concert for anarchy

Die total verrückten Crazyboys sind zurück!

| Torsten Bewernitz

Anarchist Academy: No World Order. DoLP / CD / 2013. AA Records (CD: 11,45 Euro + Porto)/ Dedicated (Vinyl: 10,- Euro + Porto) / Das Label mit dem Hund (MC: 8,- Euro + Porto). Spielzeit: 56 Minuten.

Dem Punk-Label „Aggressive Rock Produktionen“ verdanken wir unter anderem Slime.

Vor 20 Jahren, 1993, kam es wohl zu dem Schluss, dass die Zeit des Punk vorbei war und veröffentlichte als dritten Teil der Sampler-Reihe „Soundtracks zum Untergang“ eine Deutschrap-Compilation unter dem Titel „Soundtrax zum Untergang 9III“ – meine erste HipHop-Platte.

Die einzige Band, die auf diesem Sampler den altgestandenen Punks vielleicht was sagte, waren Die Goldenen Zitronen, die mit einem Remix des bis heute leider immer noch brandaktuellen „80.000.000 Hooligans“ vertreten waren.

Von den anderen vertretenen Bands sind heute eigentlich nur noch zwei bekannt, neben Too Strong eben Anarchist Academy – oder kurz: Doppel-A (AA).

Der Samplerbeitrag von Too Strong, der Antifa-Song „Rabenschwarze Nacht“ wurde später im Remix — mit dem imperialen Marsch aus Star Wars unterlegt – zum Clubhit.

Die Samplerreihe kehrte danach zum alten Deutschpunk-Format zurück, es erschien aber nur noch ein vierter Teil. Denn was die Polit-Possé betrifft, hatte das Label vielleicht Recht (1) – die Zeit des Deutschpunk war großenteils vorbei. Deutschsprachiger HipHop strebte auf, und er war recht eindeutig mit linken Inhalten besetzt.

Ähnliche Themen und ähnliche Texte sind dabei nur die Spitze des Eisbergs, HipHop und Punk eint auch ein ähnlicher Musik-Ethos, in dem die Songs commons sind (2) und in dem möglichst viel der Do it yourself-Idee umgesetzt wird – wie übrigens auch die neue AA-Platte. Der aufkommende deutschsprachige HipHop hatte zusätzlich den Vorteil, in der Zeit der „grüngroßdeutschen“ (O-Ton AA) Brandanschläge auf Flüchtlingsheime und zunehmendem institutionalisierten Rassismus weniger exklusiv weiß, männlich und mitteleuropäisch zu sein. Zu den Pionier*innen gehörten neben den genannten z.B. Advanced Chemistry, Fresh Familee und Cora E. (quasi der zeitgenössischen Sookee).

AA stechen aus dieser ersten Generation noch mal raus. Und zwar deswegen, weil der Vergleich des ZAP-Magazins als „Slime des Rap“ es doch ziemlich genau trifft, auch wenn sich die Band selber im Presseinfo zur neuen Platte „No World Order“ „missverständlich etikettiert“ sieht: Wie Slime basiert der Ruhm von AA auf genanntem Sampler, wie Slime stehen sie erst mal für einen zeitgenössischen Verbalradikalismus – was Slime etwa „Bullenschweine“ oder „Deutschland muss sterben“ sind, ist AA „Knall sie ab“ und „How to kill the racist“ – wir hören hier natürlich den damaligen Erfolg von Rage Against the Machines‘ „Bullet in your Head“ und Bodycounts „Copkiller“ durch, auch deswegen, weil auf dem 1992er Demotape und dem 1993er Vinyl-Erstling von AA „Am Rande des Abgrunds“ noch eine Rockband in klassischer G/B/D-Besetzung mehr mitrumpelt als mitrockt. Während frühe Slime-Platten mit Zensur-Piepsern verunstaltet sind, kämpfen AA bereits im Gründungsjahr 1992 mit einem Auftrittsverbot in ihrer Heimatstadt Lüdenscheid – retrospektiv erklären AA augenzwinkernd, das habe der Karriere genutzt und Lüdenscheid den Ruf einer Kultur-Metropole eingebracht.

Und wie Slime sich später auf „Viva la Muerte“ (1992) und „Schweineherbst“ (1993) sowohl musikalisch als auch vor allem textlich zu einer reflektierten Band mausern, so ist das entsprechende Meisterwerk von AA definitiv der dritte Longplayer „Rappelkistenkids“ (1998) mit zahlreichen Anspielungen und Samples von Franz Joseph Degenhardt, kulturellen Anspielungen auf die legendären Ratz und Rübe aus der „Rappelkiste“ und der – ebenfalls parallelen – erhaltenen, nun aber wohl dosierten Restmilitanz (Slime: „Ich war dabei“, AA: „5. Terroristengeneration“).

An Engagement mangelte es AA nicht

Mitglieder der Band zeichneten sich verantwortlich für das HipHop/Grafitti/Polit-Fanzine „Anarchist to the Front“ (ATTF) (3), Hannes Loh ist u.a. Co-Autor von „Fear of a Kanak Planet“ (2002), das aus dem Kanak Attack-Umfeld stammt und antirassistische Aspekte des HipHop bzw. auch Rassismus im HipHop behandelt. (4)

Jahrzehnt der Kollaborationen

Das ist nun alles lange her und seit 1998 bereits ist es um die Band eher still geworden (über das 1999er Album „Featuring…“ sollte man m.E. lieber den Mantel des Schweigens legen …). Einzelmusiker von AA waren zwischenzeitlich immer mal wieder als Gastmusiker auf anderen HipHop-Platten zu hören, etwa bei Chaoze One (siehe GWR 330/2008).

Aber deutschsprachiger HipHop hat sich verändert: Wo einst das Punk-Label Aggressive Rock Produktionen einen Grundstein setzte, sitzt nun ein Label namens „Aggro Berlin“ im gemachten Nest mit Musikern wie Sido, Bushido oder Fler. Die antirassistische, linke Attitüde wurde vertauscht mit Sexismus, Gangsta- und Battle-Style und vereinzelt, wie im Falle Fler („Neue Deutsche Welle 2005“) mindestens mit Hurra-Patriotismus.

Insbesondere AA-Mitbegründer Hannes Loh hat diese Entwicklung frühzeitig erkannt und immer wieder kritisiert. Die um mindestens eine Dekade jüngere Generation kann mit dem Anspruch der frühen 1990er allerdings nicht mehr viel anfangen. Ein von der Süddeutschen Zeitung moderiertes Streitgespräch zwischen Bushido, Murat Güngör (Kanak Attack) und Hannes Loh endet mit der Frage des nun als Lehrer tätigen an Bushido: „Meine Schüler fragen, ob Du ihnen ein Autogramm gibst. Die haben mir extra all diese CDs hier mitgegeben.“ (5)

Das klingt nach Scheitern, Aufhören, das Feld anderen überlassen. Die Kollaborationen zeigen: Das haben AA nie getan. Die politischen Inhalte und die Kritik am neuen deutschen Mainstream-HipHop führen zu Lästereien und dem szeneüblichen „Dissen“. Auf Kool Savas‘ „Das Urteil“ antworten AA erstmals wieder kollektiv 2005 mit dem musikalisch überaus gelungenen Download-Track „Die total verrückten Crazy-Boys schlagen zurück“. (6)

Wie zu erwarten, führt das bei der jüngeren Generation leider nicht zu Begeisterungsstürmen, denn der Old School-Sound der selbstbetitelten „Ü30-Rapper“ sagt ihr nichts mehr. Das, wie oft in Online-Kommentaren gepostet, der „Flow“ fehlen würde, so steht zu befürchten, würden die Hörer*innen von Bushido, Sido und Konsorten wahrscheinlich auch Run DMC, Public Enemy, den Beastie Boys und N.W.A. vorwerfen.

Ebenfalls 2005 folgt die große Kollaboration unter dem Namen Rhyme Guerilla mit dem fast 10minütigen Track „Fight the Power“ im Rahmen einer Antifa-Öffentlichkeitsoffensive. (7)

Ein Überraschungserfolg und seitdem auf fast jeder linken Party angespielt ist die 2009er Kollaboration La Resistance, an der insgesamt elf linke Rapper*innen beteiligt sind und deren gleichnamiges Album musikalisch auch langfristig ein Highlight des linken deutschsprachigen HipHop ist.

No World Order

In der zweiten Hälfte der 2000er Jahre nehmen die musikalischen Aktivitäten von AA also wieder zu. 2010 treten AA auf der ersten Libertären Medienmesse (Limesse) in Oberhausen auf – 17 Jahre nach ersten Hörproben sehe ich die Band erstmals.

Gleichzeitig kündigen die Jungs ein neues Album an, das im Juli 2013 unter dem Titel „No World Order“ erschienen und via Homepage der Band zu bestellen ist. (8) Vorab gab es einige Tracks auf der Download-EP „Jetset-Paranoia“ zu hören. (9)

Zum Glück, muss ich sagen, ist die Download-EP kein „Vorgeschmack auf den neuen Sound“ für das Full Length-Album, wie es die Presseinfo mitteilt. „Jetset Paranoia“ dümpelt eher vor sich hin, die sehr langsame Neuinterpretation von „Die Ruhe vor dem Sturm“ stinkt hinter dem 1998er Original von „Rappelkistenkids“ völlig ab und „Brainwash & Mindstorm“ kommt in der Fassung auf „No World Order“ um einiges powervoller rüber und ist sogar einer der besten Tracks des Albums. Die anderen beiden EP-Tracks „Wer ist wieder da?“ und „Flächenbrand“ haben – m.E. völlig zu Recht – den Sprung auf die gepresste Scheibe nicht geschafft.

Von daher: Nichts neuer Sound – zum Glück. „No World Order“ schließt da an, wo 1998 „Rappelkistenkids“ aufhört, auch wenn die neue Platte das ungeschlagene Niveau des Klassikers nicht erreicht. Aber das muss nicht weiter stören, denn ein solcher Geniestreich gelingt den wenigsten Bands mehr als einmal. Und hinter anderen aktuellen Veröffentlichungen aus dem Bereich des linken HipHop muss sich die neue AA-Scheibe nun wahrlich nicht verstecken, weder hinter Acts wie Schlagzeiln noch vor „Stars“ wie Deichkind. Zu den Kontinuitäten, die wir auf „No World Order“ finden, gehört etwa die musikalische Neuinterpretation lyrischer Klassiker: Schon auf dem Zweitling „Anarchophobia“ (1994) ist neben einer getragenen Lesung von Paul Celans „Todesfuge“ (noch eine Parallele zu Slime übrigens, die sich dem Thema 1993 mit dem Song „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ annahmen!) eine Interpretation des Brechtschen „Lob der Dialektik“ zu hören, diesmal wurde Brechts Klassiker „An die Nachgeborenen“ vertont – die drei Abschnitte, in die Brecht das Gedicht schon einteilte, sind dabei eigenständige, musikalisch recht verschiedene Tracks, die über das Album verstreut sind.

Neu, und dabei auch ansprechend, sind die englischen Gesangseinlagen („ES“), teilweise soulig („Deep in my Heart“ mit Chaoze One), was zwar nicht mein Fall ist, aber momentan im HipHop offenbar dazugehört. Dazwischen aber immer wieder vergleichsweise „harte“ Knaller wie „Rocketman“ oder der stilsicher als Video-Single ausgewählte Track „Weltweit“: Der Song hat alles, was man von einem klassischen HipHop-Song der anarchistischen Schule erwartet: Einen entsprechenden Text, Selbstzitate aus eigenen Klassikern („Es ist die Systematik“), Tempiwechsel, die den Song teilweise klingen lassen wie seinerzeit Markus Wiebusch, wenn er mit … But Alive eine Rap-Einlage wagte und Wortfetzen, die prima Spaltungsdiskussionen in linken Gruppen hervorrufen können.

„Weltweit“ verströmt ein ähnliches revolutionäres Pathos (und das braucht man heutzutage) wie vor kurzem Kronstadt (Barcelona), Daisy Chain (Thessaloniki) und Refpolk (Berlin) mit ihrem spanisch-griechisch-deutschen Krisen-Hit „The Future is still unwritten“. (10)

Schade nur, dass AA gleichzeitig mit ihrem „Comeback“ („Don’t call it a comeback, we’ve been here for years…“ hieß es 2010 noch) auch gleich den Abschied verkünden – zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser GWR ist die „Abschiedstour“ schon gelaufen. Deswegen wohl auch die textliche Retrosepktive auf den musikalischen Werdegang im vorletzten Song „Innenseite vonne Mettwurst (vegan)“…

Zum Glück ist die Academy tatsächlich eine Academy gewesen und hat genügend Schüler*innen ausgebildet, von denen ich einige bereits benannt habe – der Geist der Silo-Nation lebt noch!

(1) Die damalige Aufbruchstimmung im deutschsprachigen HipHop hat Cora E. 1993 in der arranca! dokumentiert: http://arranca.org/ausgabe/2/rapper-reden-lieber-ueber-leben

(2) Die verschärften Urheberrechtsdebatten sind für den HipHop durchaus ein Problem, denn er lebt ja von Samples und Zitaten. Einige Platten der 1980er wären heute nicht mehr finanzierbar wegen den Tantiemenzahlungen für Samples. Das hat den Charakter des HipHop wesentlich verändert.

(3) Vgl. Drücke, Bernd: Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht? Anarchismus und libertäre Presse in Ost- und Westdeutschland. Ulm 1998, S. 479ff.

(4) Güngör, Murat und Hannes Loh: Fear of a Kanak Planet. Hiphop zwischen Weltkultur und Nazi-Rap. Höfen 2002.

(5) Harte Texte und die Härte der Nazis, SZ vom 11. Mai 2010: http://sz.de/1.425538

(6) Der Download-Link ist leider nicht mehr online.

(7) Pressemitteilung und Download unter http://de.indymedia.org/2005/06/120731.shtml

(8) www.anarchist-academy.de

(9) Download unter www.anarchist-academy.de/pages/disco.php

(10) Download unter http://shortlinks.de/y7f5