Es gibt Themen, die aus einer emanzipatorischen Perspektive eigentlich unbedingt bearbeitet werden müssten. Immer öfter kann mensch sich aber nur noch über die Unfähigkeit einer emanzipatorischen Bewegung wundern, solche Themen aufzugreifen um anhand ihrer eine Gesellschaftskritik zu verdeutlichen. Der sogenannte "Skandal" um die staatliche Unterstützung des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) war ein solches Thema. Auch zu der Offenlegung der Bespitzelungen durch NSA und Co ist einer antagonistischen Linken nicht viel eingefallen, von bewegungsaufbauenden Tendenzen einmal ganz zu schweigen. Langanhaltender ist dieses Dilemma beim menschengemachten Klimawandel. Da ist der globale Kapitalismus drauf und dran, die kompletten Lebensgrundlagen auf diesem Planeten zu zerstören und eine kapitalismuskritische Bewegung interessiert es über Jahre hinweg keinen Deut.
Auch die Klima- und Energiekämpfe im Sommer 2013 haben nicht eine durchschlagende Bewegung hervorbringen können, wie sie der Problematik der systemischen Weltvernichtung angemessen wäre. Aber es wurde ein Anfang gemacht, durch den eine Bewegung denkbar wird, die eine autoritäre und wertbasierte Gesellschaftsform aus einem einfachen Grund in Frage stellt: auch in Zukunft noch einen bewohnbaren Planeten haben zu wollen.
Es wurden Ansatzpunkte auf den Camps und Fahrradtouren diesen Sommer aufgezeigt, die ausbaufähig sind. Im folgenden Jahr wird sich zeigen müssen ob eine Bewegung der emanzipatorischen Ökologie noch genügend Konstitution aufweisen kann um die mühsame Vorarbeit, die geleistet wurde, in eine Klimabewegung verwandeln zu können, die diesen Namen verdient.
Rückblick: Klima- und Energiekämpfe im Sommer 2013
Mit dem Ziel, die Kämpfe in die Fläche zu tragen, thematisch zu verbreitern und einer gegenseitigen Ausspielung verschiedener Energiekämpfe von interessierter Seite entgegenzuwirken, fanden zwei Fahrradtouren unter dem Namen „Reclaim Power Tour“ statt.
Tatsächlich gelang es auf den Touren in intensiven Kontakt mit Menschen, die lokale Energiekämpfe führen, und in den gegenseitigen Dialog über Perspektiven zu kommen. Jetzt wird es darauf ankommen einen Rahmen zu finden, in dem der Austausch weitergeführt werden und über Perspektiven gegenseitiger Unterstützung nachgedacht werden kann.
Klimacamp
Das Klimacamp im Rheinland, in dem die beiden Fahrradtouren mit einer gemeinsamen Critical Mass endeten, stellte den Höhepunkt der Kämpfe diesen Sommer dar.
Etwa 500 Klimaaktivist_innen aus aller Welt tauschten sich über Klima- und Widerstandsfragen aus, bildeten sich weiter und vernetzten sich. Auf dem darauf anschließenden „Reclaim the Fields“ Camp taten 200 Landwirtschaftsaktivist_innen das Gleiche zu Fragen der selbstbestimmten und ökologischen Landwirtschaft.
An dem Wochenende, an dem die beiden Camps sich überschnitten, fanden Aktionstage statt auf denen über 200 Aktivist_innen die Hambach-Kohlebahn mit einer Sitzblockade still legten, auf denen mehrere Hundert Menschen eine Wiese im Umsiedlungsort Manheim (im Rheinland) zu einem Gemeinschaftsgarten umwandelten, mehrere Häuser gegen den Abriss durch den Tagbau besetzt wurden, die Landeszentrale der Grünen in NRW genauso besetzt wurde wie ein RWE-Kundenzentrum in Düren.
Hambacher Forst wieder besetzt
Auch der Hambacher Forst wurde wieder besetzt, von Aktivist_innen, die in den Kronen des alten Waldes ihr Quartier auf Plattformen aufschlugen. Nicht nur im Rheinischen Braunkohlerevier gab es ein Klimacamp, sondern auch in den anderen beiden großen deutschen Braunkohlerevieren, in der Lausitz und im „Mitteldeutschen Revier“.
Dynamik
Einen Fortschritt im Vergleich zu den letzten Jahren gab es innerhalb der Bewegung in Sachen Dynamik. An den verschiedensten Stellen übernahmen unterschiedliche Gruppen die Initiative.
Durch das Ineinanderfließen der verschiedenen Projekte und Aktionen konnten die Energiekämpfe am Ende einiges in Bewegung setzen. Diese Tendenz fortzusetzen würde beim Aufbau einer Klimabewegung helfen -Viele lokale radikale Klima- und Energiegruppen, die mit eigener Initiative eine größere Bewegung formen, die mehr kann als temporäre Konsumveranstaltungen!
Energie- und Klimakämpfe
Die Verbindung von Energiekämpfen mit Klimakämpfen hat aus verschiedenen Gründen noch mehr Potential als dieses Jahr ausgeschöpft werden konnte: Die Energieerzeugung für die kapitalistische Produktion ist zentrales Element in der Verursachung der Klimaerwärmung. Die herrschende Energieversorgung produziert lokal zahlreiche Konfliktorte, an denen der Antagonismus zwischen warenproduzierender Ökonomie und Bedürfnisbefriedigung im Kleinen sichtbar wird, während dieser Antagonismus gleichzeitig auf einer höheren Ebene thematisiert werden kann über die Frage, wofür Energie überhaupt produziert wird.
Das „Gemeinwohl“, für das die Unmengen an Energie scheinbar produziert werden müssen, und für das die Einzelne eben Opfer bringen muss, kann schön dekonstruiert werden, wenn konkret aufgezeigt wird, wohin die Energie fließt. Bei der Energieproduktion im Rheinland ist das zum Beispiel zum großen Teil die Waffenproduktion an Rhein und Ruhr.
Prognosen
Wenn im Herbst 2013 der IPCC seinen fünften Sachstandsbericht zu den Prognosen über den Klimawandel veröffentlichen wird, dann ist davon auszugehen, dass dadurch ein diskursives Fenster für Klimafragen geöffnet wird, wie es 2006 nach dem vierten Sachstandsbericht das letzte Mal der Fall war. Wie sollte eine Klimabewegung sich diese Situation zu Nutze machen?
Wenn die radikale Linke das oben beschriebene Problem hat, überhaupt nicht mehr auf aktuelle Ereignisse reagieren zu können, dann hat die kampagnenorientierte Linke das Problem keine Referenzpunkte außerhalb des etablierten Politikzirkus mehr zu haben. Durch die realen Widerstandsorte im Hambacher Forst oder in der Lausitz wurden Alternativen aufgebaut, die als Bezugspunkte für Kampagnen einer spektrenübergreifenden Klimabewegung genutzt werden könnten. Wenn dabei nicht die Reputation einzelner NGOs im Vordergrund steht, sondern das Zusammenbringen verschiedener Ressourcen, dann steht dem Aufbau einer horizontalen, schlagkräftigen Klimabewegung vielleicht nichts mehr im Wege.
Nach dem Klimacamp und der Wiederbesetzung des Hambacher Forstes schrieb die taz: „Nun gibt es etwas Neues, einen Ort, der spätestens seit dieser Woche einen festen Platz auf der Landkarte der sozialen Bewegungen verdient hat: Der Hambacher Forst. Klimaaktivisten aus ganz Deutschland stellten unter Beweis, dass da viel mehr ist als ein Wäldchen am Horizont des Ruhrgebiets.“
Dem muss nichts hinzugefügt werden – außer, dass die AktivistInnen nicht ausschließlich aus Deutschland kamen. Das Resümee der taz allerdings – „Protestforscher, übernehmen Sie“ – soll an dieser Stelle ersetzt werden durch ein anderes: „Breite Bewegung, in der viele Bewegungen Platz haben: Bitte weiter führen!“