Am 19.10.2013 demonstrierten über 500 Menschen unter dem Motto „Abschiebung tötet“ gegen das Abschiebegefängnis in Büren. Mit einer durchschnittlichen Belegungszahl von über 100 Menschen ist es mit Abstand Deutschlands größtes Abschiebegefängnis. Über 50 % der im Bundesgebiet inhaftierten Frauen sitzen allein in der JVA Büren.
Anwälte, die sich auf den Bereich Abschiebehaft spezialisiert haben und Hilfsorganisationen wie der Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V. kritisieren seit langen, dass Abschiebehaft von den Gerichten viel zu oberflächig bearbeitet wird. So können Ausländerbehörden Haftanträge stellen, die nicht rechtmäßig sind und die Gerichte inhaftieren dennoch. Zwischenzeitlich wird davon ausgegangen, dass mindestens die Hälfte, einige sprechen sogar von ¾ der Menschen in Abschiebehaft unrechtmäßig inhaftiert sind.
Schaut man sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof (BGH) an, so scheint sich dieses zu bestätigen. Der BGH hat sich zwischenzeitlich mit vielen Fragen der Abschiebehaft befasst, was oft zugunsten der Inhaftierten ausging. Was aber besonders auffällt: Auch nachdem eine Sache höchstrichterlich entschieden wurde, sind die vorgeschalteten Gerichte nicht bereit, sich dieser Rechtsprechung anzuschließen. So hat der BGH sich z.B. viele Male mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Haftantrag der Ausländerbehörde dem Betroffenen ausgehändigt werden muss und ob dieser zu übersetzen ist. Dieses ist klar der Fall, da nur so eine Chance für eine Verteidigung besteht. Zumindest einige Gerichte in NRW kümmert dies wenig. Das Amtsgericht Detmold hat z.B. am 11. Juli 2013 Abschiebehaft angeordnet, ohne den Haftantrag dem Betroffenen auszuhändigen. Es hätte auch wenig gebracht, denn einen Dolmetscher zu bestellen, hatte das Gericht vergessen.
Nicht selten mangelt es den Haftbeschlüssen an einer Begründung. So schreibt das Amtsgericht Köln oft nur einen Standartsatz, der bei allen Beschlüssen gleich ist oder das Amtsgericht Bielefeld schreibt die Begründung der Ausländerbehörde eins zu eins ab, ohne sich selber überhaupt Gedanken zu machen. In beiden Fällen erklärte der BGH die Haft für unzulässig. Dass sich der Richter überhaupt keine Gedanken gemacht hätte, sei z.B. im Bielefelder Fall allein daran zu erkennen, dass der Richter die „Ich“-Form aus dem Haftantrag der Ausländerbehörde beim Abschreiben in seinem Beschluss übernommen hätte.
Dieses sind Indizien dafür, dass es eine sehr hohe Anzahl von zu Unrecht inhaftierten Menschen in der Abschiebehaft gibt. Wie hoch die Quote jedoch wirklich liegt, lässt sich nur Ermitteln, wenn die Inhaftierten qualifiziert rechtlich beraten und vertreten würden. Doch längst nicht alle Inhaftierten haben einen Anwalt und nicht jeder Anwalt ist qualifiziert genug, Verfahren im Bereich der Abschiebehaft zu führen.
Die Chancen für einen Rechtsanwalt, ein Verfahren zu gewinnen, sind hoch. Und gewinnt er, muss die Ausländerbehörde seine Kosten bezahlen, also ein sicherer Kostenschuldner. Dennoch: Es gibt kaum Anwälte, welche Abschiebehäftlinge beraten. Dieses liegt letztendlich auch an den Gebühren. Ein Anwalt kann für ein Abschiebehaftverfahren eine Höchstgebühr von 400 Euro abrechnen. Diese Höchstgebühr bekommt er aber nur, wenn das Verfahren sehr kompliziert ist. Der Regelsatz beträgt 215 Euro. Dafür muss er nicht selten über 10 Schriftsätze anfertigen und sich fundiert in die sehr spezielle Rechtsmaterie einarbeiten. Es lohnt sich daher kaum für einen Anwalt, MandantInnen in Abschiebehaft zu beraten.
Abschiebehaft ist daher bereits nach geltendem Recht und Gesetz so häufig rechtswidrig, so dass eigentlich nur die sofortige Schließung in Frage kommt. Ein Staat, der ein Gefängnis betreibt, in der mehr als die Hälfte unrechtmäßig inhaftiert sind, darf sich ansonsten nicht „Rechtsstaat“ nennen.
Dieses ist sicherlich nur einer von vielen anderen Gründen, warum die DemonstrantInnen Recht hatten, als sie die sofortige Schließung aller Abschiebegefängnisse gefordert haben.
Frank Gockel
(Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.)
Kontakt: Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V., Remminghauser Str. 47, 32760 Detmold, Tel.: 0700 – 22 997711, Fax: 05231 – 601085, Gockel@gegenAbschiebehaft.de
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