer Aufnahmeanordnungen erlassen oder angekündigt, nach denen Angehörige hier lebender Syrerinnen und Syrer unter bestimmten Bedingungen ein Visum für Deutschland erhalten. Als Hürde könnte sich jedoch schon allein der Zugang zum Visumverfahren bei den deutschen Botschaften erweisen, die in der Vergangenheit häufig auf Monate hinaus keine Termine mehr frei hatten. Zudem hat Baden-Württemberg die Zahl der aufzunehmenden Personen von vornherein auf magere 500 begrenzt und das bevölkerungsreiche Nordrhein-Westfalen sogar nur auf 1.000. Dort leben 12.700 syrische Staatsangehörige. Bayern äußert sich noch zurückhaltender und spricht explizit von „Einzelfällen“.
Der Schutz von Angehörigen darf nicht am Geldbeutel scheitern
Der Wortlaut der bislang beschlossenen Aufnahmeanordnungen der Länder lässt befürchten, dass es sich ohnehin nur wohlhabende Familien leisten könnten, Angehörige nach Deutschland zu holen. Grund dafür ist die obligatorisch verlangte Verpflichtungserklärung.
Ein Beispiel: Welche Familie kann auf unbestimmte Zeit monatlich 1.300 Euro Unterhalt, davon allein 680 Euro Kranken- und Pflegeversicherungsschutz, für die beiden Großeltern zahlen? Dabei sind Kosten für eine zusätzliche Unterkunft noch nicht einmal eingerechnet. Als einziges Bundesland hat Niedersachsen niedrigere Maßstäbe an das verfügbare Einkommen angelegt. Für viele dürfte es dennoch nur schwer möglich sein, mit dem Familiennettogehalt auch nur die Pfändungsfreigrenze zu überschreiten.
Bund und Länder sind gefordert, die Regelungen praktikabel zu machen. Insbesondere muss der Krankenversicherungsschutz der Angehörigen über eine pauschale Regelung sichergestellt werden. Die Anforderungen an den materiellen Beitrag der hier lebenden Familienteile muss abgesenkt und zeitlich befristet werden. Auch darf der Nachweis einer nahen Verwandtschaft die Betroffenen nicht vor unnötige bürokratische Probleme stellen. Werden diese bürokratischen Hürden nicht abgebaut, werden weiterhin zahlreiche in Deutschland lebende Syrerinnen und Syrer ihre Angehörigen nicht aus dem Krisengebiet zu sich holen können.
Schutzsuchenden das Recht auf Familiennachzug gewähren
Seit Beginn des Krieges 2011 haben etwas über 15.000 syrische Flüchtlinge, die sich auf eigene Faust nach Deutschland durchgeschlagen haben, hierzulande Asyl beantragt. Zwar erhalten fast alle von ihnen, bei denen Deutschland seine Zuständigkeit anerkennt, einen Schutzstatus, doch 80 Prozent von Ihnen erhalten nur einen Aufenthaltstitel als subsidiäre Schutzberechtigte. Damit stehen die Betroffenen – im Unterschied zu nach der Genfer Konvention anerkannten Flüchtlingen – beim Familiennachzug vor hohen Hürden: In der Praxis wird es für die Betroffenen sehr schwer, ihre Familien zu sich zu holen.
Schweden hat es bereits vorgemacht und spricht rund 8.000 syrischen Staatsbürgerinnen und -bürgern, die bislang nur ein befristetes Aufenthaltsrecht hatten, und allen künftig ankommenden syrischen Asylsuchenden einen dauerhaften Status mit dem Recht auf Familiennachzug zu. Deutschland sollte diesem Beispiel folgen.
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